Von einer, die bei sich selbst ankommt
Nienke Nauta, dreißig, kehrt nach einigen Jahren auf See in ihre Heimatstadt zurück. Die junge Frau ist Skipperin, war also in der ganzen Welt unterwegs. Sie möchte ein wenig zur Ruhe kommen, Leute treffen und überlegen, wie es in ihrer Lebensplanung weitergeht. Ihre Abreise vor sieben Jahren hatte eher einer Flucht geglichen. Nun möchte sich Nienke den offenen Fragen in ihrem Leben stellen und den Kurs neu justieren.
Sie zieht in das Gästehaus der Familie Zeno. Nico und Mascha Zeno mit Sohn Juda hatten Nienke vor Jahren schon einmal bei sich aufgenommen als Nienkes Mutter gestorben war. Für Nienke waren die Zenos eine Art Ersatzfamilie. Diese Rolle nehmen sie erneut ein.
Auch ihren Ex-Freund Borg trifft Nienke wieder, mit dem sie erneut eine Beziehung beginnt, allerdings heimlich, da dieser inzwischen verlobt ist.
Das alte Leben, das Nienke verlassen hatte, ist noch immer da und bietet sich ihr an, aber Nienke wirkt sprunghaft und unentschlossen. Sie ist zerrissen zwischen ihrer Sehnsucht nach Geborgenheit und Ankommen-wollen einerseits und einer nur schwer zu begreifenden Distanz, die sie von den anderen trennt.
Erst nach und nach erschließt sich Nienkes Geschichte und ihr Zögern wird nachvollziehbarer. Soziale Unterschiede, Abhängigkeiten, der frühe Tod der Mutter haben sie in eine Position der Unfreiheit manövriert gegen die nun ankämpft.
Polak entwirft mit Nienke eine Figur, die uns anfangs ebenso fremd ist wie sich selbst, die mit sich ringt, die Ursachen ihres Fremdseins herauszufinden, um sich ihnen zu stellen.
Polak nutzt die präzise Beobachtungsgabe ihrer Protagonistin, um sehr feine, stellenweise intime, Porträts ihrer Figuren zu zeichnen. Der Roman wird getragen durch die leichtfüßige Erzählweise der Ich-Erzählerin, die ihre Verletzlichkeit durch frechen Witz und lockere Angriffslust tarnt. Eine junge Stimme, die sich nicht darum bemüht sympathisch zu sein und gerade dadurch sehr authentisch rüberkommt.
Die Entwicklung der Hauptfigur ist glaubhaft. Polak stellt eine Protagonistin ins Zentrum, die die traditionellen Narrative von Schwäche und Stärke in Frage stellt. Polak lässt die Unvereinbarkeit der Gegensätze zu. Das Überwinden der anfänglichen Hilflosigkeit wird nicht einfach so in ein Erstarken der Persönlichkeit umgemünzt. Zwar reift die Protagonistin an ihrer Entscheidung, aber die Grenzen zwischen Schwäche und Stärke lösen sich dadurch nicht auf. Nienke trifft eine mutige Entscheidung für sich selbst, wird jedoch auch mit deren Konsequenzen umgehen müssen.
Polak leitet aus Nienkes Entwicklung keine kitschige Glücksgarantie ab. Sie lässt Widersprüchliches als gegeben stehen. Im Original lautet der Romantitel „Gebrek is een groot woord“, also Mangel/Gebrek steht anstelle des Wortes „Zuhause“.
Das was fehlt, der Mangel, die Leerstelle, die Heimatlosigkeit, die Nienke empfindet als der Roman beginnt und die sie zu füllen versucht, bleibt am Ende bestehen. Polak entlässt ihre Protagonistin in eine offene Zukunft und das ist ein wirklich gutes Ende für diesen guten Roman.
- Autorin: Nina Polak
- Titel: Zuhause ist ein großes Wort
- Originaltitel: Gebrek is een groot woord
- Übersetzerin: Stefanie Ochel
- Verlag: mare Verlag
- Erschienen: Februar 2023
- Einband: Gebundene Ausgabe
- Seiten: 272 Seiten
- ISBN: 978-3866486683
Wertung: 12/15 dpt
