Glut der Sonne – Film (Blu-Ray, DVD)


“Glut der Sonne” (“Dove si spara di più”) ist Gianni Puccinis einziger Western, und der hat es in sich. Eigentlich war Puccini eher im Neorealismus daheim, so arbeitete er an den Drehbüchern von Luchino Viscontis “Ossessione” (“Besessenheit”) und Giuseppe De Santis “Riso amaro” (“Bitterer Reis”) mit, und drehte selbst Melodramen, Komödien und Politthriller. “Glut der Sonne” war ein Dankeschön an seine Produzenten, die es ihm ohne Erfolgsdruck ermöglichten, das zu drehen, was er mochte. Deshalb spendierte er ihnen auf dem Höhepunkt der Italo-Western-Ära ein erfolgversprechendes Kommerzprodukt. Das letztlich so kommerziell gar nicht war.

Diese und andere aufschlussreiche Informationen liefert Filmkundler Antonio Bruschini im Bonusteil “Shakespeare in the west”. Der äußerst eloquente Italiener bringt in gut dreizehn Minuten mehr Wissenswertes unter als mancher Audiokommentator in zwei Stunden Filmlaufzeit. Respekt.

Bereits 1968, ein Jahr nach der Veröffentlichung des Westerns verstarb Puccini. Da war er noch keine 60 Jahre alt. Noch geringer war die Lebensspanne von Hauptdarsteller Karl Otto Hyrenbach und Thieme, der 1974 im Alter von dreißig Jahren einem Krebsleiden erlag. Bekannt wurde der deutsche Akteur unter diversen Pseudonymen. Zuerst trat er als Pierre Clement auf, zur Kinoauswertung von “Glut der Sonne” nannte er sich Arthur Grant. Am bekanntesten ist sein Alias Peter Lee Lawrence, unter dem er mittlerweile auch im vorliegenden Film geführt wird. Verheiratet war er seit 1969 mit seiner “Julia”, der bezaubernden Cristina Galbó, die er während der Dreharbeiten zu “Dove si spara di più” kennenlernte.

Die Geschichte von “Dove si spara di più” (wörtlich übersetzt in etwa “Wo am meisten geschossen wird”) folgt lose William Shakespeares “Romeo und Julia”, versieht das Ganze am Ende aber mit einem eigenständigen Twist.

Die Rancherfamilien Mounters und Campos sind seit Generationen verfeindet. Sämtliche Versuche, die Fehde mehr oder minder friedlich beizulegen, scheitern am Rachedurst der Beteiligten auf beiden Seiten. Irgendjemand wird immer hintergangen. Auftritt Johnny Mounters. Der blonde Jüngling mit dem kindlichen Gesicht möchte ein ebenso guter Schütze werden wie seine Brüder. Deshalb übt er ausdauernd, besonders nachdem ihn der alte Lefty mit der Hakenhand unter seine Fittiche nimmt. Nach einer gemeinsamen Flucht vor Familie Campos und ihren Schergen sind Junior und Lefty ein eingeschworenes Team.

Noch trauter sind der korrupte Sheriff Cooper und Rodrigo Campos verbandelt. Getreu dem Motto “Each man kills the things he loves” versuchten sich die beiden Männer einst das Lebenslicht auszublasen. Doch die Kugeln nahmen sich ihre eigene Bahn, prallten aufeinander und verschmolzen zur Einheit. Ein treffendes Symbol für die Symbiose von toxischer Männlichkeit und unterdrückter Homosexualität.
Beim Wogen des Familienkriegs stößt Johnny während eines Postkutschenüberfalls auf die junge Giulietta Campos. Die ihn enttarnt, aber nicht vor ihrer Familie verrät.

Die kurze Zusammenkunft reicht für entflammte Herzen. Das Liebespaar lässt die Familienfehde hinter sich, was der restlichen Sippe nicht gelingt und zur stärksten Szene des Films führt. Während sich das Pärchen auf dem Schlachtfeld in den Armen liegt, verkündet ein Campos-Sproß: “Das wäre sicher ‘ne ausgezeichnete Gelegenheit, Frieden zwischen den verfeindeten Familien Campos und Mounters zu stiften. Gibt‘s dafür ‘ne bessere Lösung als eine Hochzeit? – Dummerweise mag ich keine Hochzeitsfeiern. Ich liebe Begräbnisse!”

Das große Schießen beginnt. Und zum Finale betritt der Tod mit Schädelmaske leibhaftig die Szenerie und betätigt sich als der endgültige Gleichmacher.

1967 explodierte der Italo-Western. Zumindest an den Rändern. Bis “Keoma” sollten noch ein paar Jahre ins Land ziehen, aber der Höhepunkt war mit Giulio Questis überbordender Extravaganz “Töte, Django” (in den Untertiteln zu “Shakespeare in the west” von kauderwelschenden Buchstabensetzern “Tüte, Django” getauft) bereits erreicht. “Glut der Sonne” erreicht nicht ganz die Dimension von Questis psychedelischer Halluzination, bleibt erdverbundener und auf hintergründige Weise komischer, ist aber dicht dran.

Das beginnt mit dem Hauptdarsteller, dem babyglattrasierten Engelsgesicht Peter Lee Lawrence, der sich so anstrengt ein ganzer Kerl und Scharfschütze zu werden, um gleich beim ersten Auftritt Cristina Galbós (leider erst nach 43 Minuten) in seine Schranken verwiesen zu werden.
“Nenn mich nicht Kleines”, konstatiert Giulietta, nachdem sie Johnny die Maske vom Gesicht geschossen hat. Dessen klägliche Selbstaufwertung somit umgehend scheitert, nachdem er von der Mounters-Crew selbst ständig als “Kleiner” tituliert wurde. Eine der Stellen, an denen man merkt, dass – selten genug – das Drehbuch von einer Autorin stammt.

Der Postkutschenüberfall ist insgesamt feinstes absurdes Theater. Keiner der Überfallenen hat großartig Angst, erbeutet wird auch nichts und eine ältere Mitreisende wird offensichtlich und kommentarlos von einem Mann gespielt. Weiteres Highlight: Obwohl auf Scharfschützenqualitäten großen Wert gelegt und diese auch ausgiebig zelebriert werden, schießen die Probanden beim Massenfight aus wenigen Metern aneinander vorbei. Trotz akribischen Zielens. Das hat fast “Naked Gun”-Qualitäten. Derartige Verfremdungseffekte lassen sich über die gesamte Laufzeit des Films finden. Doch sie heben ihn nicht aus den Angeln, sondern werden beiläufig eingestreut und betonen so die Absurdität des Geschehens, den vergeblichen Kampf der Beteiligten gegen sich selbst und ihre schicksalhaften Gegner, die doch nur ein Spiegelbild sind.

“Edel sei der Mensch, hilfreich und gut”, ist bestenfalls der feuchte Traum eines dahinscheidenden Geistes. In der “Glut der Sonne” folgen die Anwesenden nur ihren Obsessionen und niederen Rachegelüsten. Die Liebe kommt schnell, im Falle Giuliettas und Johnnys reichen ein paar Minuten Überfallsgeplänkel, setzt sich fest und ist am Ende mehr Flucht als Ausweg. Ignorant gegenüber dem massenhaften Sterben. Ob das der passende Einstieg für einen Neuanfang ist? Möglich, aber die letzte Einstellung gehört dem Tod, der eine Waffe ins Publikum richtet.

“Glut der Sonne” ist ein finsterer kleiner Western über den Zusammenbruch der Menschlichkeit, in dem Komik Kommentar des sinnlosen Strebens ist, und nicht die Düsternis, der meist bei strahlenden Sonnenschein spielenden, Handlung konterkariert. Shakespeare wird in lichter Form adaptiert und mit eigenen Twists versehen. Das funktioniert gut, ist ruppig, charmant und ohne nennenswerte Füllsel inszeniert. Die Darsteller rumoren durchs Bild, dass es eine Freude ist. In einer exponierten Nebenrolle darf Peter Martell als Campos-Sohn Rodrigo seinem Affen hassgetränkten Zucker geben. Kein süßes Brot, nur Peitsche.

In einem größeren Cameo-Auftritt übt sich Spaniens Kult-Werwolf Waldemar Daninsky alias Paul Naschy im Armdrücken. Eigenem Bekunden nach lieh er auch dem Tod beim Showdown seine Gestalt. Niemand da, um das Gegenteil zu beweisen.

Technisch überzeugt die Aufarbeitung des Filmmaterials ebenfalls. Das Bild der BluRay ist farbenreich und scharf, ohne in künstliche Gefilde abzudriften. Der Sound ist ordentlich, die ehedem gekürzten Passagen, die unsynchronisiert und mit Untertiteln eingefügt wurden, fallen nicht besonders auf.

“Glut der Sonne” mag kein Hauptwerk des Genres sein, aber eine höchst willkommene und sehenswerte Ergänzung. Schade, dass es Puccinis einziger Western geblieben ist.

Cover+ Bilder  © Plaion Pictures, Explosive Media

  • Titel: Glut der Sonne
  • Originaltitel: I Dove si spara di più
  • Produktionsland und -jahr: Italien, Spanien 1967
  • Genre: Western, Italo-Western
  • Erschienen: 25.05.2023
  • Label: Plaion
  • Spielzeit:
    89 Minuten auf 1 Blu-Ray
    86 Minuten auf 1 DVD
  • Darsteller:
    Peter Lee Lawrence
    Cristina Galbó
    Andrés Mejuto
    Piero Lulli
    Peter Martell
    Maria Cuadra
  • Regie: Gianni Puccini
  • Drehbuch: María del Carmen Martínez Román
    Bruno Baratti (story, uncredited)
  • Kamera: Mario Montuori
  • Schnitt: Rosa G. Salgado
    Amedeo Giomini
  • Musik: Gino Peguri
  • Extras: Shakespeare in the West, Western-Trailershow, Bildergalerie
  • Technische Details (DVD)
    Video:
    16:9, 2.35:1
    Sprachen/Ton:
    D, E, IT, Dolby Digital 2.0
    Untertitel:
    D
  • Technische Details (Blu-Ray)
    Video:
    16:9, 2.35:1
    Sprachen/Ton:
    D, E, IT, PCM 2.0
    Untertitel: D
  • FSK: 16
  • Sonstige Informationen:
    Produktseite
    Erwerbsmöglichkeiten


Wertung: 11/15 dpt

 


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