Heinrich Steinfest – Der betrunkene Berg
Routinierte Sprachkunst
Wenn Heinrich Steinfest einen Roman komponiert, dann können sich seine Leser:innen sicher sein, dass er seinen Plot mit einer gehörigen Portion magischen Realismus würzt, um die in der Gegenwart angesiedelte Handlung aufzupeppen. So auch in seinem aktuellen Roman „Der betrunkene Berg“.
Bereits mit dem Handlungsgort, einer abgelegenen Buchhandlung auf 1765 alpinen Metern Höhe kitzelt er die Phantasie seines Lese-Publikums. Dorthin hat es seine Protagonistin Katharina nach durchaus bewegten Lebensjahren verschlagen.
Mit dem unerwarteten Auftauchen eines Fremden, der wie vom Himmel gefallen zu sein scheint, gibt Steinfest seiner Protagonistin und seinen Leser:innen ein Rätsel auf, dessen genussvoll langsame Entschlüsselung den roten Faden der Handlung markiert. Eine dritte Figur, die junge Lawinenspezialistin Linda, ebenfalls mit abenteuerlicher Biografie im Gepäck, komplementiert das Trio.
Um die Komplexität seines Romans abzurunden webt Steinfest schließlich noch eine Geschichte innerhalb der Geschichte mit ein, indem sie Robert und Katharina gemeinsam ein Buch mit dem Titel „Selbstporträt eines lächelnden Mannes auf der Spitze des Berges“ lesen lässt, dessen Inhalt in Etappen, also wie eine Fortsetzungsgeschichte, wiedergegeben wird.
In diesem kunstvoll angelegten Rahmen positioniert Steinfest nun seine Handlung, die im Großen und Ganzen um den Themenkomplex Schuld und Wiedergutmachung kreist. Es geht um die Schicksalsmomente im Leben, in denen man die richtige oder auch falsche Entscheidung trifft und darum welche Einflüsse diese Entscheidungen auf das weitere Leben besitzen.
Steinfest ist ein großer Routinier und das merkt man seinem Roman auch an. Seine Eloquenz ist über jeden Zweifel erhaben. Er liebt das Jonglieren mit den Worten. In gewohnter Verspieltheit lotet er alle Tiefen der von ihm gewählten Formulierungen aus. Dass dabei zahlreiche Redundanzen entstehen, nimmt er teils selbstironisch in Kauf.
Ohne Frage ließe sich die Geschichte auch ohne Inhalts- und Spannungsverlust mühelos mit weniger Umfang erzählen, doch Steinfest zelebriert die eigene Sprachfertigkeit in uneingeschränkter Ausgiebigkeit. Fans seiner Fabulierkunst werden ihn dafür feiern, andere Leser:innen werden seinen Stil vermutlich eher als „geschwätzig“ verbuchen.
Steinfest bleibt sich in jedem Fall treu. Am Ende seiner unterhaltsam inszenierten Geschichte liefert er das zu erwarten unerwartete Ende und präsentiert ein dramatisches Finale, mit dem er den Ausgang seines Romans bis fast zur letzten Seite offen hält.
Fazit: Das ganz große Sprachfeuerwerk bleibt diesmal leider aus, aber die solide Arbeit des großen Routiniers versöhnt die hohe Erwartungshaltung.
- Autor: Heinrich Steinfest
- Titel: Der betrunkene Berg
- Verlag: Piper Verlag
- Erschienen: September 2022
- Einband: Gebundene Ausgabe
- Seiten: 224 Seiten
- ISBN: 978-3492070133
Wertung: 11/15 dpt
Ein tolles Buch, perfekt für die kalte Jahreszeit. Am Ende habe ich mich gefragt, wie wohl die Geschichte weitergeht…