Wenn man das Schicksal brechen will
Der dreizehnjährige Shug Akins hat es nicht leicht. Vater Red ist ein Krimineller der selten zuhause ist. Ein Zustand, den seine Frau Glenda und Shug begrüßen, denn Red sind nur seine eigenen Bedürfnisse wichtig und wenn es irgendwo hapert, setzt es Gewalt. Mit seinem einzigen Freund und Kumpel Basil ist Red immer wieder auf Einbruchtour und da er gerade auf Bewährung draußen ist, will er zunehmend Shug für sich die Drecksarbeit machen lassen. Shug ist dies nicht recht, aber wie soll er sich gegen den mächtigen Vater wehren? Eigentlich ist Red nur sein Stiefvater und eigentlich heißt Shug auch Morris wie sein richtiger Vater, aber das macht die ganze Sache nur weiter kompliziert. Fatal wird es, als Glenda und Shug bei einem Spaziergang einen grünen Ford Thunderbird sehen und Glenda dessen Fahrer namens Jimmy Vin Pearce. Das Unheil nimmt seinen Lauf und es entsteht ein Geflecht, in denen Liebe, Verrat und Rache ein tödliches Gebräu ergeben.
Und wieder geht es in die Ozarks
Daniel Woodrell ist ein Meister seines Fachs, wenn es darum geht, Menschen aus einfachsten Verhältnissen zu porträtieren. Hinterwäldler oder White Trash People sind seine Figuren, Helden sind sie eher nicht, wobei die jeweiligen Protagonisten mitunter die Ausnahme bilden. Erneut spielt die Handlung in den Ozarks in Missouri und es schadet nicht, wenn man den Roman „In Almas Augen“ kennt. Dieser hat zwar mit der vorliegenden Handlung rein gar nichts gemein, allerdings wohnen Shug, Glenda und Red in einem Haus auf dem Friedhof von West Table, wo Glenda arbeitet, so sie denn nüchtern genug ist und sich nicht zu ausgiebig ihrem „Tee“ genannten Rum-Cola hingibt. Am anderen Ende des Friedhofes steht die „Schwarzer Engel“ genannte Grabfigur, die an jene achtundzwanzig Tote erinnert, die bei einer verheerenden Explosion der Arbor Dance Hall im Jahr 1929 starben, womit wir – dem Fingerzeig folgend – bei der Handlung von „In Almas Augen“ wären.
In „Der Tod von Sweet Mister“ geht es, von gelegentlichen Gewaltausbrüchen von Red abgesehen, zunächst auffällig ruhig zu. Hier und da ein Einbruch und eine angespannte Lage zuhause. Shug und Glenda hassen Red, bringen aber nicht die Kraft auf, ihn zu verlassen. Wohin sollten sie auch gehen? Ein großer Hauch von Fatalismus ist allgegenwärtig.
„Nur für dich. Soweit ich das sehe.“
„Und findest du nicht, dass das absolut in Ordnung ist, Schätzchen.
Man kann „Der Tod von Sweet Mister“ als Coming-of-Age-Roman, Noir und als Familientragödie lesen. Anders als bei „In Almas Augen“ oder „Winters Knochen“ beschränkt sich Woodrell dieses Mal auf die (eine) Familie Akin und bricht die Probleme der amerikanischen Unterschicht auf diese herunter. Zudem gibt es hier keine direkte Anklage gegen „die da oben“, sieht man einmal davon ab, dass Reds jüngerer Bruder Carl im Krieg sein Bein zerfetzt wurde. In welchem lässt der Autor offen, was man somit gerne als generelle Anklage gegen Kriege im Allgemeinen und damit eben doch gegen „die da oben“ werten darf.
Besonders sprachlich vermag Woodrell einmal mehr zu fesseln. Die Handlung mäandert dahin, es passiert zunächst wenig und gleichwohl ist die Atmosphäre derart intensiv, um nicht zu sagen explosiv, dass man weiterlesen muss. Mit jeder Seite wird klarer, dass es bald zur Katastrophe kommt, spätestens nach dem ersten Auftritt von Jimmy Vin Pearce, der sehr wohl erkennt, dass Glenda trotz ihrer Alkoholprobleme noch immer eine höchst attraktive Frau ist. Eine Erkenntnis, die dem pubertierenden Shug ebenfalls zu schaffen macht. Pointiert formuliert ist dieses schlanke Buch ein literarisches Erlebnis, was nicht zuletzt für den düsteren Endpunkt gilt.
Es gibt viele Möglichkeiten große Opfer zu bringen, zum Beispiel die eigene Unschuld. Willkommen im Reich der Düsternis.
- Autor: Daniel Woodrell
- Titel: Der Tod von Sweet Mister
- Originaltitel: The Death of Sweet Mister. Aus dem Englischen von Peter Torberg
- Verlag: Liebeskind
- Umfang: 192 Seiten
- Einband: Hardcover
- Erschienen: Juni 2012
- ISBN: 978-3-935890-95-3
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Wertung: 12/15 dpt