Mary Paulson-Ellis – Die andere Mrs. Walker (Buch)


Mary Paulson-Ellis – Die andere Mrs. Walker

© Ariadne/Argument Verlag

Margaret ist Ende vierzig und steigt an einem kalten Wintertag zur Weihnachtszeit des ausklingenden Jahres 2010 aus einem Nachtbus. Das Leben in London hat sie gezeichnet und ihr den Rücken zugekehrt, sodass ihr nichts anderes übrigbleibt, als nach Edinburgh zurückzukehren. Mit eisiger Kälte empfängt sie nach 30 Jahren nicht nur ihre Heimatstadt, sondern auch ihre Mutter, die ihr schnell zu verstehen gibt, dass der Aufenthalt ihrer Tochter doch sicher nicht von Dauer sein wird. So bietet sie ihr zum Schlafen eine alte Abstellkammer an, um sich dann wieder wortkarg ihrem Drink zuzuwenden.
Nahezu völlig mittellos nimmt Margaret das Angebot der Stadt Edinburgh an, gegen Bezahlung die Identität einer verstorbenen Frau zu klären, von der sie lediglich den Nachnamen Mrs. Walker erfährt. Dass dieser Name ihr näher steht als ihr roter Mantel, den sie stahl und welcher einer ihrer letzten Habseligkeiten ist, ahnt sie zu dem Zeitpunkt nicht. So begibt sie sich auf die Suche nach Hinweisen und stößt dabei unter anderem auf eine modernde Mandarine, sowie eine gravierte Paranuss, deren Reife und Frische so lang her zu sein scheinen, wie die glücklichen Tage, die Margaret einst in London verbrachte, als sie noch wagte zu träumen und sich eine Zukunft mit samt ihrer Liebe ausmalte.
Margarets eigene Geschichte verwebt sich dabei zusehends mit der Geschichte einer Familie, die sich in der Zeit vor und nach dem Zweiten Weltkrieg abspielt. Hier müssen die Mädchen Clementine, Ruby und Barbara miterleben, wie die Beziehung der Eltern an einer Familientragödie zerbricht und sie in die Hände der Haushälterin übergehen, die sich nicht nur das Haus der Familie aneignet, sondern auch die Mädchen dazu bringt, sich zu verdingen, um ihren Beitrag am Einkommen zu leisten. So lernen sie bereits in jungen Jahren, wie wichtig es für sie ist, so früh wie möglich auf eigenen Beinen zu stehen und dafür zu Sorge zu tragen, dass sie für sich selbst und ihr eigenes Glück verantwortlich sind.

Genau genommen stahl auf die eine oder andere Weise jeder in ihrem Haushalt. Den letzten Keks aus der Dose. Kohlereste für den kalten Schlafzimmerkamin. Tony rauchte in der Speisekammer, wenn er dachte, dass niemand hinsah. Clementine hatte eine Schublade voller Feuerzeuge, aus den Taschen von Männern gefingert, die nicht wagen würden, sich zu beschweren. Und waren sie nicht selbst von Mrs. Penny gestohlen worden?


Der erste Kriminalroman, der zeitgleich auch das Debüt der schottischen Autorin Mary Paulson-Ellis darstellt, geht seinen ganz eigenen, mitunter mysteriös anmutenden Weg. Zum einen weist er klare Züge eines klassischen Krimis auf, zum anderen lässt der Schleier an Trübsinn und Schwermut, der sich in fast jedem Kapitel um die Figuren windet, das Werk zu einem Roman Noir werden. Die Geschichte lässt zwischen den Zeilen die Verzweiflung, Hoffnungslosigkeit und Trauer der Charaktere erahnen, die sich sonst nach Außen eher eigennützig und distanziert geben. Das lässt sich vor allem in den Gesprächen zwischen Margaret und ihrer Mutter im 21. Jahrhundert erkennen, sowie im Austausch der drei Schwestern, die in der Mitte des 20. Jahrhunderts mit ihren ganz eigenen Sorgen zu kämpfen haben und diese lieber einzeln zu bewältigen versuchen. Eine weitere Besonderheit, die den Roman „Die andere Mrs. Walker“ zu einem Krimi der anderen Art macht, ist der feinsinnige schwarze Humor, der sich vor allem in den Gedanken von Margaret wieder findet.


Als sie den Angel of North passiert hatten, der breit und stolz auf seinem Hügel stand, fragte sich Margaret, was von ihr wohl übrig bliebe, wenn es zum Schlimmsten käme – eine katastrophale Entgleisung, Waggons zerschmettert und zerquetscht, alle Insassen zu knusprigen Sticks verbrannt.


Der Autorin gelingt es so, die Stimmung auch innerhalb der Zeitsprünge zu halten, sodass die Geschichte durch die Melancholie eine Einheit bildet, auch wenn sie gerade ab der Hälfte etwas an Fahrt verliert. Die Neugier wird etwas überstrapaziert, wenn es um die Bedeutung der Indizien geht, die immer wieder Erwähnung finden, sodass man sich hier doch an mancher Stelle eine frühzeitigere Erklärung wünscht.
Durch die Zeitsprünge, sowie den dezent eingesetzten schwarzen Humor sorgt Paulson-Ellis mit ihrem Roman „Die andere Mrs. Walker“ für Abwechslung, sodass die Spannung nie so ganz von der Seite weicht und man trotz manch spät gestillter Neugier gewillt ist, sich der Lektüre zu widmen, die sich um die Person der Mrs. Walker bis zum Ende genauso bedeckt hält, wie der Schnee, der sich auf den Straßen Edinburghs in den kalten Wintertagen niederlegt. 

 

  • Autorin: Mary Paulson-Ellis
  • Titel: Die andere Mrs Walker
  • Originaltitel: The Other Mrs Walker
  • Übersetzerin: Kathrin Bielfeldt
  • Verlag: Ariadne
  • Erschienen: 2022
  • Einband: Hardcover
  • Seiten: 448
  • ISBN: 978-3-86754-260-9

      Sonstige Informationen:


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