Beklemmender Outback Noir
Cobb ist ein verschlafenes Nest im Outback. Früher lebten hier einmal fünftausend Menschen, ein Touristendorf entstand. Dann baute der Staat ein Internierungslager für Einwanderer, versprach zahlreiche Arbeitsplätze, doch diese entstanden nur im Lager selbst. Mit Cobb selbst ging es hingegen drastisch bergab, viele vor allem jüngere Menschen zogen weg. Leerstehende Geschäfte, Alkohol und Meth beherrschen inzwischen den Alltag sowie der Hass der alten Einheimischen gegen das als „Braunenhaus“ verschriene Lager, während Weiße und Schwarze irgendwie miteinander auskommen, wenngleich es zwei Kneipen gibt; eine für die Whitefellas, eine für die Blackfellas.
Am Rande des Stadions wird die Leiche der Grundschullehrerin Molly Abbott gefunden. An einen Baum gefesselt wurde sie augenscheinlich gesteinigt. Klar, dass die Muslime im Lager in Verdacht geraten, von Ehrenmord ist die Rede, die Stimmung heizt auf. Sergeant Bill Fyfe, ranghöchster Polizist im Ort, steht vor einem explosiven Fall, wobei er lieber erstmal ein paar Whisky schlürft und am Folgetag ebenfalls durch Untätigkeit auffällt; schließlich ist Sonntag der Tag des Herrn, da soll die Arbeit ja bekanntlich ruhen.
Detective Sergeant George Manolis von Major Crimes eilt zur unerwünschten Hilfe und steht schnell vor Problemen. Beweismittel, so es welche gibt, wurden schlampig erfasst, Tatortfotos auf Polaroid aufgenommen und der Obduktionsbericht ist auffällig dünn. Zudem wird gleich in der ersten Nacht sein Auto abgefackelt. Fyfe, dem Alkohol verfallen, glänzt durch konsequente Abwesenheit, will mit dem „Großstadtfuzzi“ nichts zu tun haben. Blieben noch Constable Kate Kerr, die noch den Tod ihres Verlobten zu verarbeiten hat und im Ort unter frauenfeindlichen Anzüglichkeiten leidet, wodurch sie schlichtweg alles ankotzt, und Constable Andrew „Sparrow“ Smith, der es ebenfalls alles andere als leicht hat. Für sein Volk, die Aboriginals, gilt er als Verräter, für die Weißen ist er nur ein Schwarzer. Zu allem Überfluss ist er auch noch homosexuell.
Bemerkenswerter Start der George-Manolis-Reihe
Der Start der George-Manolis-Reihe kommt zunächst mit bekannten Mustern daher. Ein in Scheidung lebender Ermittler aus der großen Stadt steht hinterwäldlerischen Dörflern gegenüber. Zudem Kollegen, die aus unterschiedlichen Gründen nicht motiviert sind, sowie ein Lager, in dem eigene Regeln gelten und frustrierte Aufseher zu ihrem Spaß die Migranten quälen. Manolis, selbst Sohn von griechischen Migranten, wohnt vorrübergehend in dem im steilen Verfall befindlichen Touristendorf bei Rex und Vera Boyd; alte Freunde von Manolis kürzlich verstorbenem Vater. Manolis fühlt sich bald unwohl, denn die Boyds entpuppen sich als religiöse Fanatiker und lupenreine Rassisten, womit sie nicht die einzigen in Cobb sind. Menschlichkeit ist wichtig, na klar, aber bitte nur bis zur Landesgrenze.
Das große Thema unserer Zeit, Krieg und Vertreibung, sowie die damit einhergehenden Probleme werden von Papathanasiou facettenreich beleuchtet, womit der Autor auch gleich einen Teil seiner eigenen Vergangenheit aufarbeitet. Der schwelende Rassismus bei den Weißen, die einst selbst die Ureinwohner vertrieben, ist allgegenwärtig. Die Verachtung der Aboriginals gegenüber den Weißen, verkörpert durch Sparrow, ebenfalls, und wie es dann oft so ist, man vereint sich gegen die Schwächsten, hier die Neuankömmlinge, die im Lager ein menschenunwürdiges Leben führen.
„Die meisten meiner Leute sind bei diesem Umzug gestorben“, sagte Sparrow. „Mann, wir sind Flüchtlinge in unserem eigenen Land. Genau wie die Blackfellas in Amerika, die aus dem Süden fliehen mussten, damit sie nicht aufgehängt wurden.
Alkohol und Meth haben den Ort fest im Griff, Frauen und junge Mädchen gelten mitunter als Freiwild, dazu Rassismus in all seinen grässlichen Formen. Schön zu lesen ist der Roman nicht immer und manche Aussagen erinnern an die unzähligen Hasskommentare in den sogenannten sozialen Medien. Die Vorurteile wirken stellenweise ein wenig stereotyp, gleichwohl versteht es Papathanasiou die Schwelle zum billigen Klischee nicht zu überschreiten. Wer aus der täglichen Berichterstattung seriöser Medien nicht schon genug von dem Themenkomplex hat, findet hier einen spannenden und atmosphärisch außergewöhnlichen Krimi, der zahlreiche Argumente und Hintergründe zur Diskussion stellt. Dies alles vor der beeindruckenden Landschaft des Outbacks, wo schon mal unzählige Kängurus in Kampfstellung am Straßenrand stehen. In gewisser Hinsicht ist Cobb ebenfalls „beeindruckend“. Ein dystopisch anmutender Ort, der dem Untergang geweiht scheint. Man mag vom vielzitierten „Vorhof zur Hölle“ sprechen. Lesenswert!
- Autor: Peter Papathanasiou
- Titel: Steinigung
- Originaltitel: The Stoning. Aus dem australischen Englisch von Sven Koch. Mit einem Nachwort von Lore Kleinert
- Verlag: Polar
- Umfang: 368 Seiten
- Einband: Taschenbuch
- Erschienen: März 2023
- ISBN: 978-3-948392-70-3
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Wertung: 12/15 dpt