Michael Ritter – Wiener Machenschaften (Buch)
Wien zu Beginn des Ersten Weltkrieges
Auf dem Nordbahnhof finden sich junge Menschen in Scharen ein, um an die Front zu fahren. Rund anderthalb Monate dauert der Krieg gegen Serbien inzwischen, ein Rachefeldzug aufgrund der Ermordung des Thronfolgers Franz Ferdinand. Während die Zeitungen die Erfolge der kaiserlichen Armee bejubeln, ist die Stimmung im Land nicht ganz so ungetrübt. Zwar bestimmen euphorische Soldaten das Straßenbild, doch sollte der Krieg nicht längst wieder vorbei sein?
Auf Bahnsteig zwei des Nordbahnhofes wird am 14. September 1914 ein Rekrut tot aufgefunden; erstochen mit einem Standardbajonett des Militärs. Sein Mörder konnte im dichten Gewusel zahlloser Rekruten untertauchen. Kriminaloberinspektor Dr. Otto Fried übergibt den Fall an Kommissar Julius Hechter, der seit wenigen Monaten neu dabei ist und hier erstmals die Gelegenheit erhält, sein Können unter Beweis zu stellen. Allerdings nicht lange, denn Fried bekommt Besuch in seinem Büro von höchster Stelle. Kriegsminister Freiherr von Krobatin bittet Fried, die Ermittlung des Falles persönlich und vor allem streng vertraulich zu leiten, da der ermordete Rekrut namens Georg Taschler sein unehelicher Sohn ist.
„Viele von uns werden getötet. Jeden Tag. Das ist zurzeit sozusagen eine wesentliche Charakteristik unseres Berufs.“
„Aber nicht schon am Bahnhof auf dem Weg zur Front.
Fried, Hechter und „der Novak“, eigentlich Sekretär, aber mit dem wachen Verstand eines Kommissars, stürzen sich in den Fall und hoffen, dass es keine allzu großen politischen Verwicklungen geben wir. Irritationen hingegen gibt es schon bald, denn Taschler war Mitglied einer Gruppe, die verbotene Friedensdemonstrationen organisierte. Wie passt es da ins Bild, dass er sich angeblich freiwillig an die Front gemeldet haben soll? Krobatin wollte Georg offiziell adoptieren, womit dieser dessen Freiherrentitel und ein beträchtliches Vermögen geerbt hätte. Nun erbt Krobatins Neffe, Karl Friedrich Krill an Georgs Stelle, der „aus Liebe zum Vaterland“ dem Kaiser dient: Im Kriegsministerium seines Onkels mit einem ruhigen Schreibtischjob. Als eine vielversprechende Spur das Trio in das zwielichtige Nachtlokal Casino de Paris führt, gerät Krill in den Fokus der Ermittlungen.
Zweiter Fall für Kriminaloberinspektor Dr. Fried
Eine wichtige Information an dieser Stelle vorweg. Wer den ersten Teil der Reihe „Wiener Hochzeitsmord“ noch nicht kennt beziehungsweise noch lesen möchte, der sollte an dieser Stelle mit der Rezension aufhören, denn es folgt nun ein Spoiler mit Nennung des Mörders aus dem ersten Fall. Autor Michael Ritter nennt diesen übrigens auf Seite zehn seines neuen Romans.
Damit kämen wir zum Privatleben des Protagonisten Dr. Fried, der streng genommen keines hat. Seine Frau verstarb vor vielen Jahren, allein seine Tochter Amalia ist ihm geblieben und diese zog wiederum vor zwei Jahren in ihr alter Kinderzimmer bei Fried ein. Dabei war sie glücklich verheiratet, zumindest für einen sehr kurzen Moment, bevor ihr Vater ihren Ehemann Max als Mörder verhaften musste. Fünfzehn Jahre Haft, zwei davon sind abgesessen, aber sowohl Amalia wie Fried halten nach wie vor zu Max, denn sie kennen die traumatischen Hintergründe, die zu dem Mord führten. Nun hat Max eine Idee, denn Häftlinge können sich freiwillig an die Front melden; mit anschließender Begnadigung, so sie denn überleben. Aber der Krieg soll ja nur kurz dauern.
„Ja, das kann gut sein“, sagte er gegen seine Überzeugung. An Frankreich, England und Italien wollte er gar nicht erst denken.
Es ist die Stärke des Romans, die Stadt Wien bildgewaltig als Schauplatz in Szene zu setzen und die damals noch herrschende Kriegseuphorie darzustellen. Kritische Stimmen wie jene von Fried, Hechter und Novalk sind die Ausnahmen. Letzterer sympathisiert sogar mit den Sozialdemokraten, die sich für die Rechte der Arbeiter einsetzen. Die aufgeheizte Stimmung ist gut einfangen, man kann sich die damalige Zeit bildhaft vorstellen – und verdreht aus heutiger Sicht die Augen vor der offenkundigen Verblendung und Kriegstreiberei, die Fried mehr als einmal gesundheitliches Unwohlsein bereitet.
Wie schon beim Vorgänger, ist der Krimiplot selber nicht gerade überladen mit zahlreichen Tatverdächtigen. Eine vielversprechende Spur führt wenig überraschend ins Kriegsministerium, wo man sich nicht nur auf militärische Plan- und Ränkespiele versteht. Lesenswert!
- Autor: Michael Ritter
- Titel: Wiener Machenschaften
- Verlag: Gmeiner
- Umfang: 288 Seiten
- Einband: Taschenbuch
- Erschienen: August 2022
- ISBN: 978-3-8392-0315-6
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Wertung: 11/15 dpt