Becoming Charlie (Serie)

ZDF

Mir wurde “Becoming Charlie” von einer wundervollen Bekannten empfohlen, die von dieser Serie begeistert ist. In der Serie geht es um Charlie – ein Mensch, der zwischen Armut, Schulden erstickt und bald dazu gezwungen ist, die eigene geschlechtliche Identität zu hinterfragen. All das, während Charlie von dem manischen Verhalten der eigenen Mutter eingeengt und die Luft zum Atmen genommen wird.

Charlie hangelt sich überfordert von der einen Katastrophe zur nächsten – sei es die schwangere Ex mit einem eifersüchtigen Freund oder der kaufsüchtigen Mutter, die seit Monaten die Stromrechnungen nicht mehr bezahlt hat. Um die Schulden der Mutter zu bezahlen, muss Charlie neben dem Lieferando-Job noch bei der Tante arbeiten, um genug Geld zusammenzukratzen. 

Währenddessen lernt Charlie neue Begriffe von der Nachbarin, die Psychologie studiert – Pronomen, Trans*, geschlechtliche Identität…

Charlie erlebt ein krasses Auf und Ab – neben extremen Tiefen, in denen Charlie die eigene Wut nicht mehr unter Kontrolle hat oder Hochs, wenn Charlie vor dem Spiegel die Grenzen zwischen Weiblichkeit und Männlichkeit verschwimmen lässt.

“Becoming Charlie” ist eine kurzfolgige (maximal zwanzig Minuten je Folge), sechsteilige, low-budget Miniserie, die in der ARD-Mediathek zu finden ist – und so sieht die Serie auch aus. Szenerien und Übergänge sehen aus wie ehemalige Schulprojekte. Charlie versucht, durch (klischeehaft) selbst geschriebene Rap-Musik die eigenen Gefühle zu verarbeiten. Die Mutter wirkt wie aus einer SAT 1-Serie gestohlen. Die Gespräche, gerade mit der Psychologiestudentin, wirken so steif und platt, dass ich das Gefühl hatte, dass Leute direkt aus ihren Schultheatergruppen gecastet wurden.
Ich habe Serien schon wegen weniger abgebrochen.

Aber die Serie strahlt in den intimen Momenten der Figuren: Jedesmal, wenn Charlie Geschlechtereuphorie erfährt, wenn Figuren sich näher kommen und verletzlich zeigen, wenn Charlie alleine mit sich und den Gedanken sein muss. In diesen Momenten kommen Musik, Licht, Szenen so gut zusammen, dass Ausschnitte als Magazincover verwendet werden könnten und die Gefühle der Figuren greifbar werden.

Die Figuren selbst mussten alle mit ihren eigenen Problemen kämpfen: Die Mutter, die von Charlie und Shopping als emotionale Krücke missbrauchte, die harsche Tante, die durch ihre Rückenschmerzen kaum noch ihre Hausmeisterintätigkeit ausüben konnte, ihre Partnerin, die Probleme mit ihrem Schreibprojekt hatte, die Psychologiestudentin, die in einer lieblosen Beziehung festhing oder Charlies Kumpel, der noch nicht offen zu seiner Sexualität stehen kann. Die Serie konnte viele Probleme nur oberflächlich streifen – aber das ist selbstverständlich in einer Miniserie.

“Becoming Charlie” thematisiert sensibel und respektvoll die Perspektive nicht-binärer Personen: Die Dysphorie, das Fehlen von Worten, das Unvermögen, das Innere erklären zu können, die Angst vor der Reaktion anderer, die Abwertung anderer, aber auch den Mut, den es braucht zu sich selbst zu stehen und das Glück Menschen zu finden, die zu einem stehen.

Insgesamt ist “Becoming Charlie” eine süße, kurze und kurzweilige Serie, die mich eher an ein Schulprojekt erinnerte, aber trotzdem die Komplexität von Geschlechtlichkeit und Sexualität wirklich gut aufgriff. Rap als Charlies Outlet für die Gefühle fand ich kitschig und gerade die Gespräche mit der Psychologiestudentin waren stellenweise so aufgesetzt, dass ich am liebsten abgebrochen hätte (ich kann nicht gut mit Cringe umgehen). Aber weil die Serie so kurz ist und ein Thema aufgreift, dass so noch kaum in Medien vorkommt, kann ich die Serie empfehlen. Mehr noch, wenn man gerne deutsche Serien schaut, denn viele meiner Probleme mit der Serie kommen daher, dass ich deutsches Schauspiel oder Filmproduktionen nicht ausstehen kann.

 

  • Titel: Becoming Charlie
  • Produktionsland und -jahr: Deutschland, 2021
  • Genre: Drama, LSBTIQA
  • Erschienen: 2022
  • Spielzeit: 20 Minuten je Folge, 1 Staffel
  • Darsteller: Lea Drinda
    Sira Faal

    Danilo Kamperidis
    Bärbel Schwarz
    Dalila Abdallah
    Katja Bürkle
  • Regie: Kerstin Polte
  • Drehbuch: Lion H. Lau
    Kamera: Lotta Kilian
    Schnitt: Julia Wiedwald
  • Musik: Pelle Parr, Alice Dee
  • Sprachen: Deutsch
  • Untertitel: Deutsch


Wertung: 10/15 dpt

 

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