Bis ans Ende der Nacht (Film, Kino)


Um seiner Freundin einen gebührenden Empfang zu bereiten, überrascht Robert die trans*Frau Leni mit einer Willkommensparty. Sie sind ein glückliches Paar. Bis ihre Freund*innen sich verabschieden und die Party verlassen. Was keine*r wissen darf: Leni wurde nur aus dem Gefängnis geholt, um dem Ermittler Robert einen Zugang zu dem Großdealer Victor Arth zu ermöglichen, der sich mithilfe des Online-Drogenhandels einen Namen gemacht hat. Was Leni nicht weiß: Nach Abschluss der Operation wird sie wieder inhaftiert.

Um einen ersten Kontakt zu knüpfen, besucht das Scheinpaar einen Tanzkurs, wo es auf Victor und seine Freundin Nicole stößt. Schon bald lernen sie sich näher kennen, sodass die verdeckten Ermittlungen einen Erfolg versprechen. Doch schließlich ist es Robert, der die Spurensuche gefährdet. Denn die Grenze zwischen Schein und Sein wird für ihn immer verschwommener, sodass er sich bald entscheiden muss: Hält er an seinem Auftrag fest, Victor zu überführen und Leni somit zurück ins Gefängnis zu bringen, oder steht er zu seinen Gefühlen für die Frau, mit der er bereits eine Vergangenheit hat?

Hochgelobt wird der Spielfilm, der einer von fünf deutschen Beiträgen im 73. Berlinale-Wettbewerb war und einen Silbernen Bären für die beste schauspielerische Leistung in einer Nebenrolle gewann. Dabei ist es vor allem seine Vielschichtigkeit, die überzeugt.

„Bis ans Ende der Nacht“ beginnt mit einem atmosphärischen Intro. Es sind verschwommene Personen zu sehen, die einen Raum renovieren. Die Bilder sind unterlegt mit einem Chanson-Lied, welches in völligem Kontrast zum Visuellen steht. Dieser Kontrast zieht sich weiter, als die Handlung mit einer Willkommensparty in eben jenem Raum beginnt. Die Party besteht aus wenigen Personen. Im Mittelpunkt steht die trans*Frau Leni, die von ihrem Freund Robert liebevoll umsorgt wird. Immer wieder küsst sich das Paar verliebt. Doch kaum sind die Gäste verschwunden, fällt der unsichtbare Vorhang. Robert verhält sich abweisend. Als er ihr schließlich auf einer Stadtkarte den Radius zeigt, innerhalb dessen sie sich bewegen darf, wird bewusst, dass beide ein Scheinpaar spielen.

Obwohl es vordergründig um verdeckte Ermittlungen im Online-Drogenhandel geht, zeigt die Geschichte vielmehr ein Entkleiden der Beziehung der beiden Hauptfiguren Leni und Robert zueinander. Während Leni von Beginn an ihre Gefühle offen zeigt, ist es vor allem Robert, der eine Transition vollführt.

Lange strähnige Haare, unrasiert, das Gesicht stets verquollen und müde, stellt er den klassischen heruntergekommenen Cop dar. Das Heruntergekommene spiegelt sich ebenso in seinem Verhalten. Genervt und impulsiv wirft er mit Stofftieren um sich, Dinge, die Leni gefallen, da sie sie als Geschenk erhalten hat. Immer wieder gibt er ihr zu verstehen, dass sie nicht gut genug ist. So können die Zuschauer*innen eine Szene verfolgen, in der Leni aus einer geringen Entfernung Spielkarten in einen Papierkorb wirft, jedoch nicht trifft. Robert macht sich über sie lustig.

„Aus der Entfernung!“, sagt er schnaubend.
„Ich übe.“
„Für was?“
„Weltmeisterschaft.“

Schließlich setzt er sich neben sie, um ihr zu demonstrieren, wie es geht. Doch an dieser Stelle beginnt seine Verwandlung. Besonders gut zum Vorschein kommt sie, als er vom Balkon in den Wohnraum tritt, Lenis Essen probiert und anschließend seine Zigarette darin ausdrückt. Was zunächst wie Verachtung beginnt, geht über in eine Art Zuneigung. Denn anschließend geht er mit ihr in die Küche, um zu kochen, damit sie „keinen Müll isst“.

Roberts Transformation geht so weit, so tief, bis er sich dem Drogendealer Victor, dessen Fahrer er im Laufe der Handlung wird, verzweifelt anvertraut: „Ich liebe so sehr. Aber ich liebe den Kerl.“

Hier liegt ein bedeutendes Thema des Films. Es geht um die Entscheidung eines Menschen, sein Geschlecht umzuwandeln, und darum, welche Konsequenzen es für die bestehende Beziehung hat. Leni, welche vorher Lennard war, nimmt weibliche Hormone und beabsichtigt, sich operieren zu lassen. Sie ist weiblich. Sie trägt ihre Haare lang, kleidet sich feminin. Ihr gesamtes Gebaren ist von einer bezaubernden Naivität geprägt. Robert jedoch ist schwul und kann den Umstand nicht ertragen, dass er den Mann verliert, den er begehrt und liebt. Am deutlichsten kommt dies in einer Liebesszene zum Ausdruck, in der der Ermittler ihr in den Schritt fassen möchte, Leni dies jedoch verweigert. Sie möchte nicht dort angefasst werden. Robert erwidert ungehalten „solang er noch da ist.“ Leni wirkt dabei schwach, erträgt physische und psychische Gewalt. Es macht den Anschein, als wüsste sie zu diesem Zeitpunkt noch nicht, wer sie selbst eigentlich ist. Das wird sich zum Ende hin ändern.

Neben der hohen Dramatik und der ernsten Themen geizt der Film nicht mit Humor. Er kommt trocken daher, wird hervorragend dargebracht und zeigt sich in verschiedenen Nuancen. Sei es der üble Kerl mit den schwarzen Haaren und dem Vollbart, von dem erwartet wird, dass er in gebrochenem Deutsch Drohungen ausspricht, stattdessen in einem rheinischen Dialekt von seiner Tochter erzählt. Oder die Unterhaltungen zweier betagter Polizisten, die Victor Arth observieren und über das Warten philosophieren. Diese einzelnen humoristischen Sequenzen lockern dort auf, wo die Emotionen überlaufen zu drohen. Wo die Verzweiflung greifbar ist. Wo kaum Auswege zu erkennen sind.

Visuell spielt der Film mit interessanten Elementen. Die Handlung spielt in Frankfurt. Die Stadt wird dabei eintönig und grau dargestellt. Gebündelt wird die Trostlosigkeit vor allem in der Wohnung des Scheinpaares. Braune Wände, Balkon, eine Aussicht, die nicht der Rede wert ist.

Immer wieder gibt es Spiegelungen. Regisseur Christoph Hochhäusler erklärt diesen Effekt damit, dass er sich die Frage danach stellt, welche Bühne ein Raum bietet und wie ein visuelles Erlebnis zu einer Handlungsebene geführt werden kann.

Untermalt wird die Tristesse von Regen, Zigaretten, billigem Alkohol. Besonders hervorzuheben ist dabei eine Liebesszene, welche im Dunkeln bei Regen stattfindet. Leni sitzt im Auto und verwehrt Robert den Zutritt. Sie beginnen, sich über die Scheibe zu küssen, lecken die Scheibe ab und vollziehen ihr Spiel, bis Robert gegen das Glas ejakuliert. Hier wird nicht nur die physische Trennung der Figuren deutlich. Auch erscheint die Szene zu schmutzig. Zu intim. Als Zuschauer*in stellt man sich die Frage, ob die Autoscheibe denn überhaupt sauber ist, und wendet sich kurz angeekelt ab. Die gesamte Sequenz ist pure Provokation und gleichzeitig bringt sie am deutlichsten die Gefühle des Films zum Ausdruck. Es geht um ein Sich-Öffnen, während gleichzeitig das Bedürfnis bestehen bleibt, verschont zu bleiben vor den Verletzungen, die geschehen könnten.

Fazit: „Bis ans Ende der Nacht“ ist ein düsterer Film über das Festhalten an einer Beziehung, die keinen Bestand hat. Mit etlichen Stilmitteln und einem kontrastierenden Soundtrack wird die Geschichte um Leni und Robert zu einem atmosphärischen Erlebnis.

Schauspielerische Glanzleistungen vollbringen vor allem die mit dem Silbernen Bären ausgezeichnete Thea Ehre für ihre Rolle als Leni Malinovski sowie Timocin Ziegler als impulsiver und abgewrackter Ermittler Robert. Doch muss an dieser Stelle auch Michael Sideris genannt werden, der den Bösewicht Victor so alltäglich und gekonnt freundlich darstellt, dass man den Wunsch verspürt, diesen Mann als Nachbarn zu haben.

Thea Ehre hat an der Rolle vor allem fasziniert, dass diese Arbeit auf Diskursen beruht. Um sich der Thematik der Transition zu nähern, haben sich Regisseur und Drehbuchautor von der Transberaterin Julia Monro unterstützen lassen. Monro kam zudem eine kleine Rolle zu Beginn des Films zu.

Während der Premiere im Kölner Odeon blieb vor allem ein Satz eines begeisterten Zuschauers in Erinnerung: „Sowas habe ich schon lange nicht mehr gesehen.“

Große Schauspielkunst. Großer Enthusiasmus im Publikum. Großes Deutsches Kino!

  • Titel: Bis ans Ende der Nacht
  • Produktionsland und -jahr: Deutschland, 2023
  • Genre: Krimi, Thriller, Drama
  • Offizieller Kinostart: 22.06.2023
  • Label: Grandfilm, Heimatfilm GmbH
  • Spielzeit: 123 Minuten
  • Darsteller: Thea Ehre, Timocin Ziegler, Michael Sideris, Ioana Iacob, Rosa Enskat, Ronald Kukulies, Gottfried Breitfuss, Aenne Schwarz, Sahin Eryilmaz
  • Regie: Christoph Hochhäusler
  • Drehbuch: Florian Plumeyer
  • Kamera: Reinhold Vorschneider
  • Schnitt: Stefan Stabenow
  • FSK: 12


Wertung: 15/15 dpt

 


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