Ich bin Jen und ich bin asexuell und aromantisch.
Ich weiß, dass ich kein sexuelles Interesse an Menschen habe und lange dachte ich, dass es allen so geht wie mir. Oder zumindest viele. Filme und Bücher, die mir gezeigt hätten, dass es andere gibt, denen es so geht wie mir, gab es nicht. Erst langsam lerne ich, was mich unterscheidet und was das für mich bedeutet.
Ich war noch nie verliebt und kann nicht verstehen, wieso man romantische Beziehungen eingehen wollen würde. Wenn ich auf meine Gefühle angesprochen wurde, habe ich rationale Gründe genannt und mich über das Patriarchat und beschissene hetero-Normen aufgeregt. Schnell hieß es dann: “Du hast “den Richtigen” eben noch nicht gefunden – oder halt! Vielleicht stehst du doch auf Frauen?”Weil ich es nicht besser wusste, habe ich mich auf Beziehungen und alles was damit einhergeht eingelassen – zum einen, weil es sich einfach so ergeben hat und zum anderen, weil ich dachte, dass ich das tun muss.
Partnerschaft und Intimität waren für mich wie Babysitting und Hausaufgaben – ich gab mir Mühe beides von der To-Do-Liste zu streichen und es hinter mich zu bringen, um meine Ruhe zu haben.
Auch wenn ich ehrlich zugeben muss, dass meine Partnerwahl größtenteils echt beschissen war, habe ich doch auch viele süße, charmante und attraktive Menschen kennengelernt, die scheinbar auch Interesse an mir hatten. Menschen, die tolle (Sexual-)Partner hätten sein können.
In mir regte und regt sich noch immer nichts. Noch nie. Vielleicht auch niemals.
Es hat eine Weile gedauert, bis ich Wörter dafür hatte, wie ich mich fühle: Asexualität und Aromantik.
Bis dahin dachte ich immer, dass alle Menschen kein inhärentes Interesse an Sex haben und Sex wahrscheinlich sowieso nur ein durch Sozialisation bedingtes Bedürfnis ist.
Erst langsam merke ich, dass ich die Person bin, die abweicht. Nicht die Norm ist. Die queer ist.
Aber was heißt es nicht heterosexuell, homosexuell oder einfach sexuell zu sein? Das lerne ich gerade nach und nach – unter anderem durch das Buch “Loveless” von Alice Oseman.
“Loveless” (hier eine wundervolle Rezesnison von Anna Jakob) ist ein Jugendroman, bei dem die Protagonistin langsam herausfindet, dass sie aromantisch und asexuell ist – obwohl sie die Liebe so sehr liebt und unbedingt das ganze romantische Programm ausleben wollte. Dafür lernt sie, wie wertvoll Freundschaft ist und es mehr als die eine Art von Liebe gibt – und sie genauso wichtig wie eine romantische Beziehung ist.
Und ich fand das voll toll. Gerade, weil gezeigt wurde, wie schwer es ist zu erfahren, dass man nicht wie andere leben kann und eine Heterobeziehung doch nicht das Maß aller Dinge ist! Es war auch das erste Mal, dass ich wirklich miterleben durfte, was es für andere heißt asexuell und aromantisch zu sein.
Aber was sind überhaupt Asexualität und Aromantik?
A-Sexualität bedeutet, dass man kaum oder gar kein sexuelles Interesse an Menschen hat und dabei keinen Leidensdruck verspürt. Man ist nicht abstinent, psychisch krank oder kriegt einfach keinen ab – man hat einfach wortwörtlich keine Lust. Wir Asexuellen haben sogar einen (inoffiziellen) Lackmustest! Nämlich: Was hättest du lieber? Sex oder ein Stück Kuchen? Und ja, man darf beides haben.
Es gibt Asexuelle, die manchmal asexuelle und manchmal sexuelle Phasen haben. Es gibt Asexuelle, denen bei Intimität schlecht wird. Es gibt Asexuelle, die Masturbieren und Asexuelle, die trotzdem Sex haben – wir haben einfach nicht so viel Interesse daran.
A-Romantik bedeutet, dass man keine romantische Anziehung zu anderen Menschen oder kein Verlangen nach romantischen Beziehungen fühlt. Auch hier empfindet man keinen Leidensdruck. Es gibt Aromantische, die trotzdem Sex haben (wollen) und sexuelle Beziehungen führen und dazu noch homosexuell sind. Sie empfinden einfach keine Erfüllung in unseren normalen Beziehungskonstruktionen.
Das klingt doch ganz gut bis jetzt, oder?
Wie bei allen nicht-heteronormativen Dingen gibt es noch immer viele, die Asexualität und Aromantik nicht ernst nehmen. Das fängt schon mit “du hast einfach noch nicht die richtige Person gefunden!” und “das ist einfach eine Phase” an. Weiter geht es dann mit der Pathologisierung und der Attestierung von Sexualneurosen und endet mit Abscheu, Ekel und Ablehnung.
Wer mir gerade den letzten Punkt nicht glauben möchte, kann sich hier ein zehnminütiges Video vom Bayrischen Rundfunk anschauen, in dem die Reaktion von Leuten auf Asexualität gefilmt wurden: Zum Video
Damit klarer wird, wieso diese Reaktionen weh tun: Stellt euch vor, einer Lesbe wird gesagt, “dass sie auf den “Richtigen” warten muss” oder einfach “noch keinen ordentlichen Sex mit einem wahren Mann” hatte. Ekelhaft, oder? Muss man dazu noch was sagen?
Aber meine Anfangsfragen wurden noch immer nicht beantwortet: Was heißt das alles jetzt für mich? Was heißt es nicht? Was heißt das für die Beziehungen, die ich führe? Wie bewege ich mich damit in der Welt?
Obwohl ich noch keine Antwort auf diese Fragen habe, hat es mir geholfen, endlich Wörter für meine Gefühle zu haben, endlich anderen sagen zu können, was los ist, die Bestätigung zu haben, dass meine Gefühle echt sind.
Aber weil ich erst jetzt lerne, was mich wirklich unterscheidet, weiß ich eben noch nicht, was an mir alles anders ist und wie ich das kommunizieren kann.
Was sage ich jemanden, die Interesse an mir hat und die ich auch mag? Wo sind meine Grenzen bei Intimität? Welche Arten von Intimität gibt es überhaupt für mich? In welchen Beziehungskonstellationen kann ich leben, ohne die Bedürfnisse meiner Lieben zu vernachlässigen?
Ich finde das gerade alles heraus – aber es ist anstrengend und öfters frage ich mich, ob ich nicht einfach weitermachen kann wie vorher. Also mich in die klassischen Beziehungskonstelationen zwänge, in denen Sexzwang herrscht und Bedürfnisse befriedigt werden müssen, damit die Beziehung echt ist und hält.
Deswegen bin ich aber auch dankbar, dass ich “Loveless” lesen durfte: ich habe keine Antwort auf meine Fragen erhalten, aber mir wurde die Sicherheit gegeben, dass es echt ist, was ich da fühle, dass ich nicht krank bin, dass ich mich so fühlen darf, wie ich mich fühle.
Ich bin Loveless und ich bin perfekt so.
PS.: Asexualität und Aromantik sind Labels. Das heißt, dass es Zuordnungen sind, die man sich selbst geben kann, ohne, dass sie an Kriterien geknüpft sind oder für immer stimmen müssen. Vielleicht ist man heute asexuell, merkt aber, in einem oder zehn Jahren, dass sich in einem doch etwas sexuell regt. Das bedeutet nicht, dass die jetzigen Gefühle die man hat nicht echt und wahr sind oder man sich für immer in eine Kategorie zwängen muss, wenn sich etwas in einem verändert hat.
Mehr Infos, Links und sonstiges:
AktivistA – Verein zur Sichtbarmachung des asexuellen Spektrums
(570) Ace Dad Advice – YouTube