Der lange Tag der Rache – Film (Blu-Ray, DVD)


“Der lange Tag der Rache”, oder wie es dem Originaltitel nach lauten müsste: “Die langen Tage der Rache” (“I Lunghi Giorni Della Vendetta”), folgt lose Alexandre Dumas‘ weltbekanntem und oft, werkgetreu wie frei interpretiert, verfilmtem Roman “Der Graf von Monte Christo”.

Ted Barnett wurde das Opfer einer Intrige. Angeklagt, seinen eigenen Vater ermordet zu haben, landet er im Straflager. Die Nächte verbringt er in einer Zelle und tagsüber wird er mit der Arbeit in einem Steinbruch geschunden. Nach drei Jahren gelingt ihm mithilfe eines Komplizen und etwas Explosivkraft die Flucht. Sein Gefährte wird erschossen, doch Ted entkommt.

Zunächst besucht er den ehemaligen Barbier Gomez, der ihn verraten hat. Ted presst Informationen aus dem ehrlosen Mann, lässt sich eine schicke Frisur verpassen und sorgt dafür, dass es Gomez‘ letzte Friseurarbeit ist. Warum er sich stylen lässt, damit er seinem alten Fahndungsplakat ähnlich sieht, wissen nur die Drehbuchautoren (die recht bekannten Filmschaffenden Augusto Caminito und Fernando Di Leo). “Der Graf von Monte Christo” funktionierte ja deshalb so gut, weil niemand von Edmond Dantes Widersachern und Opfern ihn wiedererkannte. Aber gut, “Der lange Tag der Rache” ist schnörkelloser als die Vorlage und Ted Barnett hält sich mit Versteckspielen nicht lange auf. Er macht sich auf den Weg zu Sheriff Douglas, einem der Hauptdrahtzieher hinter der Ermordung seines Vaters und Teds Verhaftung. Der außerdem mit Teds ehemaliger Geliebter Dolly liiert ist

Der andere Oberschurke ist der reiche Großgrundbesitzer Cobb (“Der Staat hier bin ich!”), dem Ted erst in Geschäftsangelegenheiten funkt, bevor es nach einigen Wirrungen, zum eigenwilligen Showdown kommt. Der Ehrenmann Ted Barnett glaubt trotz allem an die Kraft des Gesetzes, muss aber feststellen, dass gegen die skrupellose Perfidie eines Großkapitalisten nur Zufall, Glück und tödliche Eigeninitiative helfen.

SPOILER: Immerhin wird ninjamäßig ein Sheriffstern zum Todesurteil für Mr. Cobb.

“Der lange Tag der Rache” ist der einzige Western, den Florestano Vancini, hier unter dem Alias “Stan Vance”, inszenierte. Populär ist er für seine Dramen mit gesellschaftspolitischen Hintergründen. Am bekanntesten dürfte sein analytischer Politthriller “Die Ermordung Matteotis” sein, in dem es um den Mord an dem linken Politiker Matteoti geht, in den Benito Mussolini verwickelt war, und der eine Stufe zu seinem Aufstieg darstellte. Wie auch in “Gewalt – die fünfte Macht im Staat” existieren Ähnlichkeiten mit den Werken Damiano Damianis. Von diesem übernahm er in der zweiten Staffel den Regiestuhl für die insgesamt 17 Jahre laufende (1984 – 2001), erfolgreiche Serie “Allein gegen die Mafia”. Wie bei so vielen begabten italienischen Regisseuren war das Fernsehen der letzte Arbeitsbereich Vancinis.

Dass Vancini sich sowohl im Melodram wie in Politgefilden auskannte, merkt man dem vorliegenden Film an. Zwei fürs Genre exponierte Frauenrollen lassen sich in “Der lange Tag der Rache” finden. Dolly, die ehemalige Geliebte Teds und jetzt mit dem korrupten Sheriff Douglas liiert, ist das bad-good-girl” des Films. Sie verlässt Ted zwar, zeigt aber an entscheidender Stelle Rückgrat und ethische Verantwortung, was ihr nicht bekommt. Nieves Navarro (auch bekannt als Susan Scott) ist prädestiniert für eine derartige Rolle und überzeugt darin. Dulcie wiederum, dargestellt von der patenten Gabriella Giorgelli, ist der neue Love Interest Teds. Sie begleitet den fahrenden Scharlatan “Dr.” Pajarito (übersetzt “Das Vögelchen”), dessen Zahnarztkünste seine Patienten mitunter das Leben kosten und hilft Ted beim Showdown. Doch bevor es zuviel Frauenpower gibt, wird Dulcie zur Geisel.

Diese dezente Erweiterung des bekannten Tableaus zeugt bereits von der Sorgfalt, mit der “Der lange Tag der Rache” hergestellt wurde. Der Film lässt sich Zeit, seine Geschichte und Figuren zu entwickeln und gibt auch den politischen Ränken Raum. Davon hielt man beim deutschen Kinostart nicht viel, weshalb “Der lange Tag der Rache” statt 120 nur rund 100 Minuten dauerte. Befreit um gesellschaftskritische Geschehnisse wie die Ermordung eines unbewaffneten Dorfbewohners und zweier entflohener Sklaven durch den machtgierigen Cobb und seine Schergen, einige Dialogpassagen und Gewaltspitzen, wurde der Film etwas schneller, aber auch um seine Wirkung beschnitten. Der blutige Schlusskampf blieb ungekürzt enthalten. Der bittere Aspekt, dass der wachsende Schienenverkehr nicht Menschen miteinander verbinden, sondern lediglich die Abfertigung von Waffen- und anderen kriminellen Geschäften beschleunigte, blieb außen vor. Der deutsche Michel sollte doch nicht bei einem Italo-Western ins Grübeln kommen.

Vancini geht die Ruppigkeit Sergio Corbucci ebenso ab wie die Eleganz Sergio Leones. Er gruppiert ich irgendwo dazwischen ein, formal solide, mit einer sachten Neigung zu Extravaganzen. So dauert es gut fünfundzwanzig Minuten, bevor man Guiliano Gemmas markante Gesichtszüge erstmals zu sehen bekommt. Dann vom Robinson Crusoe-Gefängnis-Look schnell zum glattrasierten Gentleman wechselnd. Nicht umsonst wurde “Der lange Tag der Rache” auch unter dem Titel “Angel Face” vermarktet. Dem attraktiven und athletischen Gemma bei seinem Treiben zuzusehen, ist per se eine Freude.

In der Schlusssequenz zeigt Vancini die Dorfbewohner erst als sensationslüsterne Zuschauer bei der geplanten Hinrichtung Teds, bevor sie nach dem Showdown (dem die Herrschaften fernblieben) freudig um den brennenden und leeren Galgen tanzen. Wankelmütige Parteigänger. Fast wie im richtigen Leben.

Der Rachefeldzug Teds ist leider keiner der durchdachten Sorte. So begibt er sich ohne Not und Ausweichplan in die Gewalt mexikanischer Banditen. Was zu einem (leidigen) Italo-Western-Standard führt: Der Hauptdarsteller wird derbe verprügelt. Abseits davon gelingt durch dieses Verhalten eine kleine Abweichung gegenüber gängigen Vergeltungs-Klischees. Denn Ted Barnett vertraut auf die Kraft des Gesetzes anstatt die Ein-Mann-Ramme zu geben. Es hängt am seidenen Faden und dem moralischen Kodex Dollys, dass dieses Vertrauen nicht gebrochen wird. Nach der Rehabilitation muss Ted dann doch rabiat aufräumen. Als Verteidiger, nicht Angreifer. Das Ende ist erstaunlich blutig, nachdem sich Vancini zuvor zurückgehalten hat und nur semi glücklich.

Der ansprechende Soundtrack stammt von Armando Trovajoli. Der Mann komponierte rund 200 Soundtracks, aber seine Beteiligung an “Der lange Tag der Rache” blieb der einzige Ausflug ins Western-Genre. Etwas verwunderlich bei der vorliegenden Qualität. Ungeklärt bleibt der Anteil Ennio Morricones an der Musik. Dass Trojavoli sich am Maestro orientiert hat, ist unüberhörbar, aber in diversen Datenbanken wird Morricone als beteiligter Komponist ohne Credits geführt. Der Schluss liegt nahe.

Das Mediabook von Plaion Pictures/Explosive Media ist wieder vortrefflich aufgemacht und eine Augenweide. Inhaltlich gibt es Diskussionsbedarf. Der Booklet-Text besitzt repräsentative Fotos und einen Text von Leonhard Elias Lemke, der wie sein Audiokommentar eine zweischneidige Sache ist. Er hält interessante Informationen bereit, aber auch Mankos wie folgende Behauptung, dass Ted Barnett “wahlweise im Gefängnis hockt oder im Sklaventreiber-Steinbruch für die manuelle Kieselsteinproduktion eingesetzt wird.” Inhaltlich falsch, denn Barnett hat keine Wahl, er ist dazu verurteilt zwischen Zelle und Steinbruch zu pendeln, und als Gag bestenfalls zum Fremdschämen. Das sollte jemand, der Deutsch studiert hat, besser hinkriegen können (oder das Lektorat greifen). Die Steinbruch-Geschichte beschäftigt Lemke auch im Audiokommentar. Er weiß nicht, wofür die Strafgefangenen so hart arbeiten. Ein bisschen Recherche hätte geholfen. Steinkiesel und -Bruchstücke braucht man nahezu im gesamten Baugewerbe. Es gibt sogar das offizielle Berufsbild des “Steinhauers”. Doch Gefängnisinsassen sind kostengünstigere Arbeiter.

Über diesen Lapsus in Lemkes Audiokommentar könnte man geflissentlich hinweghören, doch leider gesellen sich weitere Unzulänglichkeiten hinzu. Das Positive zuerst: Über mehr als die Hälfte der Laufzeit gibt es interessante Hintergrundinformationen zum Italo-Western und italienischen Filmschaffen. Gerne auch zu anderen Werken als dem laufenden Film. Eine Analyse des “langen Tags der Rache” findet nicht, beziehungsweise kaum statt. Allzu analytisches will Lemke, nach eigenem Bekunden, auch nicht leisten. Vielleicht wäre es deshalb angeraten, einen entsprechenden Co-Moderator hinzuzuholen, der diesen Part übernimmt. Dann könnten fast viertelstündige Vorträge über das Wesen und die möglichen Rezipienten von Audiokommentaren ausfallen, ebenso die etwas zu devote Label-Lobhudelei (wer vorm Audiokommentar eines Mediabooks sitzt, weiß in der Regel, wem er diese prima Veröffentlichung zu verdanken hat), ausführliche Reisetipps (Ferrara, du Perle Italiens. Geht als Info am Rande in Ordnung, aber dieser Reisetipp zieht sich) und ähnlich Redundantes. Außerdem könnte der Kommentator in Ruhe bei abgeschaltetem Mikrophon seinen “Orangensaft mit Fruchtfleisch” trinken. Würde das harte Los eines Sprechers und seiner Zuhörer erleichtern. Davon abgesehen erzählt Lemke enthusiastisch Wissenswertes, ergänzt um launigen Gossip.

Des Weiteren bieten die Extras die kurze Kinoversion, die zu einem Vergleich einlädt, eine Bildergalerie, die obligatorischen Trailer sowie ein halbstündiges Interview mit Nieves Navarro. Es ist schön die ikonische Schauspielerin wiederzusehen. Als Interviewpartnerin ist sie ein zäher Gegner. Ihr Gegenüber gibt sich redlich Mühe, Informationen aus Frau Navarro herauszubekommen. Doch meist beschränken sich ihre Antworten auf wortkarge Floskeln: “Gutaussehend, netter Kollege, großartiger Schauspieler.” Das geht fast über die gesamte Laufzeit, während sich der Interviewer redlich abmüht. Hat Italo-Western-Qualitäten, wenn man sich den Fragesteller als Eli Wallach vorstellt und Nieves Navarro als Clint Eastwood. Eine halbe Stunde kann ganz schön lang sein.

Insgesamt ist das Mediabook mit BluRay und DVD wieder eine empfehlenswerte Angelegenheit. Das Licht überwiegt bei Weitem den Schatten.


Wertung: 11/15 dpt

 

Cover+ Bilder  © Plaion Pictures, Explosive Media

  • Titel: Der lange Tag der Rache
  • Originaltitel: I lunghi giorni della vendetta
  • Produktionsland und -jahr: Italien, Spanien, Frankreich 1966
  • Genre: Western
  • Erschienen: 08.12.2022
  • Label: Plaion
  • Spielzeit:
    122Minuten auf 1 Blu-Ray
    104 Minuten auf 1 Blu-Ray (gekürzte Kinoversion)
    98 Minuten auf 1 DVD
  • Darsteller:
    Giuilano Gemma
    Francisco Rabal
    Gabriella Giorgel
    Nieves Navarro
    Manuel Muñiz
    Teodoro Corrá
    Manuel Quesada

    Giovanni Ivan Scratuglia
  • Regie: Florestano Vancini (als Stan Vance)
  • Drehbuch: Mahnahén Velasco (Story)
    Fernando Di Leo
    Augusto Caminito
  • Kamera: Francisco Marin
  • Schnitt: Ángeles Pruña
  • Musik: Armando Trovajoli
  • Extras: Featurette mit Nieves Navarro (ca. 32 Minuten)
    Diverse Originaltrailer
    32-seitiges Booklet mit Bildern und einem Text von Leonhard Elias Lemke
    Audiokommentar mit Leonhard Elias Lemke
    Bildergalerie
    Gekürzte deutsche Kinofassung in HD
    Zwei Cover-Varianten (jeweils auf 1000 Stück limitiert)
  • Technische Details (DVD)
    Video:
    16:9, 2.35:1
    Sprachen/Ton:
    D, E, IT, Dolby Digital 2.0
    Untertitel:
    D, E, IT
  • Technische Details (Blu-Ray)
    Video:
    16:9, 2.35:1
    Sprachen/Ton:
    D, E, IT, DTS-HD Master Audio 2.0
    Untertitel:
    D, E, IT
  • FSK: 18
  • Sonstige Informationen:
    Produktseite
    Erwerbsmöglichkeiten

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