Daniel Woodrell – Winters Knochen (Buch)

White Trash rules in “Winters Knochen”

Winters Knochen
© Heyne

Winter in Missouri. Im Rathlin Valley am Bromont Creek hat die sechzehnjährige Ree Dolly gewaltige Probleme. Vater Jessup ist auf Kaution draußen, wegen Geschäften mit Crystal Meth drohen zehn Jahre Haft. In einer Woche muss er vor Gericht erscheinen, doch Deputy Baskin kann ihn nirgends finden. Für die Kaution hat Jessup das baufällige Haus der Familie verpfändet. Erscheint er nicht zum Termin, ist die Familie ihren Besitz los. Rees Mutter, einst eine Schönheit, ist mental in einem anderen Universum angekommen und bekommt nichts mehr mit von dieser Welt. Sonny ist zehn, Harold acht Jahre alt. Ree muss sich nicht nur um die Mutter, sondern um die jungen Brüder kümmern, was nicht leicht ist, wenn man nicht weiß, wovon man leben soll.

Um nicht auf der Straße zu landen muss Ree ihren Vater finden. Tod oder lebendig. Helfen könnte Onkel Teardrop, Jessups Bruder, doch der will sich nicht einmischen. In den Ozarks, jener Grenzregion der Bundesstaaten von Missouri und Arkansas, bleibt man unter sich. In vielen kleinen Orten und Weilern leben die Menschen in einfachsten Holzhütten oder Trailern, nur selten in Steinhäusern. Man ist arm, spricht das Nötigste und mit der Polizei schon mal gleich gar nicht. Alle sind in der Gegend irgendwie miteinander verwandt, was gewalttätige Auseinandersetzungen aber nicht ausschließt. Die, die Ree helfen können, verweigern sich, wollen teils nicht einmal mit ihr reden.

An dem Tag, an dem Jessup vor Gericht erscheinen soll, wird sein Wagen am Gullett Lake gefunden. Jemand hat ihn abgefackelt, doch von Jessup fehlt jede Spur.

Lakonisch und großartig

Daniel Woodrell gilt als Meister der Poesie, wenn es um Hinterwäldler oder sogenannte White Trash People geht. Mit Worten sparsam, dafür pointiert auf den Punkt gebracht, berichtet er über das Leben am Bodensatz der Gesellschaft. Hier gelten nicht die üblichen Gesetze, sondern Verschwiegenheit und Faustrecht. Wehe dem, der dagegen aufbegehrt und zu viele Fragen stellt. Der bekommt „auf die Fresse“; arme Ree.

Ich schätze, ihr habt euer Haus hier vielleicht noch dreißig Tage.“
„War’s das etwa? Und ich kann nichts dagegen unternehmen?“
„Nichts, es sei denn, du kannst beweisen, dass er tot ist. Das würde alles verändern. Tote können ja nicht vor Gericht erscheinen.

Ree, ihre geistig längst abwesende Mutter und ihre jüngeren Brüder, haben kaum genug zu essen. Es ist bitter kalt und es droht der Verlust der erbärmlichen Behausung. Als Ree versucht ihren Vater zu finden, stößt sie auf eine Mauer des Schweigens in einer Welt, in der die Männer das Sagen haben. Ein düsterer Country Noir, in dem ausgerechnet – oder wie sollte es eigentlich anders sein – eine taffe sechzehnjährige gegen das Patriarchat aufbegehrt. Frauen haben in den Wäldern nichts zu sagen, sie fügen sich ein und arrangieren sich mit den Umständen. So auch Rees beste Freundin Gail, die mit Floyd verheiratet ist, allerdings nur, weil es ein gemeinsames Baby namens Ned gibt. In Wirklichkeit liebt Floyd Heather, mit der er Gail regelmäßig betrügt.

Was sollen wir nur mit dir machen, kleines Mädchen? Hm?“
Mich umbringen, nehme ich an.“
„Auf die Idee sind wir auch schon gekommen. Hast du einen anderen Vorschlag?“
„Mir helfen. Auf die Idee seid ihr bis jetzt noch nicht gekommen, oder?

Es ist ein düsteres Szenario, in der es kaum Hoffnung auf Erlösung gibt. Jessup war ein Meister im Meth kochen, einer Tätigkeit, der fast alle in der Region nachgehen. Drogen und Alkohol bestimmen den Alltag, mehr gibt es nicht. Ree träumt derweil von der Armee, dort werden bereits siebzehnjährige genommen. Vielleicht kann sie so dem Elend entfliehen, aber wer kümmert sich dann um ihre Brüder? Woodrell erzählt die Geschichte mit lakonischer Ruhe, aber wenn die Gewalt einmal ausbricht, dann brutal. Die Menschen kennen es hier nicht anders und so ist ein sechzehnjähriges Mädchen der einzige Lichtblick in einer durch und durch trüben Geschichte. Kein Wohlfühlkrimi, sondern ein lesenswerter Country Noir.

Wer zu faul zum Lesen ist kann sich alternativ den Film von Debra Granik aus dem Jahr 2010 ansehen. Jennifer Lawrence spielt Ree in der Hauptrolle.

  • Autor: Daniel Woodrell
  • Titel: Winters Knochen
  • Originaltitel: Winter’s Bone. Aus dem Englischen von Peter Torberg
  • Verlag: Heyne
  • Umfang: 223 Seiten
  • Einband: Taschenbuch
  • Erschienen: September 2012
  • ISBN: 978-3-453-43645-9


Wertung: 12/15 dpt

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