“Ich werde geliebt. Ich bin etwas Besonderes. Ich genüge mir. Ich bin erfolgreich.” Cecilia hat gerade als Mental Health- und Meditations-Influencerin “Sincerly Cecilia” die 200 000-Follower-Grenze überschritten. Sie ist heiter, ruht in sich selbst und ist glücklich. So scheint es. Sie preist die “Elon Mask” an (ein feiner kleiner Ulk am schwarzhumorigen Wegesrand), und eine ihre relevantesten Übungsanweisungen ist es, mit einem Seil (oder irgendetwas anderem) einen Kreis um sich bilden, in dem man sicher ist. Klingt so simpel wie überzeugend.
Aber ist da nicht ein leichtes Flackern in den Augen, das verrät, dass Cecilias mentale Konstitution doch nicht ganz so stabil ist wie sie es vorgibt? Da hilft auch keine “Glück durch Hyperventilation”-Aufmunterung. Mit Geräuschen, die man auch als panisch interpretieren kann. Kleiner Verweis auf kommende Ereignisse.
Das wird gleich auf die Probe gestellt, als Cecilia ihre Kindheitsfreundin Emma trifft, zu der sie gut zwölf Jahre keinen Kontakt mehr hatte. Die Freude über das Aufeinandertreffen ist groß und mutet ehrlich an, auch wenn Emma das verhasste “Sissy” benutzt. Doch der gemeinsame Abend mit Emma und ihrer Verlobten Fran wird vergnüglich und endet mit einer Einladung zum Junggesellinnenabschied. Der in einem abgelegenen Haus im australischen Outback stattfinden.
Leicht überrumpelt lässt Cecilia sich darauf ein, und der zweite Akt kann beginnen. Ein verwesender Hund und ein verletztes, blutendes Känguru, dass per Autoreifen den Gnadenstoß erhält, deuten explizit an, dass wir den Bereich der Sozialkomödie verlassen werden.
Die Partygesellschaft erweist sich bald als toxisch für Cecilia, gehört doch jene Alex dazu, die Cecilia nicht nur die beste Freundin ausspannte, sondern sie auch penetrant zur “Sissy” machte, jenem fies gepiesackten Wesen voller Angst und Verunsicherung, dem die Lifestyle-Influencerin nur allzu gerne entkommen möchte. Zu Schulzeiten wurde der Zerreißpunkt bereits einmal überschritten, und Alex’ Gesicht machte unliebsame Bekanntschaft mit der scharfen Kante einer Sandkastenschaufel. Die Narbe erinnert sie immer noch an Cecilias Wutanfall.
Die vergangenen Jahre haben Alex nicht verträglicher gemacht. Sie triezt und provoziert die junge Frau, sorgt für deren Ausgrenzung. Emmas halbherzige Versuche Frieden zu stiften und Cecilia zu integrieren, fruchten nicht.
Eine neue Gewaltspirale setzt sich in Gang, die Scheintote, Verletzte und echte Leichen produziert. Bevor alles mit einem hübsch abgründigen Schlussgag endet. “Nenn sie nicht Sissy” ist eine weitgehend unterhaltsame Mischung aus Social-Media-Satire und derbem Slasher. Die Gewaltspitzen sind deftig, Emma-Darstellerin und Regisseurin Hannah Barlow sowie ihr Regiekollege und Co-Autor Kane Senes zerstören graphisch sehr anschaulich schöne Körper und Gesichter. Da nutzt auch die Elon Mask nichts mehr.
Der Zusammenprall von bonbonbunter Influencer-Welt und satt rotem Blutfluss gelingt ganz ordentlich, der satirische Anteil hätte schärfer ausfallen dürfen. Die Inszenierung ist ebenfalls solide, neben visuellen Highlights existiert aber auch eine etwas steife TV-Ästhetik. Sehr gefällig sind anwesenden Akteure.
Barlow funktioniert als Sympathieträgerin, Emily De Margheriti (Alex) als mobbende Zicke. Besonders gut setzt sich Aisha Dee als Cecilia in Szene. Zwischen optimistischer Möchtegern-Erfolgstrainerin und Frau am Rande des Nervenzusammenbruchs (und darüber hinaus) changiert sie geschickt und angenehm unnervig. Sie liefert eine fiebrige Performance ab, die ihren unterschiedlichen Gemütszuständen gerecht wird. Der Rest der Besetzung ist funktionales Beiwerk.
“Nenn sie nicht Sissy” ist jene Art achtbarer B-Ware, die dem aktuellen Kino guttut. Überschaubare Länge, keine groben Ausfälle in inszenatorischer und darstellerischer Hinsicht, ansprechend in seiner etwas zahmen, aber unverstellt inszenierten Gesellschaftskritik und rabiat in seinen Gewaltspitzen. Birst nicht über vor böser Komik und bluttriefender Spannung, hat aber von allem genug, um über seine Laufzeit weidlich zu unterhalten, ohne die Intelligenz zu beleidigen.
Cover+ Bilder © Plaion Pictures
- Titel: (Nenn sie nicht) Sissy
- Originaltitel: Sissy
- Produktionsland und -jahr: Australien, 2022
- Genre: Horror, Komödie, Satire, Slasher
- Erschienen: 23.02.23
- Label: Plaion
- Spielzeit:
98 Minuten auf 1 DVD
102 Minuten auf 1 Blu-Ray - Darsteller: Aisha Dee
Hannah Barlow
Emily De Margheriti
Daniel Monks
Yerin Ha
Lucy Barrett
Shaun Martindale - Regie: Hannah Barlow
Kane Senes - Drehbuch: Hannah Barlow
Kane Senes - Kamera: Steve Arnold
- Schnitt: Margi Loy
- Musik: Kenneth Lampl
- Extras: Trailer
- Technische Details (DVD)
Video: 2.39:1 (16:9)
Sprachen/Ton: Deutsch, Englisch, Dolby-Digital 5.1
Untertitel: Deutsch - Technische Details (Blu-Ray)
Video: 2.39:1 (16:9)
Sprachen/Ton: Deutsch, Englisch, DTS-HD Master Audio 5.1 - Untertitel: Deutsch
- FSK: 18
- Sonstige Informationen:
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Erwerbsmöglichkeit
Wertung: 10/15 dpt