Men – Was dich sucht, wird dich finden (Film, DVD/BluRay)

Harpers Ehe liegt in den letzten Zügen. Ihr Ehemann James ist ein übergriffiger Kontrollfreak, der auch vor körperlicher Gewalt und emotionaler Erpressung im schlimmstmöglichen Fall nicht zurückschreckt: “Wenn Du mit mir Schluss machst, bringe ich mich um. Und Du bist schuld!”

Doch Harper zieht die Trennung durch und James stürzt oder springt direkt vor Harpers Augen vom Dach. Was genau geschehen ist bleibt offen. Er stirbt mit aufgeschlitztem Arm und deformiertem Bein halb auf der Spitze eines Geländers und halb auf dem Asphalt. Die drastischen Wunden spielen im letzten Drittel des Films noch eine wichtige Rolle. Das brutale Stillleben, auf das die Kamera voll draufhält, besitzt natürlich deutliche Bibelbezüge. Die über die gesamte Laufzeit auftauchen werden.

Auch Lars von Triers “Antichrist” hat (nicht nur) bei der Eingangssequenz seine Spuren hinterlassen.
Die Geschäftsfrau Harper zieht sich nach der traumatischen Erfahrung für ein paar Wochen aufs Land nach Hertfordshire zurück, in ein herrschaftliches Cottage nahe der kleinen Ortschaft Cotson. Nur mit dem Smartphone als brüchiger Verbindung zur Außenwelt. Die aus ihrer besten Freundin Riley besteht.

Zur Begrüßung erwartet sie ihr jovialer und sehr gesprächiger Vermieter Geoffrey. Die erste Begegnung, die leichtes Unbehagen auslöst, denn Harper möchte ihre Ruhe haben, während Geoffrey eine Geschichte nach der anderen aus dem Ärmel zieht. Nicht direkt übergriffig, aber viel zu nahe und omnipräsent.

Endlich allein beginnt Harper die Gegend zu erkunden. Eine Landschaft, die farbenfroh lichtvolle Erholung verheißt. Grün dominiert. Doch keineswegs als Hoffnungsschimmer, denn bald wird die Farbe von einem grünen Mann absorbiert, der Harper zu verfolgen beginnt, als sie einen alten Eisenbahntunnel erforscht. Nicht nur sehend, sondern auch lautmalerisch, mit einer beschwörenden, wortlosen Tonfolge, die zu einer Art Anker und Gefahrenmelder für Harper wird.

Als der grüne Mann, nackt und vernarbt im Garten des Landhauses auftaucht, ruft Harper die Polizei. Die zufälligerweise in der Nähe ist und zügig erscheint. Hier trifft Harper auf eine junge Polizistin, die einzige Frau neben ihrer Freundin Riley, die ihr begegnen wird. Der Eindringling wird verhaftet, doch bald wieder entlassen.

Aufgebracht verschlägt es  Harper in den örtlichen Pub, wo sie am Tresen einen der ermittelnden Beamten findet, der die Bedrohungslage relativiert und die Freilassung rechtfertigt: “Sie haben Ihn zweimal gesehen? – Ich weiß nicht, ob er sie überhaupt einmal gesehen hat. Das ist doch kein Stalking!”

Die negativ konnotierten Männerbegegnungen nehmen zu. Ein Junge nennt Harper eine “Schlampe” als sie nicht mit ihm Verstecken spielen will, der örtliche Geistliche, der sie nach einem Gefühlsausbruch scheinbar trösten will, gibt ihr die Schuld an James‘ Tod und bedrängt Harper körperlich.

Die Bedrohungslage steigert sich, Harper muss sich mehrerer Eindringlinge erwehren, wird mit Blütenstaub betäubt und gerät in eine psychedelisch-surreale Spirale aus Blut- und Body-Horror, die bis ans Ende der Nacht andauert.

Auf den ersten Blick ist “Men” ein Film über toxische Männlichkeit. “Männer sind Schweine” wird augenscheinlich auch dadurch befeuert, dass, bis auf James, alle männlichen Rollen von Rory Kinnear verkörpert werden. Der erledigt seine Aufgabe bravourös, manche Figuren stellt er nur am Bildrand dar, andere, wie der Geistliche, der grüne Mann, der gleichgültige Polizist oder der knollennasige Vermieter Geoffrey, gelangen ins Zentrum des Films.

Stereotype zwar, doch solche, die man aus dem Alltag leider allzu gut kennt. Ignoranz, körperliche und geistige Übergriffigkeit oder kindliche Misogynie, die Frauen bereits als Wunscherfüllung definiert, beziehungsweise bei deren Ausbleiben als Schlampe. Cotson funktioniert wie ein Brennglas, in dem männliche Selbstherrlichkeit fokussiert wird.

Dabei ist “Men” kein feministischer Thesenfilm, er bleibt ambivalent und lässt die Lesart offen, ob das Geschehen eine übersteigerte Wahnvorstellung Harpers ist. Die allerdings aus einem Trauma resultiert, für das eindeutig männliche Verhaltensweisen ursächlich sind.

Das halluzinatorische Finale des Films ist eine düstere Vision, in der weniger Geburtsvorgänge dargestellt werden, als eine andauernde Reproduktion alter Verhaltensweisen und Verwundungen. Denn aus Blut entsteht nichts neues, das Kaputte wird in wechselnder Form wieder erschaffen. Bis Harper es gewaltsam(?) beiseite fegt, seine obsessiven Besitzansprüche negiert.

Das ist eine Deutungsmöglichkeit, doch der fiebrige Wahnsinn, der über der Protagonistin hereinbricht, ist für weitere Varianten offen. Am Ende schreibt ein jämmerlicher James Harper wieder die Schuld an seinem Tod zu.
Sie stellt die Frage: “James, was genau willst du von mir?”
Die Antwort: “Deine Liebe.”
“Ja”, seufzt Harper zermürbt, eine Axt im Schoß wiegend.

Am nächsten Morgen trifft Riley ein. Harper sitzt da und lächelt, während der frühe Elton John-“Love Song” heimtückisch sanft den Abspann begleitet: “Love is the opening door / Love is what we came here for”. Das Deuten überlässt Alex Garland seinen Zuschauern.

“Men” spielt auch mit der Chiffre “Horror”. Auf Jump Scares wird dankenswerterweise verzichtet, blutige Ausflüge Richtung Slasher sitzen aber drin. An anderer Stelle wird mit Konventionen gebrochen. Wie zuvor in “Midsommar” scheint über lange Zeit die Sonne, es gibt kaum diffuses Licht, gestochene Schärfe täuscht Eindeutigkeit vor. Doch das Dunkel wartet – am Ende eines Tunnels. Sarkastische Komik, die “Men” von vorn bis hinten durchzieht. Garland spielt mit biblischen Metaphern wie mit Lars von Triers pastoraler Verwesungs-Sehnsucht, parodiert beides. Harper/Eva pflückt einen Apfel, die verbotene Frucht, vom Baum und wird von ihrem Vermieter gerügt. Der diese Rüge gleich als Witz relativiert. Der männliche Gott ist ein taktloser Possenreißer.

“Men” ist einer jener, für die Filmproduktionsgesellschaft A24 typischer, Meta-Horrorfilme, die mit dem Genre spielen, während sie es bedienen. Unter einer wohlfeilen Oberfläche befinden sich weitere Schichten, die es zu entdecken gilt. Beziehungsdrama, gesellschaftskritische Satire und blutiger Body-Horror in einem. Mundet, wenn man sich darauf einlässt.

Cover+ Bilder  © Plaion Pictures

  • Titel: Men – Was dich sucht, wird dich finden
  • Originaltitel: Men
  • Produktionsland und -jahr: GB, 2022
  • Genre: Folk-Horror, Beziehungsdrama, Mystery, Body-Horror
  • Erschienen: 27.10.22
  • Label: Plaion
  • Spielzeit:
    94 Minuten auf 1 DVD
    98 Minuten auf 1 Blu-Ray
  • Darsteller: Jessie Buckley
    Paapa Essiedu
    Rory Kinnear
    Gayle Rankin
  • Regie: Alex Garland
  • Drehbuch: Alex Garland
  • Kamera: Rob Hardy
  • Schnitt: Jake Roberts
  • Musik: Geoff Barrow
    Ben Salisbury
  • Extras Interview mit Alex Garland, Rebirth: The Making of Men
    Teaser & Trailer
  • Technische Details (DVD)
    Video:
    1,85:1 (16:9)
    Sprachen/Ton:
    Deutsch, Englisch, Dolby-Digital 5.1
    Untertitel:
    Deutsch
  • Technische Details (Blu-Ray)
    Video:
    1,85:1 (16:9)
    Sprachen/Ton:
    Deutsch, Englisch, DTS-HD Master Audio 5.1
  • Untertitel: Deutsch
  • FSK: 16
  • Sonstige Informationen:
    Produktseite
    Erwerbsmöglichkeit


Wertung: 11/15 dpt

 

Teile diesen Beitrag:
Schreibe einen Kommentar

Hinweis: Mit dem Absenden deines Kommentars werden Benutzername, E-Mail-Adresse sowie zur Vermeidung von Missbrauch für 7 Tage die dazugehörige IP-Adresse, die deinem Internetanschluss aktuell zugewiesen ist, in unserer Datenbank gespeichert. E-Mail-Adresse und die IP-Adresse werden selbstverständlich nicht veröffentlicht oder an Dritte weitergegeben. Du hast die Option, Kommentare für diesen Beitrag per E-Mail zu abonnieren - in diesem Fall erhältst du eine E-Mail, in der du das Abonnement bestätigen kannst. Mehr Informationen finden sich in unserer Datenschutzerklärung.

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Ähnliche Beiträge

Du möchtest nichts mehr verpassen?
Abonniere unseren Newsletter!

Total
0
Share