Autorinnen im Porträt: Die wunderbar morbide Welt der Amélie Nothomb


Der Literaturpodcast „Autorinnen im Porträt“ hat es sich zur Aufgabe gemacht, in jeder Episode eine Schriftstellerin in den Fokus zu rücken. Dabei schauen wir auf das Leben der Autorin und auf ihr Werk. Wer wir sind? Mariann Gáborfi und Sarah Teicher aus Leipzig. Wer mehr über die Entstehung des Podcasts erfahren möchte, schaut am besten noch einmal in die erste Folge der Kolumne: Autorinnen im Porträt und der Begriff der Frauenliteratur
Da wir ebenfalls Redakteurinnen bei Booknerds.de sind, haben wir beschlossen, zu dem im März 2022 gegründeten Podcast eine begleitende Kolumne zu schreiben.

Cover Kosmetik des Bösen © Diogenes

Entfant Terrible der Literatur, morbide, absurd – das sind nur einige Worte, die die erfolgreiche französischsprachige Romanautorin beschreiben. Amélie Nothomb ist schreibbesessen und wirkt dabei wie aus der Zeit gefallen. In einem Jahr schreibt die Belgierin, die einen Großteil ihrer Jugend in Japan verbrachte, um die vier Romane und verfolgt dabei einen eigenen strengen Tagesablauf, an den sie sich strikt hält. Aufgrund ihrer Schlafstörung steht sie sehr früh auf und schreibt mehrere Stunden, bevor sie sich zu ihrem Pariser Verlag aufmacht, um dort ihre Fanpost abzuarbeiten. Sie besitzt weder Computer noch Smartphone. Wenden sich JournalistInnen mit einer Interview-Anfrage an sie, kann es schon einmal passieren, dass das Gespräch auf einem Friedhof stattfindet, denn die Autorin lebt in ihrer eigenen skurrilen Welt, die dabei wenig mit der ihrer Namensvetterin aus der bekannten romantischen Komödie zu tun hat.

Im Jahr 2016 fühlte ich mich das erste Mal in die Welt der Amélie Nothomb hineingezogen, denn ein Buchtitel zwang mich beim Schlendern durch die Buchhandlung meines Vertrauens zum Innehalten. „Den Vater töten“ – was für ein ungewöhnlicher Titel. Ich las den Klappentext und war nicht wirklich schlauer, aber auch nicht weniger neugierig. Im Gegenteil, ich wollte mehr wissen. Hatte ich zu Beginn eine Art emotionale Vater-Sohn-Entfremdung erwartet, wurde ich schnell eines Besseren belehrt und von der rasanten Erzählweise des Roadtrips zum Burning Man Festival überrumpelt und mitgerissen. Diese Exzentrik hat mir sofort gefallen. Meine Freude war mir stellenweise fast unangenehm, wenn ich mich daran ergötzte, mit welcher Leidenschaft die Autorin den teilweise abgründigen Seelenstriptease ihrer Figuren beschreibt. Doch eben nur fast und hier liegt für mich die große Kunst Nothombs. Sie stellt ihre Figuren mit all ihren Fehlern, den Höhen und den Tiefen in den Mittelpunkt ihrer Geschichten und beschreibt ihr bisweilen selbstzerstörerisches Innenleben, ohne sie dabei bloßzustellen. Dazu gesellt sich diese feine Bosheit, die Nothomb an manchen Stellen mit ihrem morbiden Humor würzt und mit einer Brise Melancholie verfeinert.

Es verlangte mir nach mehr. So las ich das Buch, das bis heute zu einem meiner liebsten zählt, “Kosmetik des Bösen“. Ein Roman, zu dem ich eigentlich nicht viel sagen möchte, außer dass er von zwei Männern handelt, die miteinander reden. Das Gespräch der beiden wartet mit einer beachtlichen Anzahl an Wendungen auf, die es erst einmal zu verdauen gilt, sodass man sich nach diesem Leseabenteuer fühlt, als wäre man einer Achterbahn entstiegen, die einen durch die pure Dunkelheit geschleudert hat.

Ihre Markenzeichen: Hut und knallrote Lippen

Mir fiel auf, dass ich nach der Lektüre von Nothombs Büchern oft etwas neben mir stehend überlegte, was mir da gerade passiert ist. Unter anderem begann ich darüber zu sinnieren, was es ist, das uns so oft zum Dunklen und Abtrünnigen hintreibt. Dass das auf eine Vielzahl der Lesenden zutrifft, ist nicht neu. Nicht ohne Grund ist das Genre des Krimis gerade bei uns in Deutschland eines der beliebtesten. Amélie Nothomb geht für mich aber noch einen Schritt weiter, als es bei den meisten Krimis der Fall ist. Sie legt ihren Fokus beim Schreiben nicht auf die Taten ihrer Charaktere, sofern diese überhaupt stattfinden, sondern geht in ihren Romanen, die selten mehr als 200 Seiten umfassen, direkt auf das Innenleben und der damit einhergehenden Zerrissenheit ihrer Figuren ein. Ist es dann vielleicht doch dieser Voyeurismus, der einen hinsehen lässt und der der Grund dafür ist, warum sich beim Lesen immer wieder eine Art latentes Unbehagen einstellt, welches dann auch noch irgendwie gefällt? Hält sie ihrer Leserschaft, ganz ohne dass sie selbst Computer und Smartphone besitzt, einen Spiegel vor, der nicht das eigene Spiegelbild reflektiert, sondern diesen Voyeurismus direkt auf den digitalen Bildschirm projiziert und in einer verzerrten Realität aus Filtern widergibt? So nehme ich immer wieder Platz in dieser Achterbahn, die mich in diese dunkle und morbide Welt entführt, die mir doch viel näher an unserer Realität zu sein scheint, als ich es mir oft eingestehen möchte.

Wen es reizt, sich nun genauer mit Amélie Nothomb auseinander zu setzen, dem sei ein Blick auf die Seite des Diogenes Verlags empfohlen. Hier lassen sich weitere Informationen zur Autorin, sowie ein sehr guter Überblick über ihre Veröffentlichungen finden. Auch bei den booknerds wurde die Autorin bereits besprochen. Mein Kollegin Britta Röder hat eine spannende Rezension zu dem Werk Die Passion verfasst, in welcher sie ihren Blickwinkel auf das Werk Nothombs schildert.

Wer mehr Autorinnen entdecken möchte, ist herzlich eingeladen, auf unserer Podcastseite von “Autorinnen im Porträt” weiteren Folgen zu lauschen.

Regelmäßig veröffentlichen wir auch kleine Rätsel rund um die Autorinnen auf unseren Social Media Kanälen:

– Autorinnen im Porträt auf Instagram
– Autorinnen im Porträt auf Facebook

Die nächste Folge dieser Kolumne erscheint Anfang März. Dann wird euch Sarah wieder mehr über die Autorinnen berichten, die wir in unserem Podcast vorstellen.

Eure Mariann


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