Mutige Inszenierung einer Post-Apokalypse
Eins vorweg: „Es gibt uns“ von Elisabeth Klar hat mich – die ich mir einbilde eine durchaus erfahrene Leserin zu sein – an meine Schmerzgrenze gebracht. Denn es gab einfach irgendwann den Punkt, an dem ich weder in der Lage noch willens war, der Autorin länger zu folgen. Daher werde ich hier anstelle einer klassischen Rezension mit einem persönlichen Erfahrungsbericht reagieren.
Elisabeth Klar entführt uns nach Anemos, in eine verstrahlte verseuchte Stadt, irgendwo in einer unbestimmten Zukunft. Menschen gibt es längt nicht mehr, dafür eine Gesellschaft aus phantastischen Misch- und Mutantenwesen. Das biologische Gleichgewicht in diesem dystopischen Szenario ist fragil. Im Rahmen eines jährlich stattfindenden quasi religiösen Festes beschwören die Bewohner Anemos‘ den Fortbestand ihrer gefährdeten Welt. Mittelpunkt der Feierlichkeiten ist eine pompöse Theateraufführung, die die apokalyptische Schöpfungsgeschichte nacherzählt, um so das Fortbestehen aller zu sichern. Dieses Theaterstück wird im Folgenden detailliert wiedergegeben.
Bei ihrer Inszenierung spielt die Autorin mit archaischen Strukturen. Wie im Antiken Theater gibt es keine Individuen, sondern nur schablonenhafte Akteure die rituelle Rollen einnehmen. Ihr Theater ist ein transzendenter Raum, in dem mythologische Figuren wie Titania und Oberon in einen neuen Kontext gestellt werden. Und während die Darsteller wortgewaltige Monologe halten, die in etwa so natürlich rüber kommen wie die üppig-geschwollenen Wortkaskaden in einer barocken Tragödie, fühle ich mich in meinen Deutschunterricht der siebten Klasse zurück versetzt und verstehe nur Bahnhof.
Klars extravaganter Stil vereitelt jede Bemühung ihrer Leser:innen, eine emotionale Nähe zu den Protagonisten aufzubauen. Doch ohne Emotionalität gibt’s auch keine Empathie. Der Text bleibt im Deskriptiven verhaftet. Dadurch machte sich bei mir sehr bald Gleichgültigkeit breit. Mich ging das alles einfach nichts an. Das beschriebene „uns “ hat mit mir nichts zu tun.
Die Autorin geht mit ihren detailreichen Beschreibungen sehr verschwenderisch um. Sie provoziert gezielt um Effekt zu erregen. Sie mixt Ekeliges übergangslos mit erotischen Anspielungen. Ich empfand die nicht endenden Aufzählungen von Schleim, Sekret und Glibber, sich öffnenden Knospen auf nackter Haut, sich reibenden Lust bereitenden Körperteilen allerdings sehr bald schon als redundant und langweilig.
Natürlich erkenne ich, welche Botschaft die Autorin mit ihrem Text transportiert. Die Parallelen zu unserer ökologisch prekären Situation sind offensichtlich. Die im Roman beschriebene Welt ist ein hochgefährdetes Ökosystem, das sich als lebensfeindlicher Raum längst gegen die eigenen Bewohner gewendet hat.
„Zu viel ist nicht ersetzbar. Passt auf, denn ihr tragt selbst die Folgen eures Handelns. Was du kaputt machst, musst du richten – so soll es sein.“ (S. 66)
Das Zukunftsszenario der Autorin ist eine Mahnung. Die gezeigte Utopie verheißt alles andere als Fortschritt. Eigentlich ist sowieso schon alles zu spät. Die Zukunft, die Elisabeth Klar vor uns ausbreitet, ist Rückschritt, ist ein Versinken in eine posthistorische Epoche, in der keine menschliche Zivilisation übrig bleibt.
Trotzdem will der Funke bei mir einfach nicht überspringen. Die im Roman abgebildete Wirklichkeit ist so stark verfremdet, dass ich mit ihr schon nichts mehr zu tun haben will.
Ohne Frage: Elisabeth Klar ist eine versierte Wortkünstlerin. Sie pflanzt eindringliche Bilder in mein Kopfkino. Ich sehe Ausgeburten der Hölle aus einem Hieronymus Bosch Gemälde vor mir. Tumore sprießen auf schuppigen Körpern wie Knospen auf einer Frühlingswiese. Es krabbelt und kratzt und beißt. Es glibbert und klammert sich ineinander. Das Ganze ist ein nicht enden wollender Albtraum, in dem alles, was je menschlich gewesen ist, längst jede Bedeutung verloren hat. Vielleicht rührte ein Teil meines Schmerzes beim Lesen auch daher.
Aber das größte Problem bestand für mich darin, dass ich absolut keinen Zugang in die Geschichte fand. Dass alles für mich reine Dekoration blieb. Kunstvoll arrangiert, aber ohne Seele. Dass die Wortspielereien– so geschickt sie auch komponiert sind – auf Dauer nur Langeweile in mir auslösten.
„Es gibt uns“ ist ein Roman, den ich daher nur den sehr experimentierfreudigen Leserin:innen unter uns mit gutem Gewissen empfehlen mag. Wer eine Lektüre außerhalb jeder Komfortzone nicht scheut, wird einen Text zu lesen bekommen, den er so garantiert noch nie gelesen hat.
- Autorin: Elisabeth Klar
- Titel: Es gibt uns
- Verlag: Residenz Verlag
- Erschienen: Januar 2023
- Einband: Gebundene Ausgabe
- Seiten: 192 Seiten
- ISBN: 978-3701717699
Wertung: 8/15 dpt