Bei diesen Worten sprühen die Funken! Die etwas andere Geschichtsstunde für alle.
50 Frauen hat sich die Herausgeberin Dr. Stephanie Zibell aus der Weltgeschichte herausgepickt und ihnen einen Platz in ihrer Anthologie eingeräumt. Es handelt sich dabei um Bergsteigerinnen, Erfinderinnen, Friedensaktivistinnen, Schriftstellerinnen, Philosophinnen, Künstlerinnen und viele mehr. Die Vielfalt der Zusammenstellung zeigt, dass es sich bei der Sammlung nicht nur um politische Reden vor einem Plenum handelt, sondern ganz vielfältige Themen in unterschiedlichen Kontexten angesprochen werden, die Ende des 19. Jahrhunderts relevant waren und bis ins 21. Jahrhundert hinein noch immer sind. Abgesehen von ihren gewichtigen Worten eint eine weitere Gemeinsamkeit die ausgewählten Rednerinnen: Sie sind alle bereits tot.
Keine Angst vor historischer Wucht. Die Gliederung des Buchs kommt interessierten Leser*innen durch die Einordnung der Reden in den historischen Kontext und erklärende Worte ungemein entgegen. Die abgedruckten Reden sind unterschiedlich lang, manchmal handelt es sich auch nur um kurze Auszüge, und erschließen sich auch bei unbekannten Rednerinnen oder fremder Thematik recht schnell: die biografischen Informationen zu jeder Rednerin helfen dabei ebenfalls.
Die ausgewählten Beiträge sind chronologisch geordnet. Die erste Rede stammt aus dem Jahr 1880, gehalten von der US-amerikanischen Astronomin Maria Mitchell zum Thema Mädchen- und Frauenbildung, den Abschluss macht Mary Higgins Clark mit einem Interview von 2019 zur #MeToo-Debatte.
Neben dem Interview findet sich auch ein Brief im Repertoire: „Die Schmerzen fressen mich auf“, schrieb die Französin Chantal Sébire im Februar 2008 an den damaligen Präsidenten Nicolas Sarkozy und bittet um die Legalisierung aktiver Sterbehilfe. Ihre besonders aggressive Tumorerkrankung ging damals durch die Medien, ihr Gesuch blieb ohne Erfolg. Mitte März desselben Jahres wurde sie in ihrer Wohnung tot aufgefunden – die Obduktion ergab Selbstmord. Für mich der ergreifendste Beitrag der Sammlung.
Bekannte Namen wie Marlene Dietrich, Hannah Ahrendt und Marie Curie sind vertreten, aber man lernt auch weitere Aktivistinnen kennen, die sich für Frieden, Gleichberechtigung und vieles mehr einsetzten. Vorgestellt werden engagierte Frauen aus Asien, Afrika, Europa, Nord- und Südamerika. Und sogar die Prominenz unter den Rednerinnen weiß noch zu überraschen: Josephine Baker beispielsweise, vorrangig bekannt als Pariser Varietékünstlerin, hielt eine flammende Rede gegen Diskriminierung, und zwar direkt vor Martin Luther King bei der wohl berühmtesten Demonstration der Welt: dem Marsch auf Washington 1963 mit rund 250.000 Teilnehmenden. Aus ihrer Rede stammt auch das titelgebende Zitat:
Ebenfalls beeindruckend ist die Dankesrede von Bertha von Suttner, die diese 1906 vor dem Nobel-Komitee in Kristiana (heute Oslo) hielt, nachdem ihr als erste Frau der Friedensnobelpreis verliehen worden ist.
Für einen besseren Überblick wäre es hilfreich gewesen, die Jahreszahlen der Reden im Inhaltsverzeichnis zu ergänzen – am besten gemeinsam mit der Berufsbezeichnung oder kurzen Einordnung der jeweiligen Rednerin. Ein riesiges Plus ist die umfangreiche Auflistung der Quellen – offline sowie online. Entweder für das nächste Referat, die akademische Hausarbeit oder zur Eigenrecherche.
Überraschend und oft nicht recht nachvollziehbar warum, ist es, wenn der zitierte Beitrag nur wenige Zeilen umfasst und die biografischen Informationen und historische Einordnung um ein vielfaches länger ausfallen. Dann liegt der Schwerpunkt eher auf der Geschichtsstunde, als auf der Rhetorik, die zum Einsatz kommt. Denn das ist wirklich auch ein spannender Punkt bei der Lektüre, mal abgesehen von den brisanten Inhalten: Welche Stilmittel werden im Lauf der Jahrzehnte verwendet? Welche Formulierungen und Vergleiche kommen zum Einsatz, um einen Appell besonders wirkungsvoll zu gestalten, oder Emotionen zu erzeugen? Jede Rednerin hat ihren eigenen Stil, formuliert ihr Anliegen auf ihre eigene Weise. Im Bezug auf den Wandel der Sprache führt die Herausgeberin, die bis 2020 als Privatdozentin an der Johannes-Gutenberg-Universität in Mainz Politikwissenschaften lehrte, in einem Interview zum Beispiel auch die Anrede an:
Das Buch ist weitaus mehr als eine Empfehlung für alle, die am Feminismus und historisch bemerkenswerten Frauen interessiert sind: Sprachgeschichte, Rhetorik, politisches Engagement – all das findet sich in „Um das Feuer in euch zu entfachen“ in geballter Form. Die angesprochenen Themen gehen über Gleichberechtigung hinaus und sprechen Fragestellungen an, die nichts an ihrer Aktualität verloren haben. Bewegend, Funken sprühend und mitreißend – und bitte von der etwas altbackenen, wissenschaftlich-anmutenden Aufmachung nicht abschrecken lassen. Ein erfrischend anderes Sachbuch mit Aha-Effekt, das lange nachhallt.
Hörtipp: Im Podcast Autorinnen im Porträt haben die booknerds-Redakteurinnen Sarah (Verfasserin des Artikels) und Mariann dem Thema “Flammende Rednerinnen” ebenfalls eine Episode gewidmet. Hier geht’s zum Podcast Autorinnen im Porträt und hier finden Sie den Link zu Folge “Flammende Rednerinnen”.
- Autor*in: Stephanie Zibell (Hrsg.)
- Titel: Um das Feuer in euch zu entfachen! Bedeutende Worte beeindruckender Frauen.
- Verlag: S. Marix Verlag
- Erschienen: Juni 2022
- Einband: Hardcover mit verlängertem Vorsatzpapier
- Seiten: 300
- ISBN: 978-3-7374-1190-5
- Sonstige Informationen:
- Produktseite
Wertung: 11/15 dpt