Hunt – (Film, DVD/BluRay)

Bis Ende der 80er war Südkorea zwar nominell eine Demokratie, doch herrschte eine unheilige Allianz aus Militärdiktatur und korrupter Politik, die nur darauf bedacht war, die eigenen Pfründe und die damit verbundene Macht zu bewahren. Oppositionelle, Regimekritiker und -gegner wurden verfolgt, verschleppt, verhaftet, gefoltert und getötet, demokratische Grundrechte wie Meinungs- und Pressefreiheit ausgehebelt. Die amerikanische “Schutzmacht” ließ die jeweiligen Regierungsinhaber anstandslos gewähren. Was spielen Menschenrechte schon für eine Rolle, wenn es ein Bollwerk gegen den Kommunismus aus dem Norden im asiatischen Raum zu beschirmen galt? Die paranoide Angst vor kommunistischer Infiltration beherrschte die rigide Tagespolitik zusätzlich.

Im Oktober 1979 wurde der langjährige Präsident General Park Chung-hee von seinem eigenen Geheimdienstchef Kim Jae-gyu erschossen. Vier Jahre später starben bei einem Bombenattentat in Rangun (Myanmar) neunzehn Menschen. Zu den Getöteten gehörten vier Kabinettsmitglieder der damals aktuellen Regierung Chun Doo-hwans (ein General, was sonst). Chun selbst verspätete sich und überlebte so den Anschlag. Als Verantwortlichen für den Anschlag machte man nordkoreanische Agenten aus.

Auf diese beiden geschichtlichen Ereignisse bezieht sich “Hunt”, die erste Regiearbeit des “Squid Game”-Hauptdarstellers Lee Jung-jae, locker. 1983 soll während eines Amerikaaufenthalts ein Anschlag auf den südkoreanischen Präsidenten ausgeübt werden. Dank ballistischer Überlegenheit können koreanische Agenten die Attentäter unschädlich machen. Während der Aktion geraten der Leiter des Auslandsnachrichtendienstes KCIA, Park Pyong-ho, und der Chef des Inlandsnachrichtendienstes Kim Jung-do heftig aneinander. Dieser Konflikt wird sich bis zum bitteren Filmende hinziehen.

Verantwortlich für das Attentat (und andere Sabotageakte) soll der nordkoreanische Spion Donglim sein. Den man in den eigenen Reihen vermutet. Und so werden die beide Geheimdienste aufeinandergehetzt. Andere Spuren werden zwar auch mit Macht und unter Einsatz von Folter und persönlichen Motivationen untersucht, doch scheint eine finale Konfrontation unvermeidlich. Wie diese aussieht und welche Irrungen und Wirrungen Park und Kim erleiden müssen, erzählt “Hunt” ausführlich als Mischung aus Action- und Spionagethriller. Wobei die Action gewinnt.

Der Film ist dauernd in Bewegung, eine Vielzahl von Personen agiert durch- und gegeneinander, Motivationen, Spielregeln und Aktionen verändern sich laufend, selbst psychologische Duelle werden aufgeregt und mit vollem Körpereinsatz ausgetragen. Treppenstürze über mehrere Etagen inklusive. Aber unsere Protagonisten sind wahre Stehaufmännchen, die zwar Blessuren davontragen, aber bis zum Showdown – eigentlich sind es sogar mehrere – auf den Beinen bleiben.

Die Action ist mit solider Rasanz inszeniert, CGI-Effekte werden zweckdienlich eingesetzt, lediglich bei einer Explosion am Ende des Films geht man in die Vollen. Sieht aber nicht schlechter aus als viele Hollywood-Produktionen. Was angesichts der “Ant-Man and the Wasp: Quantumania” und “The Flash”-Fiaskos nichts heißt. Gemessen an der Ödnis diverser Superhelden-Massenschlachten ist “Hunt” ein Genuss.

Die Jagd nach Domling leidet unter der fehlenden Übersicht. Zwischenzeitlich fühlt man sich an wüste “Spy vs. Spy”-Eskapaden des M.A.D.-Magazins erinnert. Das nahezu jeder Mitwirkende nicht das ist, was er zu sein scheint, verhindert ebenfalls Standortbestimmungen.

Dass keine der Hauptfiguren als Sympathieträger taugt ist mutig. Und lässt etwas verwundert zurück, wenn Kim Jung-do zum Finale über Ehre und Gewissen fabuliert, nachdem er zuvor keine Probleme damit hatte, auch gegen offensichtlich Unschuldige Folter und Gefängnis anzuordnen und den Gräueltaten ungerührt beizuwohnen. Park Pyong-ho funktioniert ähnlich, bleibt aber in seiner Ambivalenz und sachten Entwicklung glaubwürdiger.

Die Folterszenen sind schwer erträglich, nicht weil Lee Jung-jae unverhohlen Torture-Porn frönt, sondern weil die scheinbare Beiläufigkeit das Grauen intensiviert. Folter ist etwas alltägliches, Teil der Jobbeschreibung, körperliche Arbeit, statt zu ermitteln und Verbrechen aufzuklären. Es gibt kein Hinterfragen, moralische Entscheidungen oder Unsicherheiten spielen keine Rolle, es werden keine Unterscheidungen nach Geschlecht, Alter oder so etwas Hinfälligem wie Schuld oder Unschuld getroffen. Inhaftierte werden malträtiert, weil es angeordnet wurde. Ob das Geständnis nach der brutalen Befragung der Wahrheit entspricht, kümmert niemand.

Gerade weil das Wirken der Folterknechte so beiläufig wie gewohnheitsgemäß dargestellt wird, es keinen einzigen Justizbeamten gibt, der sich zumindest betroffen zeigt, wirken diese Szenen umso schmerzhafter. Lee Jung-jae stellt, durch Distanziertheit klar, wie perfide, menschenverachtend und sinnlos derartige Folterorgien sind. Das wirkt nach, obwohl mögliche politische Dimensionen im kunterbunten und nicht immer glaubwürdigen Wirrwarr (besonders der exzessive Schusswaffengebrauch im Ausland ist fragwürdig) verschwimmen.

“Hunt” ist in erster Linie ein temporeicher Actionfilm, dessen Spionage- und Politthriller-Attitüde an zu vielen Fronten ins Schleudern gerät, bei Motivationen und Nachvollziehbarkeit zu vage und orientierungslos bleibt. Stellenweise gelingen aber einprägsame und erschütternde Sequenzen über die gnadenlose Misswirtschaft innerhalb von Diktaturen, in denen Ethik, Loyalität und solidarisches Miteinander blutig an die Wand genagelt werden. Regt an, sich mit der wechselhaften Geschichte Koreas auseinanderzusetzen. Insofern nicht nur für Freunde von Tohu und Wabohu durchaus empfehlenswert.

Cover+ Bilder  © Plaion Pictures

  • Titel: Hunt
  • Originaltitel: 헌트 (Heonteu)
  • Produktionsland und -jahr: Südkorea, 2022
  • Genre: Action-, Spionage-, Polit-Thriller
  • Erschienen: 27.07.23
  • Label: Plaion
  • Spielzeit:
    125 Minuten auf 1 DVD
    125 Minuten auf 1 Blu-Ray
  • Darsteller: Lee Jung-jae
    Jung Woo-sung
    Jeon Hye-jin
    Heo Sung-tae
    Go Youn-jung
  • Regie: Lee Jung-jae
  • Drehbuch: Lee Jung-jae
    Jo Seung-hee
  • Kamera: Lee Mo-gae
  • Schnitt: Kim Sang-bum
  • Musik: Jo Yeong-wook
  • Extras Global Greeting, Interviews, Jagdreport,
    Cannes 24hrs, Making Of, Trailer, Trailershow
  • Technische Details (DVD)
    Video:
    2.39:1 (16:9)
    Sprachen/Ton:
    Deutsch, Koreanisch, Dolby-Digital 5.1
    Untertitel:
    Deutsch
  • Technische Details (Blu-Ray)
    Video:
    2.39:1 (16:9)
    Sprachen/Ton:
    Deutsch, Koreanisch, DTS-HD Master Audio 5.1
  • Untertitel: Deutsch
  • FSK: 16
  • Sonstige Informationen:
    Produktseite
    Erwerbsmöglichkeit


Wertung: 10/15 dpt

 

Teile diesen Beitrag:
Schreibe einen Kommentar

Hinweis: Mit dem Absenden deines Kommentars werden Benutzername, E-Mail-Adresse sowie zur Vermeidung von Missbrauch für 7 Tage die dazugehörige IP-Adresse, die deinem Internetanschluss aktuell zugewiesen ist, in unserer Datenbank gespeichert. E-Mail-Adresse und die IP-Adresse werden selbstverständlich nicht veröffentlicht oder an Dritte weitergegeben. Du hast die Option, Kommentare für diesen Beitrag per E-Mail zu abonnieren - in diesem Fall erhältst du eine E-Mail, in der du das Abonnement bestätigen kannst. Mehr Informationen finden sich in unserer Datenschutzerklärung.

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Ähnliche Beiträge

Du möchtest nichts mehr verpassen?
Abonniere unseren Newsletter!

Total
0
Share