Franziska Hauser – Keine von ihnen (Buch)

Franziska Hauser – Keine von ihnen

© Eichborn

Was ist Kunst? Und was hat Kunst mit Identität zu tun?

“Keine von ihnen” ist ein Roman von Franziska Hauser, der 2022 durch den Eichborn-Verlag veröffentlicht wurde. Die Geschichte handelt davon, was Identität ist und wie sie Einfluss auf Kunst nehmen kann.

Jeff ist eine durchschnittliche, fast langweilige Person, mit einem durchschnittlichen, fast langweiligen Leben. Sie kommt aus einer durchschnittlichen Familie, mit durchschnittlichen Eltern, mit einer Kindheit, die größtenteils ereignislos war. Als junge Erwachsene wollte sie künstlerisch tätig sein und hat sich an eine Freundin geklammert, die für sie bestimmte, was Kunst war. In der Künstlerszene konnte sie sich aber nicht behaupten – zum einen, weil sie kaum Aufträge bekam und zum anderen, weil sie andere Künstler und ihre aufgesetzten Persönlichkeiten nicht verstand.

Insgesamt fällt es schwer zu verstehen, was Kunst ist, was Kunst ausmacht und wie man zum*r Künstler*in wird.

Als sich Jeff aus einer Mischung von Spaß und Verzweiflung für ein Kunststipendium bewirbt und sogar angenommen wird, hat sie keine andere Wahl als sich mit ihrer Identität und der Kunst zu beschäftigen. Als sie dabei auf eine mysteriöse und verwirrte alte Frau trifft, die nicht anders kann, als ihre Umwelt zu gestalten, während sie verzweifelt auf ihren Sohn wartet, lernt Jeff langsam, sich selbst auszudrücken.

“Keine von Ihnen” ist ein interessantes Buch – nicht nur, weil es mit der Thematisierung von Kunst etwas aufgreift, dass viele nur mit schwammigen Begriffen erfassen können, sondern auch aufgreift, wie schwer es ist, die eigene Identität zu entwickeln.

Als Jeff im Haus, in dem sie während des Stipendiums leben soll ankommt, trifft sie auf sechs Personen, die kaum unterschiedlicher sein könnten: Theresen, die verwirrte alte Dame, Vin, ein Künstler, der seine Kunst gerne intellektualisiert und eine traumatisierende Kindheit hatte, Oleksi, einem musikalisch begabten Müttersöhnchen, dessen Zukunft bereits vorgeplant wurde, Sonja, einer Tänzerin, die durch ihr niedliches Aussehen viele Privilegien erhalten hatte und Wolf, einem schwulen Poeten, der sich für Bildung einsetzt.
Sie alle konfrontieren Jeff mit Aspekten, die Identität bestimmen: Kindheit, Familie, Aussehen und Sexualität. Und sie alle lassen ihre Identität unterschiedlich in ihre Kunst einfließen – entweder, indem sie Schmuck machen, tanzen, schreiben oder musizieren.

Wie wenig Jeff diese Aspekte reflektiert hat oder Krisen in diesen Bereichen erleben musste, wird in Abschnitten über ihre Vergangenheit deutlich – Jeff hat nie etwas wirklich Schlimmes oder Prägendes erlebt, dass sie dazu zwang, sich zu entwickeln oder über sich wirklich nachzudenken. Viel eher trieb sie durch ihr Leben – spannendes passierte nur durch ihre beste Freundin, die selbst unbedingt alternativ sein wollte. 

Die Handlung spiegelt Jeffs Entwicklung wider: Während die Mitstipendiaten immer weiter mit ihren Projekten fortschreiten, sich an veränderte Bedingungen anpassen und sie als Gruppe zusammenwachsen, stagniert Jeff. Immer wieder versucht sie, Collagen zu erstellen, die aber nichts ausdrücken oder irgendetwas aussagen. Erst durch Gespräche mit Therese lernt Jeff, dass Kunst ein Medium sein kann, um das eigene Innenleben darzustellen. Und dass auch Kleinigkeiten es wert sind, ausgedrückt zu werden.

Hausners Schreibstil fängt Jeffs Innenleben dabei geschickt ein, indem die Handlung durch Jeffs stagnierende, frustrierte und nüchterne Perspektive wiedergegeben wird. Das Besondere an dieser Perspektive ist, dass Jeff sich und andere nicht anlügt – sie stellt schnell klar, dass sie weder eine Künstlerin ist, noch sonderlich interessant. Gerade für mich als lesende Person war das erfrischend ehrlich und machte Jeff sympathischer.

Gerade weil Jeff so durchschnittlich ist, konnte ich mich als Leser*in auch so gut mit ihrer Perspektive und ihrer Suche nach Kunst identifizieren – die Frage, was denn Kunst überhaupt ist, ist aber auch verdammt riesig! Und die Antwort davon abhängig, aus welchem Blickwinkel an die Frage herangetreten wird. Wir können aus Jeffs Entwicklung deswegen einiges mitnehmen, wenn wir selbst keine Künstler sind – und zwar, dass es nicht auf die Farbe, den Klang oder den Tanzschritt ankommt, um zu verstehen, was vor uns passiert, sondern dass das gesamte Werk ein Ausdruck des vielfältigen Innenlebens des/der Künstlers*in sein kann. Dabei ist es nicht wichtig, wie interessant die Person ist, sondern wie viel uns das bedeutet, womit wir konfrontiert werden.
An uns liegt es dann, ob wir schlaue Wörter verwenden wollen, um unsere Erfahrung zu beschreiben oder wir von anderen verstanden werden wollen. 

Deswegen ist “Keine von Ihnen” ein Buch, das ich an jene weiterempfehlen möchte, die das Gefühl haben, nicht genug zu sein oder denken, keine Kunst zu schaffen, wenn sie kreativ werden. Mir persönlich hat es geholfen zu verstehen, was Kunst sein kann: Und zwar ein Medium, um das Innere auszudrücken. Dass Jeff dabei ein Kind ihrer Zeit ist – also von zu viel Potenzial überfordert und dabei zu vereinsamen, weil es keine Krisen gab, die sie formte – macht die Handlung deswegen umso nahbarer.

  • Autor: Franziska Hauser
  • Titel: Keine von Ihnen
  • Verlag: Eichborn
  • Erschienen: 2022
  • Einband: Hardcover
  • Seiten: 304
  • ISBN: 978-3-84790112-9
  • Sonstige Informationen:
  • Produktseite 
  • Erwerbsmöglichkeiten


Wertung: 11/15 dpt

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