Kristina Hauff – In blaukalter Tiefe (Buch)

Kristina Hauff inszeniert in ihrem aktuellen Roman „In blaukalter Tiefe“ ein spannendes Mehrpersonenstück.

Andreas lädt seinen Mitarbeiter Daniel zur gemeinsamen Urlaubswoche ein. Er möchte den potentiellen Teilhaber seiner Anwaltskanzlei vor der großen Beförderung noch einmal unter die Lupe nehmen. Ein Segeltörn in den schwedischen Schären scheint dafür der geeignete Rahmen zu sein. Die Partnerinnen beider Männer sind mit von der Partie. Caroline, Andreas‘ Frau, die sich wünscht während des einwöchigen Trips die abgekühlte Ehe wiederzubeleben und Tanja, die ihren Lebensgefährten Daniel auf dieser wichtigen Karriereetappe unterstützen möchte. Begleitet werden die vier von Skipper Eric, einem schweigsamen Mann, der nichts von sich preisgibt.

Die Urlaubsatmosphäre ist von Beginn an bestenfalls bemüht. Sukzessive enthüllt die Autorin ein komplexes Geflecht aus Abhängigkeiten und unterschiedlichen Erwartungshaltungen. Die Stimmung verschlechtert sich unaufhaltsam. Dabei korreliert der sich anbahnende Streit zwischen den Romanfiguren perfekt mit der sich dramatisch zuspitzenden Wetterlage, die sich zu einem bedrohlichen Sturm auswächst. Das Setting, der begrenzte Raum auf der Yacht, dem Hauff den bezeichnenden Namen „Querelle“ gegeben hat, wirkt dabei wie ein zusätzlicher Katalysator auf die Ereignisse.

„Niemand glaubte mehr an Paradiese.“ (Seite 12)

Hauff stellt das Geschehen kapitelweise alternierend aus dem Blickwinkel eines jeden ihrer vier Bordgäste dar. Die Leser:innen nehmen dadurch haut- bzw. gedankennah an der psychologischen Entwicklung der Figuren teil. Während diese für die Leserschaft zum offenen Buch werden, halten sie untereinander ihre Motive und Gedanken verborgen. Die daraus resultierende Eskalation ist ebenso absehbar wie unvermeidlich.

Durch ihre Besetzungsliste bringt die Autorin unterschiedliche Lebensentwürfe in die Geschichte ein. Hauff wählt exemplarisch sehr klassische Machtverhältnisse und Geschlechterrollen. An der Spitze steht Top-Jurist Andreas, der seine Position verteidigen muss, will er seinen Status nicht einbüßen. Daniel ist der ehrgeizige Junganwalt, der Andreas nachfolgen wird, sich zuvor aber dem Älteren gegenüber beweisen muss. Caroline steht für die um ihren beruflichen Erfolg hart kämpfende Frau, die für ihre Karriere einen hohen Preis gezahlt hat. Tanja, die „nur“ als Altenpflegerin arbeitet, steht am Ende dieser Pyramide. Sie kann den sozialen Aufstieg nur über ihre Partnerschaft zu Daniel erreichen. Die gesellschaftliche Unterlegenheit, die sie empfindet, spiegelt sich deutlich in ihrem Minderwertigkeitskomplex, den sie den anderen, vermeintlich erfolgreicheren, Personen gegenüber empfindet. Mit ihren Charakteren zeichnet die Autorin insgesamt sehr authentische Porträts von hohem Identifikationspotential.

Die sozialen Gegensätze, die Abhängigkeiten, die Geschlechteraufteilung – all das wird zur Ausgangslage für die Konflikte an Bord.

Die Zuspitzung geschieht wie im Zeitraffer. Hauff nährt das hohe Tempo der Handlung mit der inneren Entwicklung ihrer Figuren. Dabei geht sie recht hastig vor. Der rasanten Radikalisierung innerer Ansichten fehlt es stellenweise dadurch etwas an Tiefe. Nicht immer ist die psychologische Entwicklung einzelner zu 100% nachvollziehbar.

Trotzdem: Die Spannungssteigerung gelingt bis zum lange offen gehaltenen Schluss. Dafür nutzt die Autorin die Figur des Skippers Eric, dessen Motive bis kurz vor Ende im Dunkeln bleiben. Er ist die einzige Person, dessen Erzählperspektive nicht stattfindet.

Alles in allem liest sich der Roman sehr leicht weg. Hauffs Sprache ist klar und fokussiert darauf, die Handlung temporeich voranzubringen.

Hauff, die selbst eine passionierte Seglerin ist, beschreibt detailliert das Leben an Bord. Mit gutem Gespür integriert sie das passende Fachvokabular in ihr Erzählen, behutsam dosiert ohne den Laien zu überfordern. Das Meer ist bei ihr mehr als nur eine dekorative Kulisse. Küstenlandschaft und Wetter beeinflussen die Handlung sehr direkt. Psychodrama und Handlungsort verschmelzen zu einem atmosphärisch sehr stimmigen Gesamtbild. Die menschlichen Abgründe, die sie psychologisch auslotet, sind die eigentlichen Untiefen, in die ihre Figuren geraten.

Fazit: Ein hochunterhaltsamer Roman mit komplexen Charakteren vor lebendig inszenierter Naturkulisse.

  • Autorin:  Kristina Hauff
  • Titel:  In blaukalter Tiefe
  • Verlag: hanserblau
  • Erschienen:  Februar 2023
  • Einband:  Gebundene Ausgabe
  • Seiten:  288 Seiten
  • ISBN: 978-3446275812


Wertung: 12/15 dpt

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