Stephan Weichert – Adler, Weibliche Kriminalpolizei, Berlin. Verdunklung 1940 (Buch)

Stephan Weichert – Adler, Weibliche Kriminalpolizei, Berlin. Verdunklung 1940 (Buch)

Serienmörder oder Staatsfeinde?

Adler, Weibliche Kriminalpolizei, Berlin. Verdunklung 1940
© edition krimi (Imprint der Bedey & Thoms Media GmbH)

Berlin. November 1940. In der Nähe des Betriebsbahnhofes Rummelsburg wird eine Frauenleiche auf einem Gleis gefunden. Zuvor wurde die missbrauchte Frau aus einer S-Bahn geworfen. Es handelt sich um Karin Borchert, die in einer nahegelegenen Laubenkolonie lebte. Es gab bereits mehrere Übergriffe in der Gegend, welche immer brutaler ausfielen. Jetzt der erste Mord, der Kriminalrat Wilhelm Lüdke, Chef der Inspektion M 1 zur Aufklärung von Sittlichkeitsverbrechen, und Grete Hartmann, Leiterin der Weiblichen Kriminalpolizei, dazu veranlassen, die Aktion Quadriga zu starten. Mit Hilfe eines Lockvogels, welchen die soeben zur Kommissarin beförderte Luise Adler geben soll, will man dem Serienstraftäter das Handwerk legen. Am Werderschen Markt sitzt jedoch nicht nur die Kriminalpolizei, sondern auch die Sicherheitspolizei und deren Chef Kurt Eugen Görnitz hält von der Theorie eines einzelnen Serienmörders rein gar nichts. Hier müssen Staatsfeinde am Werk sein, missratene Widerständler oder Ausländer.

Schon bald geraten zwei Männer in das Visier der Ermittler. Paul Golzow, ein Weichenarbeiter am Betriebsbahnhof, sowie Christian Cornelius, der für eine Forschungseinrichtung maßgeblich an der Entwicklung von Zyklon B beteiligt war und nun vom Widerstand träumt; zudem ein Nachbar der ermordeten Borchert in der Gartenkolonie. Die Kripo ermittelt vorrangig gegen Golzow, doch das ein echter SA-Mann ein Mörder sein soll, davon will Görnitz partout nichts hören und konzentriert sich seinerseits auf Cornelius, dem er mit purer Gewalt ein Geständnis entlocken will. Während Kripo und Sipo miteinander streiten, geht derweil das Morden munter weiter.

Unterhaltsamer und vielschichtiger Plot

November 1940. Berlin ist Luftangriffen ausgesetzt, weswegen nachts Verdunkelung angeordnet ist. Ein Paradies für einen Mörder, der unentdeckt bleiben möchte. Der erste Fall für Luise Adler, die hier als vermeintliche Protagonistin keineswegs überragend viel Platz einnimmt, sondern eher eine Figur von vielen ist, bildet einen gelungenen Einstieg in eine mögliche (?) Serie. Potential, das darf gesagt werden, bietet der Roman auf alle Fälle, wenngleich, auch dies vorweg, nicht viele der mitwirkenden Personen überleben werden. Mit kurzen, oft wechselnden Kapiteln sorgt Autor Stephan Weichert für Lesetempo und eine konstant hohe Spannungskurve, zumal selbst die Geschehnisse neben den eigentlichen Ermittlungen von Interesse sind.

Da sind die Geschwister Johanna und Peter Schenk, deren Eltern eine sogenannte Heilanstalt für Kinder leiten und in Wahrheit im Sinne der Rassenlehre letztlich Euthanasie betreiben. Johanna ist die Freundin von Cornelius, der – wie bemerkt – als Forscher Zyklon B mit entwickelt hat, welches in den Konzentrationslagern bereits zum Einsatz kommt. Da ist Eva Schiller, die Sekretärin von Hartmann, die seit zwei Jahren den seit damals vermissten Arzt Simon Blumberg in ihrer Wohnung versteckt. Dem Doktor wurde damals die Praxis entzogen, die nun von einer Ärztin geleitet wird, die mit ihrer Freundin zusammenlebt. Sowohl der jüdische Doktor wie auch das lesbische Liebespaar geraten in den Fokus von Görnitz, einen lupenreinen Nazi, der ebenso brutal wie ideologisch verblendet ist. Nicht nur wettert er ganz im Sinne der Nazidoktrin gegen alles Nichtdeutsche, sondern zeichnet sich vor allem durch ein hohes Maß an Frauenverachtung aus. So bezeichnet er Luise Adler, wenn er sie denn zur Kenntnis nimmt, nur als Ding.

Während die Kripo versucht ordentlich zu ermitteln, kennt die Sipo nur Gewalt bis hin zur Folter. Vielschichtig führt der Autor neben dem eigentlichen Krimiplot in diverse Themen der damaligen Zeit ein. Die Verfolgung von Homosexualität, der Einsatz von Giftgas in den Lagern und die Stellung von Mann und Frau sind dabei einige wesentliche Aspekte. Der Krimiplot selbst bleibt hingegen überschaubar. Hier sind noch am lesenswertesten die unterschiedlichen Ansätze der Ermittlungsteams, wobei die Sipo nicht wirklich ermittelt. Der kriminalistische Spannungsbogen hinsichtlich des Täters bleibt überschaubar und die Auflösung des Falles dürfte nur wenige überraschen. Dafür bleibt spannend und interessant zu lesen, was – wie gesagt – neben dem Krimiplot geschieht. Auch hier gibt es nicht zu wenig Leichen und sprachliche Brutalität steht der körperlichen Gewalt kaum nach. Alles in allem ein lesenswerter Roman, der die Abgründe des Nationalsozialismus facettenreich aufzeigt.

  • Autor: Stephan Weichert
  • Titel: Adler, Weibliche Kriminalpolizei, Berlin. Verdunklung 1940
  • Verlag: edition krimi (Imprint der Bedey & Thoms Media GmbH)
  • Umfang: 330 Seiten
  • Einband: Taschenbuch
  • Erschienen: September 2022
  • ISBN: 9783948972875
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Wertung: 11/15 dpt

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