Martina Berscheid – Leichtgewichte (Buch)


Natürlich ist der Titel „Leichtgewichte“ ein bewußt gewähltes Understatement. Denn leichtgewichtig sind die Erzählungen von Martina Berscheid in keinem Fall.

Zwar liefert die Autorin auf gut 120 Seiten eine sehr kurzweilige Lektüre, die sich leicht weglesen lässt. Ihre Plots sind klug konstruiert. Alles geht am Ende sauber auf. Die Prosa ist eingängig, angenehm gradlinig. Aber hinter jeder ihrer Geschichten steckt mehr. Immer arbeitet Berscheid auf eine Pointe hin, auf einen Überraschungseffekt, eine wichtige Idee.

Insgesamt acht Erzählungen von sehr unterschiedlicher Länge sind in diesem Band zusammengefasst.

„Über die Grenze“ macht den Auftakt. Es geht um eine Begegnung, die wortwörtlich an einer Grenze stattfindet und – wie man erst am Ende erfährt – fast zu einer Grenzerfahrung hätte werden können.

Auch in „Boss“ erfährt die Story ein unerwartetes Ende, eingeleitet durch ein Ereignis, das zum Wendepunkt für alle Beteiligten wird.

Berscheids Sympathien gehören eindeutig jenen, die man eher zu den Verlierern zählt. In „Die Schuhe“ ist die Verliererin Helen, eine junge Mutter, die sich auf ein Treffen mit Freundinnen vorbereitet. Die positive Wende bleibt für die Protagonistin aus, obwohl man die ganze Zeit über daraufhin fiebert. Doch gerade, weil das erhoffte Ereignis ausbleibt, geht sie verändert aus der Geschichte hervor.

Eine Veränderung, hervorgerufen durch eine Überraschung, erlebt der Ich-Erzähler in der Erzählung „Richard“, die mit fast 30 Seiten zu den umfangreichsten Texten gehört. Obwohl aufmerksame Leser:innen die Pointe recht schnell erahnen dürften, lässt Berscheid die männliche Hauptfigur sehr lange im Dunkeln tappen, um am Ende Dummheit und Vorurteile schonungslos bloßzustellen.

Dummheit und eingebildete Überlegenheit werden auch in „Eine Art Probezeit“ thematisiert. Berscheid rechnet in diesem Text augenzwinkernd mit einem Parade-Macho ab.

Die Mann-Frau-Beziehungen in den meisten Geschichten sind problematisch. Berscheid zeigt Männer, die Frauen zu dominieren versuchen und Frauen, die aufbegehren bzw. sich dagegen wehren. Berscheids Kritik an patriarchalen Strukturen gehört ebenfalls zu den wiederkehrenden Elementen in ihren Texten.

Den Abschluss bildet „Leichtgewicht“, das zum Titel des Erzählbandes inspiriert haben dürfte. Berscheid fügt ihrem Erzählbaukasten mit dem Thema Armut ein ein weiteres, sozialkritisches Thema hinzu. Die Hauptfigur Nina ist alleinerziehende Mutter und fest gefangen in einer deprimierenden Spirale aus Armut und Scham. Berscheid inszeniert die Notlage ihrer Protagonistin nuancenreich. Die Darstellung des verantwortungslosen Kindsvaters und der sogenannten besten Freundin, die nur den eigenen Egoismus pflegt, wirkt stellenweise vielleicht etwas überzogen. Aber diese Klischees unterstreichen die psychische Belastung der unter ihrem sozialen Status leidenden Frau sehr authentisch.

Alles zusammengenommen liefert Martina Berscheid mit ihrem Band kurzweilige und niemals oberflächige Lektüre. Kleine Geschichten mit dem gewissen Extra. Geschichten, bei denen man sich gerne vorstellt, sie würden noch weiter erzählt werden.

  • Autorin: Martina Berscheid
  • Titel:  Leichtgewichte
  • Verlag:  epubli
  • Erschienen:  August 2017 (3. Aufl.)
  • Einband:  Broschiert
  • Seiten:  124 Seiten
  • ISBN:  978-3745009620


Wertung: 12/15 dpt




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