Es gibt zahlreiche Gründe dafür, Videospiele zu kritisieren. So ist lange belegt, dass Zocken süchtig und aggressiv machen kann. Doch tatsächlich gibt es auch einige positive Effekte. So schult man beim Videospielen das Reaktionsvermögen. Eine 2017 im Journal Current Biology veröffentlichte Studie zeigt außerdem Unerwartetes: Es ist möglich, auf diese Weise das Hörvermögen zu verbessern.
Zocken ist also doch nicht schlecht für das Gehör?
Angesichts des in aller Regel viel zu laut eingestellten Tons sind nicht nur Eltern, sondern auch Fachmediziner davon überzeugt, dass Videospiele zum Hörverlust beitragen können – der Weg zum Hörgerät scheint vorprogrammiert. Dieser Aspekt wird durch die hier angesprochene Studie auch nicht widerlegt. Doch es gibt tatsächlich Szenarien, die zur Gehörverbesserung beitragen. Forschende um Daniel Polley vom Massachusetts Eye and Ear Infirmary der Harvard Medical School wussten bereits um das besonders gut geschulte Gehör von Musikern: Diese sind nachweislich gut darin, spezifische Töne in Umgebungen mit hohem Geräuschpegel zu identifizieren. Sie sind also besser als die meisten Menschen in der Lage, Hintergrundlärm auszublenden. Auch in der Zukunft wird nicht jeder Mensch ein Instrument spielen. Doch im Videospiel glaubte man eine Alternative zu erkennen, die eine vergleichbare Wirkung entfalten könnte.
Nicht jedes Videospiel ist geeignet
Das Mittel des Videospiels war bekannt. Allerdings brauchte es ein besonderes Lernspiel, um die Wirkung auf das Gehirn zu messen und zu bewerten. Die Forschenden entwarfen daher selbst ein Spiel, bei dem es gilt, aus lauten Spielszenarien bestimmte Geräusche zu identifizieren. Das Resultat war erstaunlich: selbst bei Schwerhörigen war es möglich, das Gehör zu trainieren und messbare Ergebnisse zu erzielen. Zwar gehen die Studienleiter nicht davon aus, dass man Hörgeräte und Hörgeräte Zubehör auf diese Weise ersetzen kann. Gleichwohl kann man Videospiele dieser Art als eine sinnvolle Ergänzung zum technischen Hörhelfer betrachten.
Die Wirkungsweise ist anders
Typischerweise filtern Hörgeräte keine spezifischen Geräusche oder Stimmen aus allem das Ohr erreichenden Schall heraus. Vielmehr erhöht die Technik die Lautstärke insgesamt, um die Wahrnehmung zu verbessern. Der Nebeneffekt ist jedem Menschen mit Hörproblemen bekannt: Auch der Hintergrundlärm wird verstärkt – trotzdem bleibt es schwierig, sich auf bestimmte Audioquellen zu konzentrieren. Das gezielte Training mit passenden Videospielen setzt an dieser Stelle an. Menschen sollen darauf trainiert werden, ähnlich wie Musiker einzelne Audioquellen zu fokussieren und unwesentliche Störgeräusche auszublenden.
Weitere Forschungen sind notwendig
Daniel Polley und seine Kollegen halten ihre Testreihe für vielversprechend: Insgesamt nahmen 24 schwerhörige Menschen an der Studie teil, alle waren etwa 70 Jahre alt. Bei all diesen Personen stellte man eine Verbesserung fest: Gesprochene Worte und ganze Sätze konnten deutlich besser verstanden werden, selbst bei lauten Umgebungsgeräuschen. Bei einer Kontrollgruppe, die ein nicht auf das Hörtraining optimiertes Spiel spielte, war dieser Effekt nicht feststellbar.
Leider wurde ebenfalls festgestellt: Werden die Übungen nicht kontinuierlich fortgesetzt, ist die Verbesserung nach etwa zwei Monaten nicht mehr feststellbar. Daniel Polley betont die Wichtigkeit, weitere Forschungen mit einer größeren Gruppe an Testpersonen durchzuführen. Außerdem hält er es für wahrscheinlich, dass man Videospiele im Vergleich zu dem im Test verwendeten sogar noch deutlich optimieren könne. Das Potenzial jedenfalls sei riesig, denn Schwerhörigkeit ist eine weit verbreitete Volkskrankheit.
Gibt es bereits Videospiele, die das Gehör verbessern?
Diese Frage kann Daniel Polley nicht beantworten – möglicherweise können hier aber die Videospielfans selbst einbezogen werden: Ein Egoshooter etwa, bei dem man seine Gegner sehr präzise über das Gehör Orten muss, könnte eine trainierende Wirkung besitzen. Trotzdem sollte man darauf verzichten, die Lautstärke zu weit aufzudrehen. Denn die ist so gehörschädigend, dass von einem positiven Effekt nicht mehr die Rede sein kann. Für die Leise-Zocker hingegen ist folgendes Szenario ihn der Zukunft vielleicht nicht mehr abwegig:
„Sohn, bist du schon wieder am Zocken?“ – „Nein, Mama! Ich trainiere mein Gehör!“