Joe R. Lansdale – Die Wälder am Fluss (Buch)


Jack the Ripper, Tom Sawyer, Huckleberry Finn und ein elfjähriger Held

Die Wälder am Fluss
© Dumont

Marvel Creek im Osten von Texas ist ein verschlafenes Nest. Es gibt gerade einmal zwei Straßen, kaum Autos und Friseur Jakob ist gleichzeitig der Constable. Dessen elfjähriger Sohn Harry soll eigentlich seinen schwerverletzten Hund im Wald erschießen und beerdigen, doch er bringt dies nicht fertig und verläuft sich mit seiner jüngeren Schwester an den Sabine River, wo er eine grausige Entdeckung macht. An einer großen Eiche findet er die Leiche einer jungen, farbigen Frau. Nackt, brutal entstellt und mit Stacheldraht gefesselt. Jakob beginnt zu ermitteln, doch seine Recherchen werden beim weißen Teil der Bevölkerung nicht gern gesehen. So weigert der örtliche Arzt, die Leiche in seiner Praxis zu untersuchen, aus Angst, die weiße Kundschaft würde fortan wegbleiben.

In Pearl Creek, eine Stadt, in der fast ausschließlich Farbige leben, untersucht Doktor Tinn die Leiche, während wenig später der dortige Constable Red Woodrow Jakob nachdrücklich bittet, die Ermittlungen einzustellen. War der Mörder ein Farbiger, sollen die das unter sich ausmachen, war es ein Weißer, interessiert es eh‘ keinen. Willkommen in den Südstaaten Amerikas im Jahr 1933.

Meine Leute sind wie Spreu, weißt du – sie werden einfach weggeweht, und keinen kümmert’s. Da musst du schon ‘nen Weißen um die Ecke bringen, damit du bestraft wirst.“
„Das ist nicht gut.“
„Besser, du sagst das nicht zu laut. Sonst hast du die Kluxers am Hacken.

Jakob lässt sich nicht beirren, beginnt aber einen Fehler, indem er einen Farbigen verhaftet, der wenig später einem Lynchmob zum Opfer fällt. Jakob verfällt dem Alkohol, die allgemeine Lage hingegen scheint sich zu beruhigen. Nur Harry und seine Großmutter June sind weiter an dem Fall interessiert. War es am Ende doch der sagenumwobene Ziegenmann, der entlang des Sabine River sein Unwesen treiben soll? Nur eines ist klar: Weitere Leichen folgen.

Ein Serienmörder unter Rassisten

Das Werk des zahlreich preisgekrönten Joe R. Lansdale ist ebenso umfassend wie abwechslungsreich. Am bekanntesten dürfte seine Hap-und-Leonard-Reihe sein, über deren Protagonisten es einmal hieß: „Kein Hirn, aber Waffen.“ Der vorliegende Roman „Die Wälder am Fluss“ ist dagegen ein „normaler“ Krimi, nur, dass er auffallend stark aus der Masse herausragt. Nicht wenige Lansdale-Fans sehen hier sein Meisterwerk, welches in der Originalausgabe bereits im Jahr 2000 erschien.

Der elfjährige Harry erzählt rückblickend seine aufregendste Zeit in den Jahren 1933 und 1934, in der sich eine Reihe brutaler Frauenmorde in Marvel Creek sowie in den Wäldern am Fluss ereignen. Die Frauen sind überwiegend Prostituierte, werden brutal verstümmelt und daher sind Anleihen bei Jack the Ripper unübersehbar. Zur Sicherheit wird der berühmte Fall im Roman wiederholt erwähnt, denn mit versteckten Hinweisen hält sich Lansdale nicht auf. So hat Großmutter June einige Bücher im Gepäck als sie bei ihrer Tochter und deren Familie einzieht, darunter „Die Abenteuer des Huckleberry Finn“. Mark Twain lässt grüßen, der in die Kritik geriet, da in seinen Romanen das Wort „Nigger“ vorkam. Dies war jedoch dem Fakt geschuldet, dass es damals übliche Sprachpraxis war, worauf sich auch Lansdale in seinem Roman bezieht. Anfang der 1930er Jahre ist zwar die Sklaverei längst abgeschafft, die Rassentrennung vor allem in den Südstaaten jedoch allgegenwärtig. Darauf hinzuweisen und welche Folgen dies im Alltag hatte, ist ein zentrales Anliegen des Autors, der das N-Wort häufig verwendet, um dessen verletzende Art greifbar zu machen. Alltagsrassismus wohin man sieht, allein Harrys Familie scheint die rühmliche Ausnahme zu sein. Schlecht nur, dass Jakob nie eine Ausbildung als Polizist hatte.

Ich hab im Krieg so einiges gesehen. Aber es war Krieg, kein Verbrechen. Ich war erst fünfzehn. Ich hatte mich für älter ausgegeben und kam damit durch, weil ich so groß war. Sie schickten mich nach Frankreich. Ich hätt’s besser gelassen.

Lansdale hat einen literarischen Schreibstil mit großer Sogkraft. Seinem jungen Helden wider Willen, der noch nicht alles versteht, gleichwohl aber einen sehr ausgeprägten Gerechtigkeitssinn hat, folgt man gerne. Während für die „Kluxer“ im Dorf die Sache klar ist, geht das muntere Morden später weiter. Dass der Lynchmob folglich einen Unschuldigen hängte, verändert das Leben im Ort nur geringfügig. Nicht alle ziehen Konsequenzen, sondern tragen weiterhin ihre Kapuzen und sei es nur in Gedanken sowie im täglichen Sprachgebrauch. Dummheit und Bosheit, eine toxische Mischung sowie idealer Nährboden für fatale Entwicklungen.

Ich kenne mich mit Ertrunkenen ganz gut aus. In der Flut vor fünf Jahren sind fünfundzwanzig Menschen gestorben. Ich weiß, wie Ertrunkene aussehen.“
„Fünfundzwanzig Menschen? Vor fünf Jahren … komisch, ich erinnere mich gar nicht daran.“
„Es war auch kein Weißer unter den Opfern.“
„Oh.

Die Dörfler sind unter sich und regeln ihre Probleme selbst, gefangen in Vorurteilen und Aberglaube. Selbst die von Harry geliebten Kriminalromane helfen bei der Aufklärung der Mordfälle nur bedingt. Die Erzählweise ist auffallend ruhig und atmosphärisch grandios. Schlägt aber der Mörder zu wird es im Ergebnis brutal, wobei die Gespräche von Jakob mit einigen Weißen nicht weniger erbarmungslos sind, angesichts ihrer menschenverachtenden Ansichten.

Ein packender Krimi, ein sympathischer Held und ein moralischer Weckruf, der noch immer hochaktuell ist.

  • Autor: Joe R. Lansdale
  • Titel: Die Wälder am Fluss
  • Originaltitel: The Bottoms. Aus dem Englischen von Mariana Leky
  • Verlag: Dumont
  • Umfang: 366 Seiten
  • Einband: Taschenbuch
  • Erschienen: Januar 2004
  • ISBN: 978-3-8321-6152-1


Wertung: 13/15 dpt


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