Beate Kniescheck – Eva & Söhne (Buch)


Ein feministischer Blick ins Familienalbum

(c) Septime Verlag

Als der Vater der Ich-Erzählerin stirbt, mischt sich in ihre Trauer eine sehr heftige Enttäuschung und Wut, die sich gegen den Verstorbenen richtet. Anlass ist ein Brief, in dem der Vater seinen letzten Gruß formuliert hat und in dem er ausschließlich die Brüder berücksichtigt, sie aber, die einzige Tochter, noch nicht einmal namentlich erwähnt.

„(…) ‚Papa ist tot, es gibt keinen Grund mehr, mit dem ganzen Theater weiterzumachen!‘
‚Was soll das denn heißen, das ganze Theater?‘, fragte meine Mutter, (…)
‚Na, das ganze Theater um Papas Begräbnis, die vielen Gäste, die Journalisten, der Landeshauptmann als Trauerredner, der Livestream. Ich meine, der ganze Rummel um ihn, sogar nach seinem Tod. Dabei hat er selbst alles getan, dass Frauen in seinem Umfeld übersehen werden.‘  “
Seite 42

Als die Ich-Erzählerin zufällig herausfindet, dass die Großeltern neben dem Vater und dem Onkel noch ein weiteres Kind, ein Mädchen, hatten, dessen Existenz in der Familie niemals ein Thema war, dringt sie noch tiefer in die Familiengeschichte ein.

„Eva & Söhne“ ist trotz seiner geringen Seitenzahl eine ausführliche Mehr-Generationengeschichte. Ausgehend von der Nachkriegszeit spannt Kniescheck vor dem geschichtlichen Hintergrund des Wiederaufbaus und des wirtschaftlichen Aufstiegs einen Bogen, der insgesamt drei Generationen umspannt. Die Autorin erzählt die Geschichte in kleinen Episoden, die sich sukzessiv wie Mosaiksteine zu einem Gesamtbild fügen. Dabei wechselt sie zwischen Gegenwart und Vergangenheit:

In der Gegenwart bemüht sich die Ich-Erzählerin darum, das Geheimnis der verschwundenen Tochter zu entschlüsseln. Sie konzentriert ihre Energie darauf, deren Grab ausfindig zu machen.

In der Vergangenheit steht Eva, die Großmutter der Erzählerin, im Mittelpunkt, die die Mutter der verschwundenen Tochter war. Von beiden Seiten her nähert sich die Erzählung nun dem Geheimnis der letzten Grabstätte der verstorbenen Tochter an.

Die Erzählerin entlarvt das Verhalten ihres Vaters bzw. Großvaters, in dem sie ein festes Muster offenlegt. Die Lebensläufe beider Männer waren geprägt von systematischer Nichtbeachtung ihrer Frauen, von einem selbstverständlichen Unsichtbar-machen derer Lebensleistungen.

„Unsere Familie war im Grunde typisch für ihre Zeit. Obwohl meine Mutter die Firma gemeinsam mit meinem Vater besaß und führte, war ausschließlich sie für den Haushalt und die Kinder zuständig, fürs Leben in den eigenen vier Wänden, fürs Private. Mein Vater hatte dadurch alle Freiheiten, sich auf seinen Beruf zu konzentrieren. Er stand als Unternehmer in der Öffentlichkeit und erhielt zahlreiche Auszeichnungen, meine Mutter keine einzige.“
Seite 82/83

Das Bild des seine Familie ernährenden Mannes, der durch Beruf und Karriere gesellschaftliche Anerkennung findet, kontrastiert dabei mit dem Bild der auf häusliche Aufgaben reduzierten Frau. Während das Leben der Männer in der Öffentlichkeit stattfand und dort auch Wertschätzung erfuhr, wurde der Leistung der Frauen weniger Bedeutung beigemessen. Ihren Aufgaben haftete stets etwas Selbstverständliches an. Für den Leistungsdruck, dem die Männer ausgesetzt waren, gab es Verständnis, die Befindlichkeiten der Frauen dagegen wurden verharmlost oder sogar diffamiert und ins Private verbannt.

So erfährt Eva, die Großmutter der Erzählerin, die nach dem Tod der kleinen Tochter, immer wieder depressive Phasen erleidet, kein Verständnis in ihrer Umgebung. Im Gegenteil:

“Sie belauschte eine Unterhaltung vor dem Laden. ‚Komisch war die Anzgruber schon, als sie hergezogen sind‘, hörte sie eine Stimme. ‚Und jetzt sagt sie gar nichts mehr. Der Anton hat’s schon schwer mit so einer!‘  „
Seite 99

Knieschecks Roman, der die Nachkriegszeit anhand einer Familiengeschichte exemplarisch inszeniert, ist feinste feministische Aufarbeitung. Die Autorin geht hart mit der traditionellen geschlechterbezogenen Rollenverteilung ins Gericht.

In diesem Sinne überrascht der versöhnliche – nicht wirklich konsequent zur sonstigen Gesamtdarstellung passende  – Ton auf den letzten Seiten. Kniescheck öffnet durch ihren Epilog ein Fenster ins Private. Dort bietet sie den Männern der Geschichte Gelegenheit, ihre Zuneigung den Frauen gegenüber zu zeigen. Die Autorin entschärft so das Stereotyp ihrer eigenen Darstellung. Die Liebe innerhalb der Familie scheint die Annäherung zwischen den Geschlechtern und Generationen, das Überbrücken der Gegensätze, zu ermöglichen. Andererseits steigert gerade dieser Wechsel ins Persönliche die Authentizität des Erzählten. Das Dargestellte ist mehr als ein historisches Exempel. Die große Geschichte offenbart sich hier sehr anschaulich im kleinen Format.

  • Autorin: Eva Kniescheck
  • Titel: Eva & Söhne
  • Verlag: Septime Verlag
  • Erschienen:  August 2022
  • Einband: Gebundene Ausgabe
  • Seiten: 144 Seiten
  • ISBN: 978-3991200130


Wertung: 12/15 dpt

  • Autorin: Eva Kniescheck
  • Titel: Eva & Söhne
  • Verlag: Septime Verlag
  • Erschienen:  August 2022
  • Einband: Gebundene Ausgabe
  • Seiten: 144 Seiten
  • ISBN: 978-3991200130


Wertung: 12/15 dpt


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