Schatzsuche endet im Fiasko
Die wilden 60er Jahre neigen sich ihrem Finale und im Vietnam ist immer noch Krieg. Ende 1969 heiratet Hap Collins seine Trudy, verweigert wenig später den Einberufungsbefehl und geht sogar freiwillig ins Gefängnis. Achtzehn lange Monate. Zeit, die Trudy für die Scheidung nutzt und zum nächsten Mann namens Pete zieht.
Ende der 80er Jahre. Seit zwei Jahren hatten Hap und Trudy gar keinen Kontakt mehr als diese plötzlich zu einem Besuch vorbeikommt. Spontaner Sex ist quasi obligatorisch, gleichwohl kommt Trudy nicht ohne einen konkreteren Grund. Leonard Pine, Haps bester Freund, wusste es gleich. Trudys Ex-Mann Howard saß ebenfalls im Gefängnis und erfuhr von einem Mithäftling, dass dieser an einem Banküberfall beteiligt war. Die Beute betrug eine satte Millionen Dollar und wurde, nachdem das Fluchtauto versehentlich im Wasser landete noch kurz per Boot transportiert.
„Scheiße. Was müssen wir dafür tun? Jemanden erschießen?“
„Nein. Schwimmen.
In Kanistern und Plastiktüten geschützt, müsste es irgendwo unweit der „Eisernen Brücke“ nahe der Stadt Marvel Creek im Sabine River zu finden sein. Zweihundert Riesen für Hap, wenn er bei der Suche hilft, schließlich ist er in Marvel Creek aufgewachsen. Hap willigt ein, allerdings nur, wenn Leonard mit von der Partie ist; für jeden winken also hunderttausend Dollar. Doch wo Trudy draufsteht ist Ärger drin. Als man einen Teil des Geldes findet, eskaliert die Situation vollends.
Furioser Start der legendären Hap & Leonard-Reihe
Joe R. Lansdale gilt vielen Krimifans als einer der größten amerikanischen Stars des Genres, was vermutlich daran liegt, dass er in seine kriminelle Spannung immer wieder politische Themen hervorragend einbaut. Im vorliegenden Fall sind es gleich zwei: Der Abgesang auf die Illusionen der 1960er-Generation, an die Leonard ohnehin nie geglaubt hat. Zum anderen Lansdales Dauerthema „Rassismus“, gegen das nur wenige Krimiautoren so eindringlich anschreiben.
„Glaubst du, du kannst mich mit deinen rassistischen Sprüchen beeindrucken?“
„Ich sag’s nur, wie ich es sehe.“
„Gleich siehst du gar nichts mehr.
Vor allem aber ist „Wilder Winter“ der Start der legendären Hap Collins & Leonard Pine – Serie, für die der Autor international berühmt ist. Angesichts des Auftaktes mag man sich womöglich wundern, denn in der Handlung der ersten Romanhälfte – das Buch ist schlanke zweihundert Seiten dünn – geschieht kaum etwas. Trudy berichtet von dem Geld, man lernt Howard und zwei weitere „Strategen“ vulgo Idioten kennen und verbringt die Zeit mit der Suche nach der „Eisernen Brücke“, die doch irgendwo sein muss. Könnte sich Hap doch nur erinnern.
Ist die Beute aber erst einmal gefunden, geht es noch heißer her als zuvor beim Sex zwischen Hap und Trudy. Sind die Dialoge schon grenzwertig hart unter der Gürtellinie, wobei sie letztlich konsequent den beiden Protagonisten und den grenzdebilen Nebenfiguren geschuldet sind, so sind die Gewalteruptionen im Schlussdrittel kaum zu toppen. Was Hap und Leonard an Kugeln, Schlägen und so weiter einstecken müssen, reicht im Normalfall für drei Tode pro Person. Mindestens.
Außergewöhnliche Protagonisten
Wem die deftigen Dialoge nichts ausmachen wird sich womöglich gut amüsieren. Der Roman erschien als deutsche Erstauflage im Juni 2006 im Shayol Verlag in dessen Reihe „Funny Crimes“. Wer die Serie nicht kennt und die Gelegenheit hat, sollte die ersten Seiten des Romans anlesen. Gefällt es, kann und darf man weiterlesen. Es wird aber noch ein wenig schlimmer, dies nur als Vorwarnung. Wer durchhält, lernt wohl die außergewöhnlichsten Amateurdetektive – „Detektive“ werden die beiden erst später – kennen. Hap: Weiß, hetero, einst den Idealen der 60er Jahre verhaftet und inzwischen völlig desillusioniert, dazu ehemaliger Kriegsdienstverweigerer. Daneben Leonard: Schwarz, schwul und als Vietnamveteran ohnehin illusionslos.
Wem Hap & Leonard zu „krass“ sind, der sollte dem Autor dennoch eine Chance geben. „Die Wälder am Fluss“ gilt als sein wichtigster Roman und dies aus Sicht des Rezensenten völlig zu Recht. Über Hap & Leonard mag man streiten, „Die Wälder am Fluss“ sind „Pflicht“.
- Autor: Joe R. Lansdale
- Titel: Wilder Winter
- Originaltitel: Savage Season. Aus dem Amerikanischen von Richard Betzenbichler und Katrin Mrugalla
- Verlag: Shayol
- Umfang: 196 Seiten
- Einband: Taschenbuch
- Erschienen: Juni 2006
- ISBN: 3-926126-60-4
Wertung: 11/15 dpt