Margaret Atwood – Innigst/Dearly
Innigst/Dearly. Margaret Atwood, ein Name, der zweifelsohne zu den ganz großen der zeitgenössischen Literaturszene gehört. Der dystopische Roman „Der Report der Magd“ belohnte seine Autorin nicht nur mit weltweiter Aufmerksamkeit, sondern auch mit zahlreichen Nominierungen. Neben Romanen verfasst die Ausnahme-Literatin zudem Kurzgeschichten, Essays und Lyrik.
Mit „Dearly: Poems of a Lifetime“ erschien 2020 im englischsprachigen Raum eine Sammlung ihrer Gedichte, nun erfolgte die deutschsprachige Übersetzung „Innigst: Gedichte eines Lebens“.
Der Inhalt des Bandes wird seinem Untertitel dabei gerecht.
Die Gedichte erzählen aus einem Leben, einem langen Leben, durchzogen von all den Themen, die einen im Laufe der Jahre beschäftigen können. Kindheitserinnerungen, Ausbildung, Liebe und Tod, Sehnsucht und geheime Gefühle und immer wieder die Natur versammeln sich in diesem so außergewöhnlich zusammengestellten Buch. Margaret Atwood erzählt von Erinnerungen an ihre Katze, von Eindrücken in einem Gesundheitskurs. Ihre Gedanken zu unserer Gesellschaft melden sich immer wieder zu Wort und ein um das andere Mal beschäftigt sie sich mit der Frage, wie wohl außerirdisches Leben auf das unsrige reagieren würden. Die Natur ist ein essenzieller Aspekt in ihren Gedichten, besonders herausragend ist dabei „Plastizän-Suite“, eine Gedankenreise durch unsere Klimakrise, welches fulminant mit einem resignierend-ignoranten Schulterzucken abschließt.
„Aber sieh doch mal die positiven Aspekte,
sagst du.
Hat es je zuvor soviel Leuchtkraft gegeben?“
Interessant ist auch Atwoods Auseinandersetzung mit dem Tod, einem unverzeihlichen noch dazu und die Frage nach dem Verzeihen ist die abschließende, die nicht nur sie, sondern auch die Leser, nachhaltig beschäftigt.
Während des Lesens hat man das Gefühl, man könnte Margaret Atwood beim Leben beobachten und das macht den Charme ihrer Gedichte aus.
Auch, dass sie sich in den letzten im Buch aufgezählten Gedichten mit dem Vergänglichen beschäftigt, trägt dazu bei. Sie betrauert den Verlust von Freunden, das schmerzhafte Altern ihrer Mutter, alte Gedanken und Gefühle. Aber auch der Abbau der Sprache ist ein Thema. So träumt sie von in Vergessenheit geratenen Sprichwörtern und Ausdrücken, die im heutigen Wortschatz kaum noch verwendet werden.
„Es ist ein altes Wort, das verblasst.
Innigst wünschte ich.
Innigst sehnte ich mich.
Ich liebte ihn innigst.“
[…]
„Alles verblasst nunmehr …“
Ein ganzes Gedicht hat Atwood diesem im heutigen Wortschatz kaum noch verwendetem Wort (original: Dearly) gewidmet und diesen großartig melancholischen Zeilen ist auch der Titel der Lyriksammlung zu verdanken. Ein wenig Nostalgie, die einem unweigerlich beim Rückblick auf die letzten Jahre überfällt, ist auch hier nicht zu verachten.
Margaret Atwoods Wortwahl und Formulierungen sind den Gedichten spezifisch äußerst passend gewählt. Mal sind ihre Formulierungen knapp, mal spielt sie mit der Sprache und erschafft höchst interessante Wörter wie „Wirbelsäulenxylophon“.
Auch hier lässt sich der Wandel ihres Lebens gut beobachten und wie sich ihre Art zu denken und zu schreiben im Laufe der Zeit veränderten.
„Innigst: Gedichte eines Lebens“ ist eine gelungene Übersetzung. Übersetzer Jan Wagner spielt in seinem Werk so geschickt mit Worten und Versen, dass es ihm gelingt, den übersetzten Gedichten einen ganz besonderen Zauber zu verleihen, ohne dass derjenige der Originalen verloren geht.
Dass sich Originalwerke und ihre Übersetzungen jeweils einander gegenüber finden, ist zudem sehr gelungen, auf diese Weise kann man einen guten Einblick in beide Arbeiten erhalten.
Der neue Lyrikband von Margaret Atwood ist eine wunderbare Lektüre für Liebhaber der Lyrik, die gerne träumen, schwelgen und verweilen und die gerne nähere Einblicke in die Gedanken der großartigen Schriftstellerin erhalten möchten.
Wertung: 13/15 dpt
- Autor: Margaret Atwood
- Titel: Innigst: Gedichte eines Lebens
- Originaltitel: Dearly: Poems of a Lifetime
- Übersetzer: Jan Wagner
- Verlag: Berlin Verlag in der Piper Verlag GmbH
- Erschienen: 2022
- Einband: Hardcover mit Schutzumschlag
- Seiten: 240
- ISBN: 978-3-8270-1468-9
- Sonstige Informationen:
- Produktseite
- Erwerbsmöglichkeiten
Cover © Berlin Verlag