Mechtild Borrmann – Wer das Schweigen bricht (Buch)

Ebenso großartig wie bedrückend

Wer das Schweigen bricht
© Pendragon

April 1998. Robert Lubisch räumt die Villa seiner Eltern in Essen aus, da diese verkauft wurde. Die Mutter ist vor Jahren gestorben, jetzt hat es Friedhelm erwischt, der immer ein Übervater war. Wenig konnte Robert ihm rechtmachen und als er sich gar weigerte, die eigene Firma zu übernehmen und stattdessen Medizin zu studieren, war das Tischtuch endgültig zerschnitten. Beim Aussortieren stößt Robert auf einen alten Wehrmachtpass von Wilhelm Peters sowie das jahrzehntealte Foto einer schönen, jungen Frau. Gegen Kriegsende wollte der Vater nur noch weg. Weg vom Krieg, von der Front, vom sinnlosen Sterben. Er nahm den Pass des toten SS-Scharführers Peters und floh unter dessen Namen in die Heimat am Niederrhein. So hat es Friedhelm immer erzählt, aber wer ist die attraktive Frau? Eine frühere Geliebte des unfehlbaren Vaters?

Roberts Neugier ist geweckt und dank eines Hinweises auf den Fotografen auf der Bildrückseite, kommt er über Umwege zu einem Hof, in dem die Journalistin Rita Albers lebt. Diese ist von der Geschichte angetan und findet heraus, dass es sich bei der Frau um Therese Peters handelt, die 1950 nach einem Streit mit ihrem Mann, diesen als vermisst meldete. Wilhelm blieb verschwunden und Therese geriet sogar unter Verdacht, ihn ermordet zu haben. Wenig später verschwand auch sie. Doch Albers findet heraus, dass Therese später, obwohl noch verheiratet, unter ihrem Mädchennamen Pohl neu heiratete und jetzt Therese Mende heißt. Ex-Chefin des millionenschweren Mende-Konzerns.  

Robert hat plötzlich Bedenken, dass das Andenken seines Vaters in Mitleidenschaft gezogen werden könnte und da Therese offenbar nicht die Geliebte seines Vaters war, bittet er Albers einige Abende später, ihre Recherchen einzustellen. Am nächsten Morgen wird Albers erschlagen in ihrer Küche aufgefunden und Robert gerät ins Visier der Ermittler.

Namhafte Auszeichnungen

Wer sich mit dem lesenswerten Werk von Mechtild Borrmann auskennt ahnt, dass hier einiges nicht stimmt. Es entsteht ein altbekanntes Muster, welches erneut eindrucksvoll umgesetzt wird. Der Deutsche Krimi Preis 2012 und Platz eins in der KrimiZeit-Bestenliste im August 2011 bestätigen die Qualität des Romans. Wie gewohnt gibt es zwei Erzählstränge, von denen einer in der Zeit des Zweiten Weltkrieges, der andere in der Gegenwart spielt. Mit Gegenwart ist allerdings das Jahr 1998 gemeint, andernfalls würden einige Figuren von damals nicht mehr leben können.

1938 sind sechs junge Leute, drei Frauen und drei Männer, eine verschworene Clique. Der Schulabschluss ist gemacht, erstes Gerede von einem möglichen Krieg im Umlauf und wichtige Entscheidungen stehen an. Zärtliche Gefühle entstehen, Sehnsüchte nach Liebe werden nicht erwidert oder dürfen schlicht nicht sein. Wilhelm Peters macht in der Partei Karriere, verliebt sich in Therese, die von ihm nichts wissen möchte. Die beiden anderen Männer fühlen sich zueinander hingezogen und so kommt es zum unvermeidlichen Drama. Sie werden beobachtet und ein Kind begeht einen Verrat, von dem es nichts ahnt. Schließlich wollte es doch nur Führer und Vaterland helfen. Wilhelm und andere Nazischergen greifen ein und nicht nur an dieser Stelle zerbricht, langsam aber unaufhaltsam, die Beziehung der sechs Freunde. Auch die spätere Freundschaft zwischen Therese und einem russischen Zwangsarbeiter, die natürlich gar nicht sein darf, ist berührend.

Wenn man jung ist, ahnt man nicht, dass Liebe auch bleibt, wenn der andere fort ist. Wie ein Phantomschmerz. Und dann ist dieser Schmerz wie ein Ring. Er hat kein Ende.

Inhaltlich soll hier nichts weiter verraten werden, denn die Geschichte erlebt einige Entwicklungen und Wendungen, die man selber entdecken muss; insbesondere hinsichtlich des „großartigen“ Finales. Missverständnisse, Lügen und Fehlgriffe gehen Hand in Hand, die sich daraus ergebenden Turbulenzen sind teils atemberaubend.

Das Schrecken des Naziregimes trifft auf jugendliche Träume. Empathisch erzählt, das Grauen keineswegs ausblendend und dennoch in meisterhaft leisen Tönen. Große Literatur über die wirklich relevanten Fragen wie Liebe, Schuld, Sühne und Verrat. Wie noch dazu die beiden Erzählstränge miteinander verwoben sind, ist ebenfalls großes Kino. Aufgrund der Thematik nicht immer angenehm zu lesen, aber jederzeit anspruchsvoll und mit Nachwirkung weit über das Romanende hinaus. Ein gekonnter Warnruf vor dem unmenschlichen Schrecken des Faschismus. Und mehr.

Weitere Rezensionen zu Mechthild Borrmann:

  • Autorin: Mechtild Borrmann
  • Titel: Wer das Schweigen bricht
  • Verlag: Pendragon
  • Umfang: 224 Seiten
  • Einband: Taschenbuch
  • Erschienen: Februar 2011
  • ISBN: 978-3-86532-231-9
  • Produktseite


Wertung: 13/15 dpt

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