Robert Brack – Und das Meer gab seine Toten wieder (Buch)

True Crime: Ein Polizeiskandal in dunkler Zeit

Und das Meer gab seine Toten wieder
© Edition Nautilus

Im Juli 1931 werden auf der Insel Pellworm die Leichen von zwei Frauen gefunden. Therese Dopfer und Maria Fischer arbeiteten für die Weibliche Kriminalpolizei in Hamburg und begingen angeblich Selbstmord. Wenig später wird die WKP aufgelöst, gegen die Leiterin Josephine Erkens ein Disziplinarverfahren eingeleitet. Bis dahin galt die WKP in Hamburg international als vorbildlich, warum sollte also wegen eines vermeintlichen Doppelselbstmordes die ganze Abteilung aufgelöst werden? Um dieser Frage nachzugehen und weil man sich Sorgen um die angesehene Erkens macht, schickt die International Policewomen’s Association (I.P.A.) Jennifer Stevenson nach Hamburg. Dort wird sie von Berta Winter in Empfang genommen und fortan begleitet.

Ich darf doch gar keine Aussagen aufnehmen. Aber ich habe die Absicht, eine Menge Fragen zu stellen, und wäre dir sehr dankbar, wenn du mich jetzt zur Polizeizentrale bringen könntest. Vielleicht erwartet man mich ja schon.“
„Das glaube ich eher nicht.

Schnell merkt Stevenson, dass Winter nur als Aufpasserin an ihrer Seite steht, die die geplanten Befragungen eher behindert. Auch der stellvertretende Polizeipräsident Dr. Schlanbusch macht Stevenson deutlich, was er von ihrer Anwesenheit hält. Gar nichts. Dennoch bleiben Fragen. Kaum wurden die Leichen gefunden, wurden sie begraben. Wohlgemerkt auf Pellworm, nicht in Hamburg, wo die Frauen lebten. Einen Obduktionsbericht gibt es mangels Obduktion nicht, dafür aber einen maschinell geschriebenen Abschiedsbrief fraglicher Herkunft.

Sie sollen ins Watt gelaufen sein und sich mit ihren Dienstpistolen umgebracht haben.“
„Wir hatten doch gar keine Pistolen!“
„Ich weiß. So stand es aber in mehreren Zeitungen, sogar in einigen aus Berlin, München und Köln. Andere berichteten, die beiden hätten sich aneinandergefesselt, um gemeinsam zu ertrinken. Ein eigenartiges Bild, oder? Zwei Menschen stehen gefesselt im Watt und warten auf die Flut … Dann hieß es einmal: vergiftet. Fährt man ans Meer, um sich zu vergiften? Kann man das nicht genauso gut zu Hause erledigen?

Stevenson trifft auf eine Mauer des Schweigens und erhält ausgerechnet von Klara Schindler, einer kommunistischen Reporterin, Unterstützung. Da Erkens noch am Tag von Stevensons Ankunft in den Hungerstreik tritt, ist diese vorerst nicht zu sprechen. Bald ist die britische Ermittlerin von Feinden umgeben und gerät in tödliche Gefahr.

Packende Atmosphäre in jeder Hinsicht

Der geschilderte Fall beruht auf einer wahren Begebenheit und schildert einen Polizeiskandal, der nicht nur den politischen Rahmenbedingungen geschuldet ist. Es stehen Senatswahlen an. Nationalsozialisten, Sozialisten und Kommunisten bringen sich in Stellung. Bei der Polizei gibt es verschiedene Lager, alle darauf bedacht, ihren Nutzen aus den sich ändernden Verhältnissen zu ziehen. So bietet der Tod der beiden Polizistinnen einen vorzüglichen Vorwand, die ungeliebte Weibliche Kriminalpolizei aufzulösen. Obwohl die eigentliche Handlung erst einige Monate später spielt, erhält man interessante Einblicke in die Arbeit und die Aufgaben der Frauenpolizei. Zentrale Figur ist Josephine Erkens (1889-1974), die diesbezüglich Pionierarbeit leistete, aber an der Entwicklung der hier geschilderten Vorgänge nicht unbeteiligt war.

Aber die Todesursache ist Ihnen bekannt.“
„Natürlich, das ist ja kein Geheimnis. Sie haben sich vergiftet.“
„Wie können Sie so sicher sein, ohne Obduktionsbericht?“
„Ich bitte Sie, es stand in allen Zeitungen.

Es ist eine undurchsichtige Gemengelage. Kein Wunder, dass vor lauter Widersachern die Ich-Erzählerin Stevenson nicht immer durchblickt. Sie rennt permanent gegen eine Wand, niemand will ihr wirklich helfen. Vertuschen ist angesagt und wer hier mit welcher Intention die Fäden zieht bleibt lange unklar. Gleiches gilt für die Todesursache. War es wirklich Selbstmord oder gar ein Auftragsmord? Beeindruckend schildert Robert Brack aka Virginia Doyle die damalige Zeit, die bedrückende Atmosphäre bei der Hamburger Polizei, in der nur noch die Männer dominieren. Dass Stevenson letztlich Unterstützung bei den Kommunisten sucht ist der Tatsache geschuldet, dass die anderen politischen Strömungen in den Vorfall auf verschiedene Art involviert sind und einen gemeinsamen Gegner haben; die Kommunisten.  

Wer sich für True Crime, die Geschichte der Polizei und insbesondere der Weiblichen Polizei interessiert, findet hier knisternde Spannungslektüre. Noch sind die Nationalsozialisten nicht an der Macht, noch machen sich (fast) alle schuldig. Düstere und intensive Zeitreise mit einer einnehmenden Protagonistin sowie einem Skandal, der es in sich hat.

  • Autor: Robert Brack
  • Titel: Und das Meer gab seine Toten wieder
  • Verlag: Edition Nautilus
  • Umfang: 224 Seiten
  • Einband: Taschenbuch
  • Erschienen: Juni 2008
  • ISBN: 978-3-89401-574-9
  • Produktseite


Wertung: 12/15 dpt

Teile diesen Beitrag:
Schreibe einen Kommentar

Hinweis: Mit dem Absenden deines Kommentars werden Benutzername, E-Mail-Adresse sowie zur Vermeidung von Missbrauch für 7 Tage die dazugehörige IP-Adresse, die deinem Internetanschluss aktuell zugewiesen ist, in unserer Datenbank gespeichert. E-Mail-Adresse und die IP-Adresse werden selbstverständlich nicht veröffentlicht oder an Dritte weitergegeben. Du hast die Option, Kommentare für diesen Beitrag per E-Mail zu abonnieren - in diesem Fall erhältst du eine E-Mail, in der du das Abonnement bestätigen kannst. Mehr Informationen finden sich in unserer Datenschutzerklärung.

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Ähnliche Beiträge

Du möchtest nichts mehr verpassen?
Abonniere unseren Newsletter!

Total
0
Share