Veritables Panoptikum des Bösen
Im Herbst 1945 kehrt der Gefreite Willard Russell aus dem Krieg zurück. Traumatisiert von den schrecklichen Ereignissen im Südpazifik und den Gräueltaten der Japaner geht es heimwärts nach Knockemstiff, einem Kaff mit rund vierhundert Einwohnern, die irgendwie alle miteinander verwandt sind. Unterwegs macht er Pause in einem Diner, wo er die Liebe seines Lebens trifft. Charlotte heißt die Kellnerin, die im Frühjahr 1948 den gemeinsamen Sohn Arvin zur Welt bringt. Doch nur zehn Jahre später liegt Charlotte, vom Krebs heimgesucht, im Sterben. Willard, weiterhin traumatisiert und alles andere als ein guter Ehemann und Vater, versucht mit Opfergaben, das Leben seiner Frau zu retten. Er steigert sich in einen religiösen Wahn, dem zahlreiche Tiere zum Verhängnis werden, bevor es zur ultimativen Verzweiflungstat kommt.
Arvin wächst fortan bei seiner Großmutter Emma in Coal Creek auf, bei der die ein Jahr jüngere Lenora lebt, deren Vater Roy einst seine Frau Helen, Lenoras Mutter, ermordete. Seitdem ist er mit Theodore, einem beinlosen Krüppel unterwegs und versucht als Prediger an Geld zu kommen. Lenora führt ein bigottes Leben, was sie zum Gespött ihrer Mitschüler macht. Mehr als einmal muss Arvin sie beschützen, so wie er es von seinem Vater gelernt hat. Mit roher Gewalt. Als ein neuer Prediger in Coal Creek erscheint, der noch dazu ein Faible für jugendliche Mädchen hat, kommt es zur nächsten Katastrophe in Arvins Leben.
Sandy und Carl ziehen derweil in ihren Urlauben durch das Land, wo sie eine mörderische Spur hinterlassen. Anhalter, die sie als Models bezeichnen, werden zum Sex mit Sandy überredet, während Carl Fotos macht bevor er sie erschießt. Nichtsahnend versucht der korrupte Hilfssheriff Lee Bodecker seiner als Prostituierte verschrienen Schwester Sandy zu helfen, von ihrem bösen Geheimnis freilich nichtsahnend.
Zahlreiche Leichen später treffen die Wege der noch lebenden Beteiligten. Das Finale ist eine ebenso unvermeidliche wie fulminante Gewalteruption.
Keine Hoffnung auf Besserung
Donald Ray Pollock sorgte bereits mit seinem Debüt „Knockemstiff“ für Aufsehen. Nach diesem Erzählungsband folgte drei Jahre später (2011) der vorliegende Roman, der ebenfalls in Ohio spielt. Pollock wuchs in Knockemstiff auf, kennt die Gegend und die Menschen. Doch so trost- und ausweglos kann es selbst in den 1950er- und 1960er Jahren, in denen sich die Ereignisse abspielen, nicht sein.
Man muss es als Vorwarnung sagen: Keine der mitwirkenden Figuren ist nur ansatzweise das, was man gemeinhin unter dem Begriff „normal“ verortet. Es handelt sich vielmehr um eine Ansammlung religiöser Eiferer und – vor allem – völlig durchgeknallter Psychopathen, die beispielsweise an die legendären Hap und Leonard von Joe R. Lansdale erinnern. „Kein Hirn, aber Waffen.“
Religiöser Eifer und Wahn treffen auf Selbstjustiz und rohe Gewalt. Unmöglich am Ende des Romans noch zu wissen, wie viele Menschen starben. Nur eines ist sicher, in den meisten Fällen gab es keine natürliche Todesursache. Mit den eingangs erwähnten traumatischen Kriegserlebnissen kann man keinesfalls alles erklären. Ein Hilfssheriff, der bis zum Hals Dreck am Stecken hat, Mord inklusive, ein Prediger, der reihenweise junge Frauen missbraucht, wenngleich durchaus einvernehmlich, dazu ein Serienmörderehepaar und die schon erwähnten Roy und Theodore. Sex, Drugs und Crime wohin man sieht. Hygiene, nicht geistige, sondern körperliche, steht übrigens auch nicht hoch im Kurs, es geht mitunter tagelang ohne. Der weiße Bodensatz der amerikanischen Gesellschaft feiert frohe Feste, dumme Sprüche und Selbstjustiz inklusive.
Doch so verstörend die Dialoge und Handlung sein mögen, so debil und verroht die Figuren mitunter daherkommen, muss man eines festhalten: Wer auf derartige Romane steht – man denke neben der Hap-und-Leonard-Reihe von Lansdale beispielsweise an „Regengötter“ von James Lee Burke (Deutscher Krimipreis 2015) – und die literarische Qualität des herausgebenden Verlages liebeskind kennt, der ahnt, dass man sich mit dem Autor womöglich doch einmal beschäftigen sollte. Wie Pollock seine zunächst zeitlich versetzten Erzählstränge schließlich zusammenführt, ist großes Kino. Es gibt menschliche Abgründe mit unfassbaren Ausmaßen zu entdecken. Ein düsteres Werk mit minimaler Lichteinwirkung.
Im der Innenseite des Buchumschlags heißt es: „Die Hoffnung stirbt immer zuletzt. Aber sie stirbt.“ Ein besseres Fazit ist kaum möglich.
- Autor: Donald Ray Pollock
- Titel: Das Handwerk des Teufels
- Originaltitel: The Devil All The Time. Aus dem Englischen von Peter Torberg
- Verlag: liebeskind
- Umfang: 304 Seiten
- Einband: Hardcover
- Erschienen: Februar 2012
- ISBN: 978-3-935890-85-4
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Wertung: 12/15 dpt