Dieser kurze Roman spielt in einer erschreckenden Welt – es ist die, in der wir leben. Eindringlich und voller psychischer Abgründe. Lesenswert nicht nur für die Generation Social Media.
Kayleigh arbeitet bei HEXA, einer Firma, die dafür sorgt, dass gewisse Beiträge, die gegen Richtlinien verstoßen, aus dem Netz entfernt werden. Und diese Entscheidungen – ja oder nein – müssen schnell getroffen werden, um die vorgegebene Quote zu halten: Mindestens 500 Bilder und Videos werden pro Schicht evaluiert, maximal sieben Minuten Pause sind erlaubt, Smartphones am Arbeitsplatz verboten und beim Gang aufs Klo läuft die Stoppuhr.
Doch neben all den strengen Arbeitsbedingungen sind die Inhalte des Jobs das, was eigentlich niemandem zugemutet werden kann: Mädchen, die sich vor laufender Kamera selbst verletzen, Tierquälerei, sexueller Missbrauch, politische Hetze – das volle Programm, den ganzen Tag. Wenn Kayleigh von ihrem Job erzählt, wird sie sensationslüstern gefragt: „Und was ist das Schlimmste, was du gesehen hast?“ Und nie kann die Antwort detailliert genug ausfallen.
Das Buch erzählt von den alltäglichen Abgründen des Internets, aber es geht auch um soziale Geflechte im echten Leben: Kayleigh beginnt eine zarte Liebesbeziehung zu ihrer Kollegin Sigrid, beide geben sich Halt in dieser anscheinend kaputten Welt.
„Die Arbeit mir nach Hause nehmen“ nimmt hier völlig andere Dimensionen an, denn schon bald merken alle Beteiligten, dass die Trennung von Job und Alltag kaum möglich ist:
Mittel gegen das Vergessen sind für HEXA-Mitarbeitende Drogen und Rausch. Wird die Liebesbeziehung zwischen Sigrid und Kayleigh den psychischen Prüfungen des Jobs standhalten? Und wie entwickeln sich die freundschaftlichen Beziehungen zu den anderen Arbeitskollegen? All das erzählt der Roman aus Kayleighs Perspektive im Rückblick.
Der Blick auf die Parallelwelt der sozialen Medien wird nach der Lektüre dieses Romans ein anderer sein. Schließlich muss es sie irgendwo geben, diejenigen die sich um die Content-Moderation kümmern und uns den grenzenlosen virtuellen Raum mit all seinen Inhalten verträglich gefiltert vorsetzen. Doch wer bestimmt, was sichtbar sein soll und was nicht? Bervoerts stellt sie mit diesem Buch, die große Frage nach der Moral einer Social-Media-Gesellschaft. Doch wie viele Fragen in diesem Roman bleibt sie unbeantwortet.
Und so bleibt man am Ende der Lektüre etwas ratlos zurück: Wäre man gern tiefer eingetaucht in das Seelenleben der Protagonistin, oder liegt die erzählerische Kunst gerade in den Leerstellen der Handlung? Hier gehen die Meinungen sicherlich auseinander. Die Welt der verstörenden Videos bleibt auf jeden Fall im Kopf, die Protagonistinnen bleiben jedoch schablonenhaft, auf den wenigen Seiten recht klar komponierter Literatur in verständlicher Sprache.
Für die 38-jährige Autorin ist „Dieser Beitrag wurde entfernt“ bereits der achte Roman. Sie schreibt zudem Essays und Kurzgeschichten für Zeitschriften. Thema ihrer Literatur ist es immer wieder, die Norm zu hinterfragen und in den Raum zu stellen, was überhaupt normal ist – so die Autorin in einem Videointerview. Für die Recherche sprach sie mit einem Content-Moderator, der für eine Social Media-Plattform arbeitet und war sofort von seiner Arbeit fasziniert.
Der gewählte Titel sowie der wunderschön gestaltete Einband des schmalen Hardcovers spielen dem Buch auf jeden Fall in die Karten: Man möchte es in die Hand nehmen und wenn man erst einmal ein paar Zeilen gelesen hat, dann legt man es auch so schnell nicht weg. Ein Buch zum Gruseln und Nachdenken – im besten Fall. Oberflächliche Leser*innen sehen darin vielleicht nur eine halbgare Liebesgeschichte. Unbestreitbar ist allerdings die brandaktuelle Thematik der Content-Moderation, die die Lektüre des Buchs unbedingt empfehlenswert macht.
- Autorin: Hanna Bervoets
- Titel: Dieser Beitrag wurde entfernt
- Originaltitel: WAT WIJ ZAGEN
- Übersetzer: Rainer Kersten
- Verlag: Hanser Berlin
- Erschienen: 25. Juli 2022
- Einband: Hardcover
- Seiten: 112
- ISBN: 978-3446273795
- Sonstige Informationen:
- Produktseite
Wertung: 11/15 dpt