Großartiger Noir aus den Südstaaten
Chabot in Mississippi ist ein kleines Kaff mit rund fünfhundert Einwohnern, das vom Verschwinden der neunzehnjährigen Tina Rutherford erschüttert wird. Der Familie gehört das örtliche Sägewerk, größter Arbeitgeber weit und breit, sowie die meisten Waldgebiete in der Umgebung. Für die Einwohner ist die Sache klar. „Scary Larry“ Ott wurde bereits vor fünfundzwanzig Jahren für das Verschwinden von Cindy Walker verantwortlich gemacht. Zuletzt wurde sie mit ihm in einem Drive-in-Kino gesehen, danach nie wieder. Cindy blieb bis heute verschwunden. Keine Leiche, keine Spuren und somit auch keine Verhaftung von Larry, der einsam auf der abgelegenen Farm seiner Eltern lebt. Der Vater starb nach einem Unfall, die Mutter vegetiert im Altenheim. Einzige Besucher sind von Zeit zu Zeit angetrunkene Rednecks, die Ärger bereiten.
„Mann, Officer. Wir sind hier drei geschiedene Mädels. Und zusammengenommen? Wie viele Kandidaten schätzt du, Marsha?“
„Du lieber Himmel. Viel zu viele.“
„Wütend, das ergibt schon mal ‘ne ganz schöne Liste. Eifersüchtig, das wär die zweite. Und dann gibt’s da noch die längste Liste von allen.“
„Die Durchgeknallten. Von denen, die alles drei sind, ganz zu schweigen.
Constable Silas Jones, von allen nur „32“ oder „32 Jones“ genannt, was der Trikotnummer seines früheren Baseballtrikots zu verdanken ist, bemerkt bei einer Rundfahrt auffällig viele Geier am Himmel und findet wenig später eine Leiche am Rand eines Sumpfes. Doch es ist nicht die vermisste Tina, sondern der Drogendealer Morten „M&M“ Morisette, mit Silas zu Highschoolzeiten befreundet war.
Eine verschwundene junge Frau, ein erschossener Dealer und als wäre dies für Silas Vorgesetzten Roy French, den Chefermittler von Gerald Country, nicht bereits genug Arbeit, wird am Tag des Leichenfunds auch noch Larry auf seiner Farm angeschossen und lebensgefährlich verletzt. War es Selbstmord, um sich der Verantwortung zu entziehen? Silas, der normalerweise den Verkehr in Chabot regelt oder sich aktuell um eine Klapperschlange in einem Briefkasten an einer von ihm White Trash Avenue genannten Straße kümmert, gerät in einen komplexen Fall, in den er mehr verstrickt ist als alle ahnen. Denn einst waren der weiße Larry und der schwarze Silas befreundet.
Deutscher Krimipreis und Platz 1 auf der Krimibestenliste
„Krumme Type, krumme Type“ von Tom Franklin war in Deutschland eine der großen Entdeckungen für Freunde des Noir vor wenigen Jahren. Ausgezeichnet mit Platz 1 auf der Krimibestenliste im September und Oktober 2018, gefolgt vom Deutscher Krimipreis 2019, ist der Roman im Pulp Verlag erschienen. Dieser wiederum erhielt 2022 den Deutschen Verlagspreis, sein aktueller Roman „Aus der Balance“ von Megan Abbott belegt Platz 1 der Krimibestenliste im Februar 2023.
Freunde des Noir sollten Autor und Roman kennen, andernfalls diese Rezension zum Anlass nehmen, ihn zu entdecken. Franklin, dies vorweg, erzählt keinen Krimi mit klassischem Setting (Verbrechen – Ermittlung – Aufklärung). Es fängt schon damit an, dass der für die Ermittlungen zuständige French eine Gastrolle einnimmt, so dass man von dessen Aktivitäten wenig mitbekommt. Ausführlicher wird dagegen die Vergangenheit beleuchtet, denn als Leser möchte man ja schon gern wissen, was 1982, als Cindy verschwand, passierte. Eine irre Geschichte mit dramatischen Wendungen, deren Auswirkungen selbst die Gegenwart massiv belasten.
Aber genau das war sein Problem, oder? Er hatte sich sein Leben lang alles durchgehen lassen.
Franklin blickt ausführlich und in Ruhe auf die Leben von Larry und Silas zurück, die in Jugendjahren befreundet waren. Eine Freundschaft, die damals nicht sein durfte und schon gar nicht in den Südstaaten, wo Schwarze als Nigger beschimpft wurden. Ein Wort, welches auch Larry versehentlich rausrutschte und die Freundschaft jäh beendete. Es sind die großen Themen wie Freundschaft, Liebe, Vertrauen, aber eben auch Hass und Verrat. Und da der Roman in Mississippi spielt, darf natürlich eine ordentliche Brise Alltagsrassismus nicht fehlen.
Eigentlich müsste es im Buchtitel Typen und nicht Type heißen, denn wenngleich die Rollen von Anfang an klar verteilt sind, wird man einige Überraschungen erleben. Der einsame, etwas weltfremd wirkende Fan von Horrorliteratur, dessen Autowerkstatt seit Cindys Verschwinden keine Kunden mehr gesehen hat, ist der böse Weiße; eben „Scary Larry“. Sein Gegenüber ist der gute Schwarze, der keineswegs so sympathisch bleiben wird.
Ein starker Noir mit herausragenden Pointen, zwei gut gezeichneten Protagonisten und einer Story, die immer beklemmender zu werden droht. Preisgekrönt. Völlig zu Recht.
- Autor: Tom Frankli
- Titel: Krumme Type, krumme Type
- Originaltitel: Crooked letter, Crooked letter. Aus dem Amerikanischen von Nikolaus Stingl
- Verlag: Pulp Master
- Umfang: 416 Seiten
- Einband: Taschenbuch
- Erschienen: Juli 2018
- ISBN: 978-3-927734-99-9
- Produktseite
Wertung: 13/15 dpt