Andrej Kurkov – Samson und Nadjeschda (Buch)

Andrej Kurkov – Samson und Nadjeschda

© Diogenes Verlag

Charmanter Genremix als Hoffnungsträger

Die Zeiten sind schlecht. Gut waren sie schon vorher nicht, aber nun geht alles drunter und drüber. Es herrscht Krieg in Kiew. Es ist 1919. Samsons Vater wird gleich auf den ersten Romanseiten von marodierenden Soldaten erschlagen. Der junge Mann steht auf einmal völlig allein da und muss sofort eine berufliche Anstellung finden. Mehr durch Zufall als geplant kommt er zur neu gegründeten sowjetischen Miliz und beginnt als Ermittler.

Verbrechen aufklären mitten im Krieg? Kurkov lässt seinen jungen Protagonisten im Laufe von 368-Seiten vom naiven Jüngling zum selbstständigen Ermittler reifen. Samsons Arbeit wird erschwert durch das um ihn herum herrschende revolutionäre Geschehen. Der Fall, den er im Laufe der Handlung aufklärt, ist mysteriös, kommt aber zum erfolgreichen Abschluss.

Kurkov zeichnet Protagonisten, die sich unbeirrt mitten im Wirrwarr der Geschichte ihren Weg bahnen. Das Kriegsgeschehen erscheint fast wie eine Naturgewalt, die über alles hinweg fegt. Weder Samson noch die meisten seiner Zeitgenossen geben sich besonders politisch engagiert. Man tut eben, was man tun muss, weil es richtig ist.

So zum Beispiel auch Nadjeschda. Die junge Frau ist Beamtin im Amt für Statistik und eine hoffnungsvolle Vertreterin der neuen Zeit. Zwischen Samson und ihr entwickelt sich eine zarte Romanze. Viel mehr Raum wird der titelgebenden Nadjeschda jedoch von Kurkov leider gar nicht zugestanden. Sie kommt über ihre Rolle als eine der vielen Nebenfiguren, die den Roman zwar liebenswert bevölkern, die Handlung aber nicht wirklich tragen, kaum hinaus.

Kurkov hat den Roman als Auftakt zu einer Krimi-Serie geplant. So ist zu erwarten, dass sich die Figuren im Laufe weiterer Fortsetzungen noch entwickeln.

Über dem ganzen historischen Chaos, durch das sich die Handlung schlängelt, schwebt ein zarter Optimismus. Kurkov verleiht der menschlichen Seite immer wieder einen Vorsprung. Es sind die „Guten“, die sich unbeirrbar durchsetzen. Nicht umsonst wird Kurkov seiner Titelfigur den Namen Nadjeschda, deutsch: Hoffnung, verpasst haben.

„Samson und Nadeschda“ ist eine Mischung aus historischen Roman und Krimi, konventionell erzählt, mit charmanten Anleihen an die russischen Klassiker. Ein Hauch von Turgenjew oder Tolstoi weht durch die Dialoge, die die zwischenmenschlichen Beziehungen charakterisieren. Auch eine Prise gololekser Phantastik fügt der Autor hinzu: Samsons abgeschlagenes Ohr führt analog zur berühmten Nase ihr Eigenleben.

So unterhaltsam diese Mischung auch ist, so tragisch die tagesaktuellen Bezüge auch ständig hinter der Fiktion hervor blitzen, insgesamt fehlt dem Roman ein wenig der Rahmen, der die zahlreichen, teilweise auseinanderdriftenden, Erzählbausteine zusammenhält. So plätschert die Handlung ohne nennenswerte Höhepunkte oder einen besonderen Spannungsbogen dahin.

Keine Frage: Kurkov unterhält seine Leserschaft auf hohem Niveau. Das Buch bereitet Freude.
Doch am Ende bleibt der Eindruck, dass insgesamt deutlich mehr drin gewesen wäre, hätte sich der Autor auf ein Genre fokussiert.

  • Autor:  Andrej Kurkov
  • Titel:  Samson und Nadjeschda
  • Originaltitel:  Samson i Nadezda
  • Übersetzer:  Sabine Grebing und Johanna Marx
  • Verlag:  Diogenes Verlag
  • Erschienen: Juli 2022
  • Einband:  Broschiert
  • Seiten:  368 Seiten
  • ISBN:  978-3257072075


Wertung: 11/15 dpt

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