Eva Mühlbacher – Zeitreisende: Teil 2
Wer trat vollen Mutes dem Tod von Angesicht zu Angesicht vor Gericht entgegen und warum? Was muss geschehen, damit man mit einer Mörderin fühlt und ihr ein mildes Urteil wünscht? Und welche Stadt wird schon im 18. Jahrhundert so sehnsuchtsvoll beschrieben, dass man auch über 200 Jahre später am liebsten, ohne zu zögern, die Koffer packen und sich auf den Weg machen möchte?
Diesen Fragen widmet sich Eva Mühlbacher in ihrem kürzlich erschienenen Buch „Zeitreisende – Deutsche Literatur für Entdecker: Teil 2“ und liefert für all diese zumindest ein allgemeingültiges Motiv: Emotionen.
Gefühle und Emotionen sind seit Anbeginn der Zeit ein steter Begleiter der Menschheit. Sie treiben an und bieten in zahlreichen Gebieten der musischen Künste reichlich Inspirationen. Eva Mühlbacher eröffnet mit ihrem zweiten Teil ihrer Reihe „Zeitreisende“ den Zugang zu den großen Gefühlen bekannter Namen der deutschsprachigen Literaturgeschichte. Während sie im ersten Teil von der Zeit der Romantik bis zum Ersten Weltkrieg erzählt, widmet sich die Autorin diesmal der Zeitspanne Frühe Neuzeit bis Ende der Goethezeit. Dabei werden jedoch nicht nur große Namen, wie Lessing, Schiller, Goethe und Grimmelshausen, erwähnt, auch in die Gefühlswelten von weniger häufig genannten Schreibenden wie von Tepl und Greiffenberg, versetzt sich Eva Mühlbacher äußerst gelungen hinein.
Zahlreiche geschichtliche sowie individuelle Lebensbereiche und Persönlichkeiten betreffende Informationen warten neben einer Vielfalt von Textauszügen bekannter Literaturwerke auf, die detailreich und verständlich analysiert und erklärt werden.
Vermeintlich trockene und schwer verständliche Zitate werden somit äußerst lebhaft veranschaulicht und in die heutige Zeit übersetzt. Bestandteile einer Geschichte, wie das unfassbare Leid, welches Evchen in „Die Kindermörderin“ und Emilia Galotti im gleichnamigen Trauerspiel erdulden müssen oder die Verzweiflung und der Frust, die der übermütige Schüler in „Der Zauberlehrling“ erlebt, lassen mitfühlen und zuweilen gar fassungslos zurück. Goethes Sehnsucht nach Rom erweckt eigene Sehnsüchte nach Freiheit und Unbeständigkeit und die bange Frage, ob es Mörus in Schillers Ballade „Die Bürgschaft“ noch rechtzeitig gelingen wird, das Leben seines Freundes zu retten, sorgt dafür, dass man während des Lesens unbewusst den Atem anhält.
Auch dank ihrer großartigen Idee, das Buch tatsächlich wie eine Reise durch vergangene Zeiten aufzubauen und den Lesenden immer wieder persönlich anzusprechen, gelingt es Eva Mühlbacher, ihre Leser abzuholen und deutlich zu machen, wie gut Schriftstellende vor über zwei Jahrhunderten ihre Gefühle auszudrücken vermochten, wohingegen es in unserer Zeit schon schwerfällt, diese allein nur beim Namen zu nennen.
Ebenso gelungen ist der abschließende Vergleich moderner Serien wie The Witcher und Bridgerton mit literarischen Werken, die bewusst oder unbewusst die Vorlage für heutige Geschichten lieferten.
„Es ist wohl wieder erstaunlich, welche Motive sich das 21. Jahrhundert aus der Geschichte herauspickt, um mit der eigenen Gegenwart besser zurechtkommen zu können.“
Dies alles geschieht auf eine unterhaltsame, anschauliche und lehrreiche Weise. Eva Mühlbachers Talent für Sprache sorgt genauso viel wie ihr Sinn für Humor dafür, dass man das Buch, anders als wohl in manchen quälenden Unterrichtsstunden, nicht mehr aus der Hand legen möchte. Ihre Reise durch die Literaturgeschichte ist eine gelungene Umsetzung, „staubige“ Literatur zu entstauben, die nicht nur Literaturwissenschaftlern und Germanistikstudenten Freude bereiten dürfte.
Wer sich für die Geschichten hinter den großen Geschichten wie Faust interessiert und gerne mehr darüber erfahren möchte, dem sei dieser Literaturführer sehr ans Herz gelegt.
Wertung: 13/15 dpt
- Autor: Eva Mühlbacher
- Titel: Zeitreisende – Deutsche Literatur für Entdecker: Teil 2 – von der Frühen Neuzeit bis zum Ende der Goethezeit
- Teil/Band der Reihe: Zeitreisende – Deutsche Literatur für Entdecker
- Verlag: Verlagsname Dachbuch Verlag
- Erschienen: 07/2022
- Einband: Broschiert
- Seiten: 309
- ISBN: 978-3-903263-42-0
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