Das Kompendium “Streams für dich” möchte ein Ratgeber sein, um im unüberschaubaren Angebot der Streaming-Dienste die Spreu vom Weizen zu trennen. Dafür bietet die “TV-Expertin” Liane Bonin-Starr mit einem (vorgeblich) “internationalen Team von Kritikern […] wertvolle Hilfe an”. So die Behauptung. Am Ende bleibt es aber beim alten Geheimrat Goethe mit seinem: “Getretener Quark wird breit, nicht stark”.
“Streams Für Dich – 1000 TV-Serien für jede Stimmung” ist unterteilt in zehn Kategorien (äh, “jede” Stimmung?), von denen drei nahezu deckungsgleich sind (“Wenn Du Spannung willst”, “Wenn Du schreien willst”, Wenn Du geschockt werden willst”). Kriterien für die Zuordnung lassen sich nicht ausmachen. So finden sich in der “geschockt”-Rubrik das hervorragende sechsteilige Drama um eine Vergewaltigung (nach realer Begebenheit) “Unbelievable” ebenso wie die Dauerbrenner-Krankenhaus-Schmonzette “Grey’s Anatomy”, die artifizielle Natur-Dokumentation “Die Erde bei Nacht” oder der “Battle Royal”-Verschnitt “Alice in Borderland”. Nicht nur hier vermischen sich die Gattungen, stehen ausgefeilte Serien neben plumpen Scripted Reality- und reißerischen True Crime-Formaten. Ausgewiesen wird genremäßig kaum etwas, weshalb die deutschsprachigen Leser mitunter rätseln dürfen, um welche Kategorie es sich beim vorgestellten Erzeugnis handelt. Denn etliche Titel sind hierzulande nicht bekannt oder nie veröffentlicht worden.
Wichtig erscheint der Herausgeberin hingegen, ob man die jeweilige Session allein, zu zweit, familiär oder mit Freunden begehen sollte. Neben der Längenangabe der einzelnen Folgen die einzigen Hinweise, die so etwas wie einer Beurteilung ansatzweise nahekommen. Stab- und Besetzungsangaben sind ebenfalls nicht vorhanden.
Die Beiträge sind zwischen fünf und siebzehn Zeilen lang, bestehen aus einer rudimentären Inhaltsangabe (mitunter nicht einmal das), ergänzt um eine mehr oder minder aussagekräftige Zeile aus willkürlich ausgewählten Besprechungen. Klare Zuordnungen werden mit erschreckender Konsequenz vermieden. So gibt es die – von einem großen Onlineversand bekannte – Verweiskette “Fans von X” mögen vielleicht auch “Y” und “Z”, die zu blamablen Ergebnissen führt.
Es werden Serien, die Maßstäbe setzen, zumindest das serielle Wesen nachhaltig beeinflussten, auf beliebig wirkende Nebenränge verwiesen. “The Walking Dead” wird mit “Dexter” kombiniert, und der popkulturelle Meilenstein “Game Of Thrones” wird in acht Halbzeilen den Fans der nicht ganz so relevanten Serie “Meine geniale Freundin” (immerhin zwölf Zeilen über die gesamte Buchseite) untergeordnet. Warum auch immer (neben “GoT” findet sich als Verknüpfung unter anderem “Pose”, vorgestellt mit dem grandiosen Hinweis: “Serie mit ernstem Hintergrund, bei der viel getanzt wird”).
Zu diesen Mankos gesellen sich weitere vermeidbare sachliche Fehler. Dass das Buch amerikanische Serien bei Weitem präferiert nehmen wir nur leicht konsterniert zur Kenntnis (das wegweisende schwedische Original der “Brücke” bleibt außen vor, nur das nachgeschobene amerikanische Äquivalent wird aufgeführt), dass bei Serien aus anderen Ländern geschludert wird, ist schon übler. Zu den wenigen gelisteten Schöpfungen aus Deutschland gehört auch “Mord mit Aussicht”, von dem es heißt “Sophie Haas spielt Caroline Peters, eine Kölner Kriminaloberkommissarin”. Wir wissen natürlich, dass genau das Umgekehrte der Fall ist. Aber auch beim amerikanischen Material gibt es Aussetzer. “Teen Titans Go!” werden als das “Superheldenteam von CD Comics” vorgestellt. Dabei weiß der geneigte Aficionado, dass sein gepflegter Bildschirm nur Marvel oder DC zeigt.
Das Gros der vorgestellten Serien entstand im 21. Jahrhundert, Referenzwerke aus den 90ern des zwanzigsten Jahrhunderts wie “Twin Peaks” oder die “Sopranos” kommen allerdings vor. Doch spätestens auf Erwähnungen von “Northern Exposure” (“Ausgerechnet Alaska”), “Beverly Hills 90210”, “Baywatch” (nicht wertig, aber populärgeschichtlich relevant) oder “Knight Rider” muss man verzichten. Obwohl der fahrende Ritter mit seinem sprechenden Auto sogar einen (erfolglosen) Neuaufguss erlebte. Auch Tüftelkönig “MacGyver”, der etwas erfolgreicher revitalisiert wurde, bleibt unerwähnt. Eine magere und wenig repräsentative Auswertung noch älterer TV-Ereignisse finden sich lediglich im “Wenn du dich wohlfühlen willst”-Kapitel.
“Streams Für Dich” ist eine Übersicht über verschiedene Fernsehformate, orientiert am amerikanischen Markt. Mag in seiner beflissenen Knappheit vereinzelt Anreize geben, sich eine der erwähnten Erzeugnisse zu Gemüte zu führen. Als ernstzunehmendes Kompendium taugt das dicke Buch, bereits wegen der fehlenden Cast-Angaben, der Abwesenheit einer sinnfälligen Struktur und nachvollziehbarer Kriterien, kein bisschen.
Außerdem sind die Lücken im Bestand, gerade was europäische Produktionen angeht, exorbitant. Um nur ein paar fehlende, wichtige Serien zu nennen: “Inspector Barnaby”, der junge und der reife Inspector Morse, eine der Sjöwall/Wahlöö-Reihen um Kommissar Beck, “Broadchurch”, “Ripper Street”, “Candice Renoir” (samt spanischer Vorlage und amerikanischem Ableger “Detective Laura Diamond”) die kanadischen “Murdoch Mysteries” und “Private Eyes”, das neuseeländische “Brokenwood” oder die reizende Miss Fisher aus Australien sind non-existent. Auch beim amerikanischen Output schwächelt das Buch. Kein “Mentalist”, “Leverage”, “Scorpion”, “Lie To Me”, von “Southland”, “Criminal Intent” oder Klassikern wie “Homicide”, “Columbo” oder “Dallas” ganz zu schweigen. Diese Fehllisten lassen sich beliebig erweitern.
Zwar wird nicht alles aktuell bei einem Streamingdienst zu verorten sein, doch das kann auch die aufgeführten Werke betreffen. Denn kaum etwas ist flüchtiger als ein Stream und wankelmütiger als der Dienst, der ihn anbietet. Heute hier und morgen fort. Insofern ist dieser halbwertige “Streaming-Finder” im literarischen TikTok-Format genau das richtige Medium um dürftiges Infotainment unters Lesevolk zu bringen.
Cover und Bilder © Edition Olms
- Autor: Liane Bonin Starr (Hg.)
- Titel: Streams für dich: 1000 TV-Serien für jede Stimmung
- Originaltitel: Stream This Next: 1.000 TV Shows to Suit Your Mood
- Übersetzer: Julia Voigt, Sandra Kallmeyer
- Verlag: Edition Olms Zürich
- Erschienen: 10/2022
- Einband: Broschiert mit Klappen
- Seiten: 512
- ISBN: 978-3-283-01317-2
- Sprache: Englisch
- Sonstige Informationen:
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Wertung: 6/15 dpt