Norbert Klugmann – Die Tochter des Salzhändlers (Buch)
Intrigen wohin man blickt
Es ist die letzte Nacht des Jahres 1599, ein neues Jahrhundert steht bevor. Was wird es den Menschen bringen? Für Martha Schelling, die Frau von Heinrich, dem „Salzbaron“ der Stadt Lübeck, stellt sich die Frage nicht mehr, denn sie stirbt bei der Geburt ihres Sohnes. Der Schrecken ist groß, doch ebenso die Furcht vor dem Neugeborenen, dessen Beine zusammengewachsen sind. Ein „Fischkind“, ein Monster gar, das darf nicht in der Stadt bleiben. Die dreizehnjährige Lili versteht die Welt nicht mehr, will ihren Bruder sehen und trauert um die Mutter. Auch der Vater trauert und verschwindet kurz darauf, eine Suchaktion bleibt ohne Erfolg. Dem Buchhalter Jütte schwant Ungemach hinsichtlich der Zukunft des Salzhauses, denn die ebenso mächtige wie gefürchtete Appolonia Wendt, Marthas Schwester, zögert nicht lange, um die Geschäfte an sich zu reißen.
Der Hebamme Trine Deichmann droht hingegen der Verlust ihres Arbeitsplatzes. War sie lange Jahre hoch angesehen, nicht zuletzt, da sie Frauen von einflussreichen Männern in ihren schwersten Stunden erfolgreich beistand, so weht plötzlich ein anderer Wind. Der neu in die Stadt gezogene Doctor Rüster hetzt über die Hebammen. Es könne ja wohl nicht sein, dass ein Medicus viele Jahre studieren muss, während Hebammen ihre Arbeit lediglich durch Zusehen bei anderen Frauen erlernen. Womöglich nehmen sie gar unzulässige Schwangerschaftsabbrüche vor, verwenden Mittel der Hexenkunst oder bringen Kinder zur Welt wie das „Fischkind“. Dieses wurde zur Sicherheit in ein Dorf gebracht, schon geht das Gerücht um, es sei ermordet worden. Und während der evangelische Pastor Distelkamp seine Stunde im Kampf gegen die katholische Kirche gekommen sieht, bleibt ein geradezu diabolisches Experiment nicht länger unbeobachtet.
Vielschichtige Lektüre
Norbert Klugmann hat mit „Die Tochter des Salzhändlers“ einen vielschichtigen Roman geschrieben, der etliche Themen seiner Zeit anspricht. Natürlich den Salzhandel, der die Stadt Lübeck reich gemacht hat und der nun durch billiges Baiensalz aus Frankreich und Portugal bedroht wird. Auch für die Schifffahrt wird Portugal zu einem Problem, denn die Holk hat die Kogge abgelöst, doch Portugal setzt bereits auf teils dreimastige Kraweel, deren Tragfähigkeit das Fünffache der Holk umfasst.
Die Arbeit im Salzhaus wird natürlich ebenfalls, wenngleich eher kurz angerissen, die Arbeit der Hebamme nimmt da deutlich mehr Platz ein. Ein im Wortsinn blutiges Geschäft, bei dem es auch ums liebe Geld geht. Vier Hebammen beschäftigt und bezahlt die Stadt offiziell, mehrere arbeiten im Geheimen. Dass dies einigen Ärzten ein Dorn im Auge ist verwundert nicht und wie sich – allen voran – Doctor Rüster zum großen Hetzer gegen die Hebammen aufspielt, während Pastor Distelkamp über die Papisten herzieht, lässt tief in die damaligen Moralvorstellungen blicken. Nicht zuletzt wird das Rollenverhältnis zwischen Mann und Frau in den Vordergrund gerückt, denn in vielen Bereichen haben Frauen kein Mitspracherecht. Selbst der alleinige Besuch einer Gaststätte ist in besseren Kreisen ein Skandal.
Neben der Hebamme Trine stehen vor allem Buchhalter Jütte und die dreizehnjährige Lili (daher der Buchtitel) im Mittelpunkt des Geschehens, wobei Lili mitunter einen etwas zu erwachsenen Eindruck hinterlässt. Die Sequenzen um Lili lassen sich dennoch gut als Coming-of-Age-Geschichte lesen. Insgesamt ist „Die Tochter des Salzhändlers“ ein vielschichtiger Roman, der abwechslungsreich, informativ und atmosphärisch in die damalige Zeit entführt. Allein, dass die Suche nach dem verschwundenen Salzbaron, immerhin einer der einflussreichsten Honoratioren der Stadt nach sehr kurzer Zeit eingestellt wird, überrascht ein wenig.
- Autor: Norbert Klugmann
- Titel: Die Tochter des Salzhändlers
- Verlag: Gmeiner
- Umfang: 348 Seiten
- Einband: Taschenbuch
- Erschienen: Juli 2022
- ISBN: 978-3-8392-0256-2
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Wertung: 11/15 dpt