Joel Dicker – Die Affäre Alaska Sanders (Buch)

© Piper

Der erfolgreiche Schriftsteller Marcus Goldman wird seit dem Fall um seinen Freund und Mentoren Harry Quebert von einer Ruhelosigkeit heimgesucht. Quebert ist spurlos verschwunden und Goldman ratlos. Als Helen, die Frau des damals involvierten Sergeant Perry Gahalowood, im Frühling 2010 plötzlich verstirbt, taucht ein Brief auf, der auf einen Fall von 1999 hinweist. Damals wurde eine junge Frau ermordet aufgefunden, ihr Lebensgefährte und sein bester Freund der Tat überführt und die Akte schnell geschlossen. Doch als Gahalowood und Goldman den Ursprung des Briefes herausfinden, erkennen sie schnell, dass nichts so ist, wie es damals den Anschein gemacht hat. Gemeinsam gehen sie auf Spurensuche, die sie in das beschauliche Örtchen Mount Pleasant führt. Die Einwohner*innen sind gewillt zu reden. Doch ist das wirklich genug? Und woher stammen die kleinen Möwenfiguren, die dem Schriftsteller seitdem überall hinterlassen werden?

Joel Dicker gilt auf dem Buchmarkt mittlerweile als einer der ganz Großen. Seine Romane wurden bislang über zwölf Millionen mal verkauft und in über 40 Sprachen übersetzt. „Die Affäre Alaska Sanders“ schließt dabei direkt an seinen Welterfolg „Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert“ an.

Und tatsächlich begibt man sich mit dem Autoren auf eine wendungsreiche Reise in eine Welt, die zerfurcht ist von Lügen, Geheimnissen, Verwirrungen und Figuren, denen nicht zu trauen ist.

Dickers Geheimnis ist, dass er es schafft, seine Leser*innen in Atem zu halten. Der über 570 Seiten lange Roman wird nie langweilig und möchte am liebsten ohne Pause gelesen werden. Von der ersten Seite an gelingt es, in einen leichten Lesefluss zu kommen. Das liegt zum Einen daran, dass der Autor hier auf die Wirkung kurzer Kapitel und schneller Schnitte innerhalb der Kapitel setzt. Immer wieder springt die Geschichte in der Zeit. Mal wird sie aus Sicht des fiktiven Schriftstellers Marcus Goldman erzählt, dann wiederum aus der Erzählperspektive, die zurückführt ins Jahr 1999. Diese abrupten Schnitte ziehen sich durch den gesamten Roman, sind teilweise nur eine Seite lang, haben aber den Effekt, dass immer wieder etwas Neues offenbart wird.

Dabei arbeitet Dicker komplett ohne sprachliche Stilmittel. Seine Geschichte basiert zu einem großen Teil auf Dialogen. Zu Beginn eines jeden Kapitels wird eine mehrere Zeilen umfassende Einführung gegeben, in der erzählt wird, was als Nächstes geschieht oder wo sich das ungleiche Ermittlerpaar gerade aufhält. Dann folgt der direkte dialogbehaftete Anschluss.

Die Ermittlungen erfolgen hier einem regelrechten Gleichtakt. Alles geschieht in zuverlässiger Reihenfolge nacheinander. Es gibt keinen Tag der Ruhe und Ratlosigkeit. Keinen Moment, in dem die Protagonisten auf der Stelle stehen. Stattdessen erscheint die Ermittlung wie ein Urlaub, in dem jeder Tag ein neuer Ausflug bietet. Und jeder Ausflug führt zum nächsten Ziel.

Die Geschichte um Marcus Goldman und Perry Gahalowood ist rastlos. Nicht nur innerhalb der Untersuchungen ist der Schriftsteller permanent unterwegs. Obwohl er in New York lebt, pendelt er unentwegt durch die Vereinigten Staaten bis nach Kanada. Er macht hier Halt, er trifft sich dort mit Freunden. Dann wiederum sucht er seinen ehemaligen Mentor Quebert. Nie steht er still. Nie kommt er an, weil er selbst nicht weiß, wo er eigentlich hingehört. Quebert selbst nennt ihm irgendwann den Grund dafür: Er braucht ein Schreibhaus, ein Zuhause. Doch er selbst muss herausfinden, wo und wie er sich eines erschaffen kann.

Diese Rastlosigkeit findet sich auch in den Ermittlungen im Fall Alaska Sanders wieder. Andauernd sind die beiden Freunde unterwegs, befragen Leute, sehen sich Schauplätze an, besuchen ehemalige Polizisten, die mit dem Fall betraut waren.

Das Sprunghafte und Nie-Ankommen spiegelt sich schließlich in dem Schreibstil Dickers wieder, der auch seine Leser*innen nicht zur Ruhe kommen lässt, wenn er von einem Indiz zum nächsten überleitet.

Herausragend erscheint vor allem das Geflecht der Hinweise, Aussagen und Motive. Die Geschichte ist so ausgeklügelt, dass kaum erkannt werden kann, welche Fäden zu welchem Ziel führen werden. Immer wieder werden neue Geheimnisse offenbart, doch gleichzeitig auch Häppchen serviert, die die Leser*innen nur aufmerksam lesen müssen, um zu erkennen, dass etwas nicht stimmt.

Trotz der gut inszenierten Handlung und des Lesefluss fördernden Schreibstils gibt es einen Punkt, der bei einem Autor solcher Größe enttäuscht – Joel Dicker bedient sich sämtlicher Klischees:

Das Mordopfer von 1999 ist eine junge, schöne Frau, die bei allen Menschen beliebt war und große Träume hatte.

Sämtliche Frauen der Handlung sind entweder nur Statisten oder Nebenfiguren. Die Geschichte ist von Anfang bis Ende männlich dominiert. Das beginnt bei dem erfolgreichen männlichen Schriftsteller, der mit dem gewissenhaften männlichen Sergeant ermittelt und der Provinzpolizistin Lauren immer einen Schritt voraus ist, und endet bei dem männlichen Angeklagten, der seit elf Jahren vielleicht unschuldig im Gefängnis sitzt und dessen männlicher Freund bei dem Verhör mit den beiden ehemaligen männlichen Ermittlern ums Leben kam.

Die Klischees finden sich leider auch in der Verehrung des Freundes und Mentors Harry Quebert durch den Schriftsteller Marcus Goldman. Dabei wird diese Verehrung fast schon zu einer leichten Besessenheit, da Goldman auf der permanenten Suche nach Quebert ist. Aufgrund dessen dunkler Vergangenheit erinnert die Beziehung hier schon an einen moralischen Relativismus.

Auch das Bild des landesweit erfolgreichen amerikanischen Schriftstellers ist mittlerweile x-mal erzählt worden. Es sei hier anzumerken, dass Goldman überall erkannt wird, als wäre er eine Art Rockstar der Literatur.

Fazit: „Die Affäre Alaska Sanders“ hat alles, was ein spannender Kriminalroman braucht. Die Abfolge der Geschehnisse geschieht dabei in einem steten Rhythmus, sodass die Leser*innen sich nie wie in einem Rennwagen auf der Zielgeraden führen. Alles verläuft zuverlässig im Gleichtakt, ohne jedoch den Spannungsfaden zu verlieren. Doch leider ist die Handlung so klischeebehaftet, dass die Geschichte nichts Neues ist.

  • Autor: Joel Dicker
  • Titel: Die Affäre Alaska Sanders
  • Originaltitel: L´affaire Alaska Sanders
  • Verlag: Piper
  • Umfang: 578 Seiten
  • Einband: Gebundene Ausgabe
  • Erschienen: 01. Juni 2023
  • ISBN: 978-3-492-07196-3
  • Produktseite


Wertung: 10/15 dpt

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