Madeline Miller – Galatea (Buch)


© Eisele

Madeline Miller – Galatea

Ich liebe es, wenn sich strukturell benachteiligte Gruppen ihre Stimme zurückerobern.

Madeline Millers “Galatea” ist eine Geschichte, die durch die Neuinterpretation eines alten griechischen Mythos genau das tut: Frauen ihre Stimme zurückgeben. Der Bildhauer Pygmalion hat aus Abscheu vor und Hass zu den “schmutzigen” und verachtenswerten Frauen seiner Heimat eine Marmorstatue gemeißelt, die er als perfekt ansieht.
Aus welchen Gründen auch immer, erweckt die Göttin Aphrodite die Statue zum Leben und verdammt sie so zu einem Leben als wehrlose Sexsklavin (die dann auch geschwängert wird). Pygmalion hatte nämlich nie Interesse an einer gleichberechtigten Partnerin: Widerspruch, eigener Wille und Selbstbestimmung sind ihm zuwider. Frei ausgelebte weibliche Sexualität, Selbstbestimmung und Willenskraft sind gegen die Natur und Frauen, die diese Merkmale haben, sind verachtenswert.

Madeline Miller spinnt diese alte Geschichte weiter: Die nun zum Leben erweckte Galatea hat Pygmalion schnell verstanden und unterwirft sich ihm – in der Hoffnung, ihre Tochter eines Tages wiedersehen zu können und sie von ihrem tyrannischen Vater zu befreien.

Die Geschichte zeigt, wie Galateas Leben nach ihrem Erwachen weitergegangen sein könnte – statt (aus patriarchaler Perspektive) als perfekte Frau weiter glorifiziert zu werden.

Madeline Miller hat bereits andere berühmte Bücher veröffentlicht – darunter “Das Lied des Achilles” und “Ich bin Circe” (beides sehr tolle Bücher).
Wer diese Bücher gelesen hat, wird nochmal deutlicher auffallen wie gut Miller Wörter dazu verwenden kann, um ihre Figuren und deren Emotionen zum Leben zu erwecken, greifbar zu machen und ihre gewünschten Stimmungen zu erzeugen: Während Miller bei “Das Lied des Achilles” sensibel und gefühlsbetont war und bei “Ich bin Circe” von niedergeschlagen bis kämpferisch reichte, ist “Galatea” vulgär, nüchtern und endgültig. Denn das Buch macht direkt und ohne Beschönigung klar, um was für eine Geschichte es sich handelt: Es geht um Misogynie, Doppelstandards und den Kampf um Selbstbestimmung.
Hin und wieder werden aber auch Incels humorvoll entlarvt und für das dargestellt, was sie sind: Witzfiguren.

“Galatea” ist ein kurzes Buch – die Geschichte selbst fasst kaum sechzig Seiten, die durch Millers lebendigen Schreibstil schnell gelesen sind.

Trotzdem steckt in diesem kleinen Buch so viel, dass auch einiges über unsere Lebensverhältnisse und die noch immer als normal betrachtete allgemeine Misogynie bloßstellt.

So herrscht noch immer ein Perfektionszwang für Frauen: Viel zu oft müssen sie Rollen miteinander vereinbaren, die teils gegensätzlich sind – so müssen sie Liebhaberin, aufopferungsvolle Mutter, Karrierefrau und treue Partnerin sein, während sie dabei einen perfekten Körper haben müssen. Glow-Up-Szenen in Filmen oder die (Selbst-) Darstellung von “Girl Bosses” sind dabei wenig hilfreich.

Aber auch die Gewalt und der Hass gegen Frauen ist noch immer allgegenwärtig und scheint durch die Anonymität im Internet sogar zuzunehmen – so gibt es Männer wie Jordan Peterson, Ben Shapiro, Alex Jones und deutsche Nachahmer, die menschenfeindliche Lehren verbreiten und willig von unsicheren Männern aufgenommen werden, um ihre Unzulänglichkeiten zu rechtfertigen. Alphamänner, Incels und Krypto Bros sind das Ergebnis davon.

Deswegen ist “Galatea” ein Must-Read für alle, die sich mit den Konsequenzen von Misogynie auseinandersetzen oder sich einen Spaß über Incels erlauben wollen.

Gerade das Vor- und Nachwort sind es wert gelesen zu werden, da sie nicht nur über die Incelkultur und ihre Gefahren aufklären. Deswegen empfehle ich es, beides nicht zu überspringen.

  • Autor: Madeline Miller
  • Titel: Galatea
  • Originaltitel: Galatea
  • Übersetzer: Ursula C. Sturm
  • Verlag: Eisele
  • Erschienen: 2022
  • Einband: Hardcover
  • Seiten: 80
  • ISBN: 978-3-96161-141-6
  • Sonstige Informationen:
  • Produktseite 
  • Erwerbsmöglichkeiten


    Wertung: 14/15 dpt

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1 Kommentar
  1. Sehr sehr interessantes Werk! Danke für die Rezi.
    Nur eines hat mich gestört – der Begriff “Sexsklavin”. Ich weiß nicht, ob das Wort exakt so im Buch vorgekommen ist, aber es verharmlost Vergewaltigung. Vergewaltigung ist kein Sex, selbst wenn es mit den gleichen “Werkzeugen” stattfindet. Zudem kommt der Begriff eher aus dem BDSM-Bereich, bei dem EINVERNEHMLICH und mit Blick auf Grenzen und Konsens Menschen “Sklaven” spielen.

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