Ilka Mella – Blumenherz (Buch)


Nach ihrem Debüt “Der Atem des Ozeans” legt Ilka Mella mit “Blumenherz” nach, jedoch diesmal (mit dystopischer Climatefiction und Science-Fiction-Anteilen) in einem anderen Subgenre der Phantastik.

“Blumenherz” spielt im Jahre 2074. Die Welt ist nicht mehr, wie sie war. Die Prognosen der Klimaschützer haben sich bewahrheitet und die Erde ist nur noch bedingt bewohnbar. Stattdessen jagt eine Umweltkatastrophe die nächste – alles zerstörende Stürme, Starkregen, Überflutungen und Gewitter gehören zum Alltag. Nur die Menschen sind gleich geblieben und eine privilegierte Oberschicht verschanzt sich an den einzig noch sicheren Orten, den Gated Citys, während sie die Menschen, die vor den Stadttoren um ihr Leben kämpfen, kriminalisieren. Miriam Halder hat davon nichts mitbekommen. Sie befand sich 26 Jahre lang auf der im All verschwundenen Raumstation “Hope”, wo sie als Ärztin für die Besatzung tätig ist. Als sie nun mit einem herzkranken außerirdischen Kind zurück auf die Erde kehrt, beginnt ein Wettlauf gegen die Zeit, in dem Miriam erst nach und nach herausfindet, wem sie trauen kann – und was sie selbst eigentlich wirklich will.

Die Protagonistin hat ihre Kindheit in München und dem Münchener Umland verbracht und ist entsetzt, als sie sieht, was aus ihren liebsten Orten geworden ist. Ich selbst war noch nie in München, für Leser*innen, die München kennen, ist es aber mit Sicherheit doppelt spannend, mit Miriam zu entdecken, was aus der Südstadt, den Villen am Ufer des Chiemsees, dem Olympiapark, Schloss Nymphenburg, dem Viktualienmarkt und der Frauenkirche geworden ist und wie die Menschen in ihrer Verzweiflung nun die Kampenwand bezwingen. Einen Abstecher ins “P1” gibt es auch.

Aber nicht nur Münchenfans kommen auf ihre Kosten. Auch Hobby-Kletterer und ganz besonders Ballett-Fans finden im Buch immer wieder Anspielungen. Bin ich selbst zwar defintiv keine Bergziege, so habe ich aber einige der im Buch erwähnten Ballettpositionen im Kopf mitgetanzt. Wer auf Greys Anatomy und andere Arztserien steht oder sich grundsätzlich für Medizin und insbesondere Kardiologie interessiert, für den ist die Geschichte auch definitiv eine Empfehlung. Die Autorin hat in all diesen Bereichen sehr gut recherchiert und schreibt trotzdem so, dass auch Lai*innen der Geschichte folgen können. Besonders interessant fand ich die Notwendigkeit, im Jahre 2074 doch noch auf Heilpflanzen zurückgreifen zu müssen und wie gut sich diese letztendlich mit konservativer Medizin vertragen – auch wenn nach wie vor die Dosis das Gift macht und der Mensch den Heilkundigen schon seit den Hexenverbrennungen nicht vertraut.

“Tanz mit mir”, wisperte Dafina. Hatten ihre Emotionen sie ebenfalls heiser gemacht? “Ich kann nicht tanzen.” “Jeder kann tanzen”, flüsterte Dafina und fügte hinzu: “Es ist wie atmen.”

Auch die Rückblenden in unsere aktuelle Zeit und die Erwähnungen der Popkultur haben mich immer wieder zum Schmunzeln gebracht.

Ilka Mella thematisiert in ihren Büchern aktuelle Themen kritisch und schreibt absolut zeitgemäß. Der Umwelt- und Klimaschutz ist ihr ein besonders großes Anliegen und kommt auch hier wieder zum Tragen. Dazu schafft sie es aber auch, ein sehr vielfältiges Buch zu schreiben. Auch wenn die Geschichte in Mitteleuropa spielt gibt es nicht nur weiße Protagonist*innen. Diese erfahren sehr realitätsnah immer wieder Rassismus, was im Buch gut aufgearbeitet wird. Auch mit Genderklischees wird stellenweise gespielt und diese werden dadurch ein Stück weit aufgelöst. Homosexualität ist im Jahre 2074 ganz normal und kann (wenigstens etwas Poistives in der Zukunft!) offen gelebt werden.

Sehr ungewöhnlich fürs Genre, aber dennoch sehr passend, handelt es sich im Buch (mit Ausnahme von Traks, dem außeriridischen Kind) um erwachsene Figuren, die alle älter als 30 Jahre alt sind, manche sogar die 40 überschritten haben. Zu Beginn der Geschichte gingen mir deren Entscheidungen zu schnell und es wirkte alles ein bisschen zu “einfach” und darauf ausgelegt, für den Plot wichtige Punkte zu erreichen. Dies legt sich aber im Verlauf und stattdessen entwickeln die Figuren sich nachvollziehbar, wenn auch immer wieder konfliktbehaftet und ich konnte ohne Vorhersehbarkeit mit ihnen mitfiebern. Ilka Mella hat schon in ihrem Debüt bewiesen, dass sie Antagonist*innen schreiben kann, bei denen sich einem die Fußnägel aufrollen und denen man am liebsten etwas antun möchte. Das ist ihr auch hier wieder gelungen. Genauso, wie ihre Held*innen nicht immer das Richtige tun, morally grey handeln und Schwächen haben.

“Wie die meisten Leute, die der Meinung waren, dass die Dinge, die sie ignorierten, nicht passierten, wusste er eigentlich, was Ungerechtigkeit war.”

Die Liebesgeschichte im Buch war mir persönlich too much und zwischenzeitlich etwas zu spicy. Allerdings bin ich allgemein kein großer Romance-Fan, erst Recht nicht bei “Liebe auf den ersten Blick”-Tropes. Für Fans von viel Romantik, Liebesdrama und heißen Szenen, dürfte das hier aber genau das Richtige sein. Was mir aber gut gefallen hat war, dass die Handlung und das eigentliche Ziel der Protas nicht in den Hintergrund rückte.

“Die Romantik war vorbei. Hier ging es um einen Krieg, in dem Alliierte gewonnen und Schlachten geschlagen werden mussten.”

Ilka Mella hat auch dieses Buch im Selfpublishing herausgebracht, wobei es einem Verlagsbuch in nichts nachsteht, sondern im Gegenteil noch einiges an Zusatzmaterial erhalten hat. Das Cover ist professionell gestaltet, ist ein echter Eyecatcher und passt meiner Meinung nach perfekt zum Inhalt – sowohl medizinisch, wie auch bezogen auf die Liebesgeschichte. Dazu hat Ilka Mella für die Protagonist*innen Miriam, Sebastian und Dafina einen eigenen Soundtrack entwickelt, welche einen noch besser in das Gefühlsleben der Figuren eintauchen lassen. Weiterhin gibt es Illustrationen und individuelle Kapitelzierden im Buch, die das jeweilige Point of View einläuten. Ich neige leider dazu, Leserillen in die Buchrücken von Tascchenbüchern zu lesen – obwohl es sich bei “Blumenherz” um ein recht dickes Buch handelt, gibt es nach dem Lesen keine einzige Rille zu beklagen. Hiermit wäre also der Beweis angetreten, dass Selfpublisher-Bücher mit Verlagsbüchern absolut mithalten können. Dazu gibt es hinten im Buch eine ausführliche Liste mit Content Notes und Erklärungen zu der wissenschaftlichen Brisanz der Klimathematik in der Geschichte und in unserer Realität.

Allgemein kann ich “Blumenherz” jedem empfehlen, der eine dystopische Climateficition mit sapphic Liebesgeschichte, Low-Science-Fiction-Anteilen und erwachsenen Charakteren lesen möchte.

Cover ©Ilka Mella

  • Autor: Ilka Mella
  • Titel: Blumenherz
  • Verlag: TWENTYSIX
  • Erschienen: 07/2023
  • Einband: Paperback
  • Seiten: 440
  • ISBN: 978-374-072-843-4
  • Erwerbsmöglichkeiten 

Wertung: 11/15 dpt


Schreibe einen Kommentar

Hinweis: Mit dem Absenden deines Kommentars werden Benutzername, E-Mail-Adresse sowie zur Vermeidung von Missbrauch für 7 Tage die dazugehörige IP-Adresse, die deinem Internetanschluss aktuell zugewiesen ist, in unserer Datenbank gespeichert. E-Mail-Adresse und die IP-Adresse werden selbstverständlich nicht veröffentlicht oder an Dritte weitergegeben. Du hast die Option, Kommentare für diesen Beitrag per E-Mail zu abonnieren - in diesem Fall erhältst du eine E-Mail, in der du das Abonnement bestätigen kannst. Mehr Informationen finden sich in unserer Datenschutzerklärung.

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Ähnliche Beiträge

Du möchtest nichts mehr verpassen?
Abonniere unseren Newsletter!

Total
0
Share