Dorothee Schröder / Philipp Röttgers – Jack the Ripper – Die Whitechapel-Morde 1888 (Buch)


Jack the Ripper - Die Whitechapel-Morde 1888
© London Beyond Time And Place

Die sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse waren elend, jedenfalls soweit es das East End von London betrifft. Wir schreiben das Jahr 1888 und es geht – einmal mehr – um den wohl „faszinierendsten“, da nie gefassten und vor allem bis heute unbekannten Serienmörder aller Zeiten: Jack the Ripper. Wie viele Frauen er tatsächlich ermordete ist unklar, jedoch werden ihm die Morde an Mary Ann Nichols, Annie Chapman, Elizabeth Stride, Catherine Eddowes und Mary Jane Kelly eindeutig zugeordnet. Man spricht hier von „den kanonischen Fünf“. Der Schrecken begann am 31. August und endete plötzlich am 9. November 1888.

Faszination „Jack the Ripper“

Auf die Historie soll an dieser Stelle nicht groß eingegangen werden, da sie hinlänglich bekannt sein dürfte, so man denn den Quellen trauen darf. Das Autorenduo Dorothee Schröder und Philipp Röttgers haben zahlreiche Bücher, Polizeiberichte, Zeitungsartikel und einiges mehr analysiert und verweisen nicht selten – beispielsweise bei den Memoiren von Polizeibeamten, die an den Ermittlungen beteiligt waren – darauf, dass deren Aussagen nicht stimmen können oder nicht belastbar sind.

Da „Jack the Ripper“ der wohl spektakulärste Fall ist und es demzufolge an „Fachliteratur“ keinen Mangel gibt, immer wieder erscheinen in unregelmäßigen Abständen neue Werke, drängt sich natürlich die Frage auf, ob es des vorliegenden Buches noch bedurfte? Sagen wir so: Wer schon „zwanzig Bücher“ zu dem Thema gelesen hat, wird auf viele bekannte Informationen treffen, denn natürlich enthüllen auch Dorothee Schröder und Philipp Röttgers nicht die Identität des Mörders. Allerdings lohnen allein die 118 Abbildungen den Erwerb des Buches für alle „Ripperologen“ und am Sachverhalt interessierte Leser.

Das Buch ist gut aufgebaut und befasst sich zunächst mit den damaligen Gegebenheiten, die dazu führten, dass viele Menschen sich kein Notquartier für die Nacht leisten konnten und daher auf der Straße oder in einem Hauseingang und ähnlichem schlafen mussten. So entstand aus der Not heraus die Gelegenheit für die Morde. Die Opfer waren schlafend wehrlos und konnten somit schnell mit einem Messer getötet werden. Die Arbeit der Polizei wird sehr detailliert beschrieben, mitunter übertrieben kleinteilig. Auch wer wann in der Nähe des Tatorts vorbeiging, ohne etwas zu bemerken, ist zumindest in der vorhandenen Detailtiefe – u. a. zahllose Polizisten, deren Dienstgrade und zuständige Behörde (Metropolitan Police vs. City Police) –  etwas zu viel des Guten

Den Opfern wird – selbstredend – jeweils ein eigenes Kapitel gewidmet, wobei das Autorenduo von der herrschenden These ausgeht, dass es sich bei allen fünf Frauen um Prostituierte handelte, was ein klein wenig verwundert, da diese Annahme von der britischen Historikerin Hallie Rubenhold in ihrem sehr lesenswerten Buch „The Five: Das Leben der Frauen, die von Jack the Ripper ermordet wurden“ (erschienen im September 2020) widerlegt wird. Aber was weiß schon der Rezensent, mögen sich die Fachleute streiten.

Um abschließend noch mal auf die Eingangsfrage zurückzukommen: Ja, das Buch von Dorothee Schröder und Philipp Röttgers ist eine klare Empfehlung. Es eignet sich als Neueinstieg in das Thema oder bietet eine ebenso gut strukturierte wie breitgefächerte Auffrischung – je nach Vorkenntnissen.

  • Autoren: Dorothee Schröder / Philipp Röttgers
  • Titel: Jack the Ripper – Die Whitechapel-Morde 1888
  • Verlag: London Beyond Time And Place
  • Umfang: 248 Seiten
  • Einband: Taschenbuch
  • Erschienen: Juni 2023
  • ISBN: 9783757923297
  • Produktseite  


Wertung: 13/15 dpt

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1 Kommentar
  1. Nach Rücksprache mit dem Rezensenten kommen wir gern der Einladung nach, uns zu Hallie Rubenholds Theorie, dass es sich bei den Opfern nicht um Prostituierte gehandelt habe, zu äußern.

    Hallie Rubenholds Ansatz und die Idee hinter ihrem Buch “The Five” sind wirklich gut – wobei es nicht so ist, dass den Frauen bisher keine Stimme gegeben wurde und man sich nur auf den Täter fokussiert hat. Dies war auch gar nicht möglich, da man den Täter nicht kannte.

    Hallie Rubenhold widerlegt auch keinesfalls, dass die Frauen Prostituierte waren. Sie interpretiert die gegebenen Fakten lediglich so, dass sie zu ihrer These passen und lässt auch Aussagen über die Frauen und Sichtungen in der Nacht der Morde aus, die nicht zu dieser These passen.

    Meistens spekuliert sie (“Polly would have felt…”, “Kate might have felt…”). Dadurch entstehen Geschichten, die die Leserschaft emotional berühren. Eingebettet in eine genaue Beschreibung der Lebensumstände in der viktorianischen Gesellschaft wird deutlich, dass Frauen keine Chance auf ein selbstbestimmtes Leben hatten. Hallie Rubenhold betont, dass sie hilf- und wehrlose Opfer eines ungerechten und willkürlichen Systems waren. Dadurch wird beim Lesen Mitleid erzeugt.

    Der Begriff “Prostituierte” scheint laut Hallie Rubenhold auch heute noch in der öffentlichen Wahrnehmung in Großbritannien identisch zu sein mit der Rezeption und Konnotation im Jahr 1888. Verachtenswert oder kritikwürdig ist offensichtlich nicht eine Gesellschaft, die Frauen in eine solche Situation gebracht hat, sondern vordergründig die Tatsache, dass Frauen sich für Sex bezahlen ließen. Rubenhold fragt, was eine Frau tun musste, um als Prostituierte zu gelten und stellt unterschiedliche Szenarien vor. Dabei unterscheidet sie zwischen “professional or common prostitutes” und “casual prostitutes”. Dies deckt sich mit den Aussagen der Metropolitan Police, die besagten, dass man nicht feststellen konnte, welche Frauen Prostituierte waren. Es geht Hallie Rubenhold also scheinbar vor allem darum, die fünf Frauen nicht mit diesem Begriff zu identifizieren. Dies hat sicherlich seine Berechtigung, wenn man bedenkt, dass die Frauen einen großen Teil ihres Lebens unter anderen und oftmals besseren Bedingungen verbracht haben.

    Trotzdem handelt es sich bei Hallie Rubenholds Buch um eine weitere Interpretation und nicht um eine neutrale Darstellung der Ereignisse. Berücksichtigt man den sozialen und historischen Hintergrund, vor dem sich das Ganze abspielte und die Tatsache, dass Frauen sich oft prostituieren mussten, um Geld für ein “doss house” zu bekommen, oder um ihre Familie in Zeiten von hoher Arbeitslosigkeit versorgen zu können, sollte man realistisch in Betracht ziehen, dass die Opfer des Whitechapel-Mörders ebenfalls zu diesem Mittel greifen mussten. Auch wurden sie in den Mordnächten mit Männern auf den Straßen des East Ends gesehen. Wenn Hallie Rubenhold bspw. behauptet, Catherine Eddowes habe sich auf dem Mitre Square zum Schlafen an eine Mauer gesetzt, so ist dies durch nichts belegt und widerspricht sämtlichen Zeugenaussagen. Auch erklärt sie, es hätten sich keine Männer gemeldet, denen die jeweiligen Frauen in den Mordnächten ihre Dienste angeboten hätten. Dies würde vermutlich niemand tun, um nicht als Täter verdächtigt zu werden.

    In ihrer Conclusion bezieht sich Rubenhold auf einen aktuellen Kriminalfall, in dem Prostituierte ebenfalls eine Rolle spielen, und es wird deutlich, dass die viktorianische Wertung auch heutzutage noch in der britischen Rezeption vorzuherrschen scheint. Vor diesem Hintergrund erklärt es sich vielleicht, dass Hallie Rubenhold so sehr daran gelegen ist, die fünf Frauen nicht mit dieser Bezeichnung zu identifizieren.

    Ob sie den Frauen, wie sie immer wieder unterstreicht, durch die Art des Storytellings und ihrer Interpretationen der Lebensläufe wirklich Würde verleiht, bleibt dahingestellt. Es stellt sich die Frage, ob dies immer gelingt. Wenn sie z.B. in Einzelheiten über die Syphilis-Behandlung von Elizabeth Stride berichtet, fühlte sich die Betroffene selber sicher in ihrer Würde verletzt. Darüber hinaus hat Elizabeth Stride bei ihrer Hochzeit einen falschen Namen ihres Vaters genannt, um die Spuren zu ihrer Vergangenheit zu verwischen. Wenn dies jetzt explizit noch einmal aufgegriffen wird, wäre das vermutlich auch nicht in ihrem Sinne. Wir greifen dies beispielhaft hier nur für eine der Frauen auf.

    Übrigens: Alle Fakten, auf die Hallie Rubenhold sich stützt, entstammen der Recherche von “Ripperologen”. Gute Ripper-Sachbücher haben sich schon immer mit den Leben der Frauen beschäftigt und ihnen eine Stimme gegeben.

    Philipp Röttgers & Dorothee Schröder

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