Christian Handel – Schattengold – Ach, wie gut, dass niemand weiß…


© Piper Verlag

Märchen und ihre Neuerzählungen sind schon länger beliebt – darunter gehört eine Reihe von Disney-Filmen, in der die Perspektive und der Werdegang von Bösewichten gezeigt wird, Neuerzählungen von Cinderella, Die Schöne und das Biest oder Schneewittchen. Dabei können wir viele märchenhafte Einflüsse in unseren “modernen” Medien erkennen – darunter gehören Geschlechterrollen, Werthaftigkeit durch Schönheit oder klare schwarz-weiße Moralvorstellungen. Gerade die in der letzten Zeit neu erschienen Neuinterpretationen haben versucht, die (problematischen) Normen aufzuarbeiten – das mal besser, mal schlechter. “Schattengold” ist das nur mäßig gelungen.

Farahs Welt wird durch die Angst vor Elfen bestimmt.
Nachts können Elfen Menschen angreifen, Wünsche für einen hohen Preis erfüllen oder einen in ihr Reich ziehen, wo es kein Entkommen gibt. Fensterbänke müssen mit Bernsteinharz versiegelt werden, welches nur in fremden Königreichen zu finden ist und nur durch einen hohen Preis gekauft werden kann.
Den Elfenwald zu betreten ist strengstens verboten und kann mit dem Tod bestraft werden.
Farah aber wagt sich nahezu täglich in den Wald, um dort das Grab ihrer toten Mutter zu besuchen, die dort verbotenerweise von ihrem Vater vergraben wurde. Dort findet sie regelmäßig Gold, von dem sie denkt, dass der Geist ihrer Mutter es ihr schenkt.

Dieses Gold stellte sich aber als Falschgold heraus, als Farah eine Familienschuld bezahlen musste. Als das an die Öffentlichkeit gerät, muss Farah Prüfungen bestehen, um ihrer Königin zu beweisen, dass sie das Gold aus Stroh gewoben hat und es nicht von Elfen kam. Sonst würde Farah zur Strafe getötet werden, da es verboten ist, mit dem Elfenvolk zu handeln. Farahs Situation wird dadurch erschwert, dass ihre Familie durch ihren alkoholsüchtigen Vater und dessen zwielichtigen Strecken von Mehl, aber durch viele Dorfgerüchte um Farahs Beziehung zu jungen Männern mit vielen Vorurteilen konfrontiert wird.

“Schattengold” ist eine Neuerzählung von Rumpelstilzchen – einem Märchen, mit dem bestimmt einige von uns aufgewachsen sind. Doch anders als in dem Märchen hat sich unsere Protagonistin selbst in ihr Schlamassel gebracht – und das wieder und wieder, obwohl sie es immer (!) besser gewusst hat. Und für ihr Verhalten sogar noch belohnt wurde
Dabei hatte die Handlung gerade am Anfang viel Potential: Verfeindete Königreiche, eine verhasste Königin, die Thematisierung von Sexualität und Geschlechterrollen, ein dunkler Zauberwald und gefährliche Elfen, die alle ihre eigenen Ziele und Machenschaften verfolgen. Bekommen haben wir aber ein oberflächliches Melodrama.

Es wurden viele interessante Themen aufgeworfen: Politische Macht und die Rolle von Geschlecht, Handel zwischen Staaten, politische Unzufriedenheit der Bevölkerung, Staatswesen und der Umgang mit der Natur und magischen Wesen – am Ende wurde die Handlung aber nur durch die Fehler einer Figur angetrieben, die wirklich alles besser hätte vermeiden können. Stattdessen bekamen wir ein Melodrama mit einem schönen Prinzen, einer bösen Stiefmutter und einem mysteriösen Bösewicht, in dem kaum Raum für Charakterentwicklungen herrschte.

Mir ist klar, dass gerade Jugendbücher darauf aufbauen, dass unsere Protagonist*innen Fehler begehen und in ihrem Reifungsprozess diese aufarbeiten oder lernen, mit ihnen zu leben – aber in “Schattengold” hat sich Farah aktiv gegen alles gestellt, was ihr beigebracht wurde und sich auch geweigert, ihre Fehler zu reflektieren – obwohl diese sogar der Grund für ihre eigene Verfolgung durch das dunkle Elfenvolk waren.

Die Figuren waren diese Entscheidung (sich nicht tiefer mit den spannenden Figuren zu beschäftigen) nicht wert.

Farah war eine begabte Bastlerin, der nachgesagt wurde, dass sie mit ihren Händen Wunder vollbringen konnte – sie vernachlässigte aber ihren Bruder und ließ ihn mit ihrem ständig alkoholisierten Vater allein, um an einem Feensee zu entspannen. Farahs unnatürliche Schönheit wurde dabei immer betont.

Ihr Bruder war interessant: Als schwul codierte Person (er wurde nie als schwul bezeichnet, aber es wurde schnell deutlich, dass er romantisches Interesse an Männern hat) hätte durch ihn sehr viel über die Welt in der Farah und er leben beschrieben werden können – gerade, weil beispielsweise Homosexualität als gar kein so großes Problem für die mittelalterlich-anhauchende Gesellschaft beschrieben wurde. Auch wie er mit der Familiensituation fertig wurde, wurde vernachlässigt, obwohl das der Geschichte viel hätte geben können.

Der Vater konnte nach dem Tod seiner Frau seine Familie und Mühle nur mit Mühe über Wasser halten – in schlechten Zeiten streckte er das Mehl mit Staub und den Rest der Zeit vertrank er die Ersparnisse in einer Kneipe mit schmierigen Typen. 

Der später aufkommende Prinz ist ein perfekter Prinz, ohne viele Besonderheiten oder Eigenheiten.

Der Page, der Farah an die Königin verrät und ihr später versucht zu helfen, war freundlich, aber er schien nur da gewesen zu sein, um das Erscheinen von Homosexualität in Literatur zu normalisieren, als wirklich für die Handlung notwendig gewesen zu sein – Farah hat nämlich in einem Zauber gesehen, dass er ein toller Partner für ihren Bruder sein könnte. Hätte man ihn durch einen nur einmal erwähnten Pagen ersetzt, hätte das Buch wenig verloren.

Gerade der Umgang mit Homosexualität war etwas, dass mich gestört hat: Queerness gehört zu unserem Leben dazu und wird seit einer Weile auch in Literatur selbstverständlicher mit einbezogen. Das bedeutet nicht, dass es reicht, zwei Figuren in eine homoromantisch codierte Liebesbeziehung zu verstricken, nur um das in einem Buch erwähnt zu haben.

Themen werden gut in Büchern umgesetzt, wenn sie Teil der Handlung sind und relevante Konflikte aufwerfen. In romantischen Büchern entstehen Konflikte wegen den möglichen romantischen Beziehungen, in Krimis entstehen Konflikte beim Lösen von Rätseln und in Fantasybüchern entstehen Konflikte beim Kampf für das Gute oder das Erhalten des Status Quo.

Die Beziehung zwischen Farahs Bruder und dem Pagen hat zu keinen Konflikten geführt oder die Handlung weitergeführt – sie war am Rand einfach da.

Auch den Umgang mit (Farahs) Schönheit fand ich kritisch – ich frage mich, ob es auch ein Happy End geben könnte, wenn Farah nur “durchschnittlich” schön gewesen wäre und so nicht die Aufmerksamkeit des Prinzen auf sich gezogen hätte.

Gerade wegen des Umgangs mit Geschlechterrollen und Schönheit frage ich mich, ob mir das Buch besser gefallen hätte, wenn es eine Frau geschrieben hätte – gerade Farahs Umgang mit den Lästereien ihres Dorfes, wie sie über die Kompetenzen der Königinnen vor ihrer Gefangennahme sprach oder ihre “häuslichen Aufgaben” vernachlässigte gab mir das Gefühl, eine “männliche” Perspektive auf “Frauenangelegenheiten” zu lesen.

“Schattengold” von Christian Handel ist ein kurzes und schnell zu lesendes Buch, das viele spannende Themen aufgreift, ohne sie zu Ende zu bringen und durch die (vermeidbaren) Fehler unserer Protagonistin angetrieben wird. Durch den Fokus auf die persönlichen Beziehungen der Protagonistin gerade mit der Königin und dem “Rumpelstielzchen”, die hauptsächlich durch persönliche Probleme entstanden und erhalten sind, liest sich das Buch eher wie ein Melodrama.

Das finde ich schade, da gerade die Idee auf so einem spannenden Märchen aufzubauen ist und das politische Geschehen so viel mehr hergegeben hätte!

Deswegen denke ich, dass das Buch gut “zwischendurch” unterhalten kann oder spannend ist, wenn die lesende Person ein Fan von Märchen-Neuerzählungen ist, aber niemand den nächsten Fantasy-Epos oder clevere soziale Kritik erwarten sollte.

  • Autor: Christian Handel
  • Titel: Schattengold – Ach, wie gut, dass niemand weiß…
  • Verlag: Piper
  • Erschienen: 2022
  • Einband: Hardcover
  • Seiten: 400
  • ISBN: 978-3-492-70637-7
  • Sonstige Informationen:
  • Produktseite 
  • Erwerbsmöglichkeiten


    Wertung: 7/15 dpt


1 Kommentar
  1. Hallo Jennifer,
    beim Stöbern zu Rezensionen meiner gelesenen Bücher im Juli bin ich bei deiner Rezension gelandet.
    Da ich diesen Monat selbst keine Rezensionen verfasst habe, habe ich einen „Support“- Lesemonat daraus gemacht und deine Rezension darin aufgenommen. ❤
    Schau gerne vorbei, ich würde mich freuen❤
    https://purebrassbooks.de/bloggerleben-autorenleben/monatsrueckblick-mein-lese-bzw-bloggermonat-juli23/
    Viele liebe Grüße
    Josephine von Pure Brass & Books

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