Familie Bloodworth: Hinterwäldler aus Ackerman’s Field
Die Familie des jungen Fleming Bloodworth lebte einst gemeinsam am Rande von Ackerman’s Field, einer kleinen Stadt in Tennessee. Großvater E. F. Bloodworth hatte jedoch einen Hang zur Gewalt, schoss einst einen Hilfssheriff nieder, landete im Gefängnis und lebte lange in Little Rock, Arkansas, wo er als Banjospieler sein Geld verdiente. Nun will er nach zwanzig Jahren zur Familie zurückkehren, nachdem er einen Schlaganfall erlitten hat. Da er damals seine Frau Julia einfach sitzen ließ, ist sein Sohn Brady gar nicht erfreut. Er verabscheut seinen Vater und will um jeden Preis vermeiden, dass dieser Kontakt zu Julia aufnimmt.
Familie Bloodworth entspricht dem klassischen Typus amerikanischer Hinterwäldler, die Eigenschaften des Vaters färben auf dessen drei Söhne ab. Brady ist einer Art religiösem Wahn verfallen und glaubt, unliebsame Menschen mit einem Fluch belegen zu können. Warren ist ein Weiberheld, der sehr selten nüchtern anzutreffen ist und weit entfernt lebt. Bliebe noch Boyd, der Vater von Fleming, dessen Frau ihm Hörner aufgesetzt hat. Sie ist mit einem anderen Mann durchgebrannt und das geht nun mal gar nicht, weswegen sich Boyd auf den Weg nach Detroit, Michigan, macht, wo er seine Frau und ihren Liebhaber vermutet.
Fleming schwieg, doch sein Magen zog sich dabei zusammen. Wenn ein anderer Mann diese Worte aussprach, konnten sie alles Mögliche bedeuten, doch bei Boyd hieß es schlicht und einfach, dass er tatsächlich jemandem die Kehle durchschneiden würde
In all diesem familiären Chaos bleibt der junge Fleming allein zurück, lebt mitunter tagelang im Wald. Einer seiner Bezugspunkte ist ausgerechnet sein Cousin Neal, Warrens Sohn, der schwer auf seinen Vater kommt und jegliche Verantwortung für sein Verhalten ablehnt. Vermutlich versteht er es auch einfach nicht. Verantwortung, was soll das sein? Flemings Freund Junior Albright ist ebenfalls ein Sonderfall, dessen Verstand, so man von einem solchen denn überhaupt sprechen möchte, nur bedingt messbar ist. Er hält sich für einen der ganz Großen, baut dafür jedoch reichlich Mist. Und so haben letztlich alle ihre selbstverschuldeten Probleme und einen Alltag, in dem sie sich bequem eingerichtet haben. Irgendwie halt und wenn jemand dumm daherkommt, gibt’s halt Ärger. Die Lösung erfolgt auf amerikanische Art, zur Not mit Waffengewalt.
Gelingt der Ausbruch aus dem tristen Alltag?
„Provinzen der Nacht“ ist der zweite Roman Von William Elbert Gay (1941-2012), dessen zweiter Vorname übrigens für das „E“ in E. F. für Flemings Großvater steht. Zuvor wurde Gray in Amerika mit seinem Debütroman „The Long Home“ (1999) bekannt und mit Autoren wie Cormac McCarthy und William Faulkner verglichen. Das vorliegende Werk ist ein düsterer Familienroman, ein stückweit Coming-of-Age und vor allem eine gekonnte Beschreibung des ländlichen Familienlebens in den Südstaaten Amerikas, hier in Tennessee im Jahr 1952, wo alle primär oder gar ausschließlich an sich denken.
„Mein Familienleben ist verdammt noch mal in Ordnung.“
„Ihr Südstaatler. Ich lebe seit fünfzehn Jahren hier und werde euch nie verstehen.“
„Wir kommen sehr gut allein zurecht.
Die unterschiedlichen Figuren stehen abwechselnd im Fokus der Handlung, die sich jedoch maßgeblich auf Fleming fokussiert, der eines Tages die sechzehnjährige Raven Lee kennenlernt und sich prompt in diese verliebt. Fleming will nicht so enden wie der Rest seiner Familie, sich nicht mit dem omnipräsenten Fatalismus abfinden sowie der geistigen Dumpfheit, die nicht selten in Gewalt umschlägt. So bleibt bis zum Ende, welches nicht alle erleben werden, eben genau jene Frage: Wird Fleming es schaffen, diesem Teufelskreis zu entfliehen? Er wäre der erste Bloodworth seit Generationen.
Großartig erzählt William Gay mit gutem Blick auf die nicht selten alles bestimmenden Nichtigkeiten des Alltags und ein buntgemischtes Potpourri skurriler Figuren, die sich jede Menge Ärger einholen, oft aus reiner Gedankenlosigkeit. Willkommen bei den Hinterwäldlern in Ackerman’s Field.
- Autor: William Gay
- Titel: Provinzen der Nacht
- Originaltitel: Provinces of Night. Aus dem Amerikanischen von Susanne Goga-Klinkenberg
- Verlag: Argon
- Umfang: 359 Seiten
- Einband: Hardcover
- Erschienen: Februar 2001
- ISBN: 3-87024-526-3
Wertung: 12/15 dpt