Gard Sveen – Die stille Tochter (Buch)
Ist der Freund der Freund oder der Feind?
1973. Christel Heinze ist achtzehn Jahre jung und nimmt für die DDR an einem Schwimmwettbewerb in Oslo teil. Es gelingt ihr sich abzusetzen und in die Bundesrepublik zu fliehen, doch dort lebende Familienangehörige wollen nichts von ihr wissen. Zurück in Norwegen lernt sie Arvid Storholt kennen, der sich zu ihrem Beschützer ernennt. Was Christel nicht weiß, Arvid arbeitet als Spion für den KGB. Zwei Jahre später, Christels Schwester Margaret ist an Krebs erkrankt, erpresst sie Arvids Führungsoffizier Alexander „Sascha“ Maximow, so dass auch Christel widerwillig für jenes System arbeiten muss, vor dem sie einst geflohen ist. 1982 will Christel aussteigen und vor dem KGB fliehen, doch dann verliert sich ihre Spur.
2016. In einem See bei Oslo werden die Reste einer Frauenleiche gefunden, bei der es sich um Christel handeln könnte. Kurz darauf wird Arvid gefunden, der gemeinsam mit seiner Frau ermordet wurde. Ex-Polizist Tommy Bergmann erhält über Polizeipräsident Fredrik Reuter Kontakt zu Jan Amundsen, den Chef des Polizeilichen Sicherheitsdienstes PST und Leiter von dessen operativer Abteilung. Amundsen verlangt von Bermann in das Haus von Martin Kleive einzubrechen, dessen Beraterfirma Kontakte zum Militär hat. Doch warum? Kurz darauf schaltet sich zudem Christian Wessel in die Ermittlungen ein. Wessel, Staatssekretär des Ministerpräsidenten und zuständig für den Geheimdienst, will den Fall „Heinze“ endgültig aufklären. Die Suche gilt einem gewissen „Bjorn“, der einst Christels Geliebter war, und dem „Bär“, dem größten Spion in der Geschichte des Landes.
Intensive Einblicke in die Spionagearbeit während des Kalten Krieges
„Die stille Tochter“ ist der vierte Teil der Tommy-Bergmann-Reihe, dessen Vorgänger zu kennen hilfreich, aber keineswegs zwingend ist. Bergmann ist ein gescheiterter Ermittler, unternahm bereits einen Suizidversuch und ist noch immer in regelmäßiger Therapie beim Psychiater. An seiner Seite nach wie vor Susanne, die ihn vor zehn Jahren rettete, aber selber auch schon in höchster Lebensgefahr schwebte. Der neue Fall zwingt Bergmann dazu, in die Zeit des Kalten Krieges einzutauchen und zu untersuchen, was seinerzeit vorgefallen ist. Mit wem war Christel liiert, wie verlief ihre Arbeit für den KGB – und später für die Amerikaner – und was hat Arvid Storholt, ein zwielichtiger Doppelagent, mit alldem zu schaffen? Kaum ermittelt Bergmann teils auf eigene Faust, wird er von Wessel schon wieder zurückgepfiffen, was ihn erst recht neugierig macht.
„Nein.“
„Kennt jemand bei den Streitkräften Sie?“
„Nicht, dass ich wüsste.“
„Gut. Was Sie machen sollen, verstößt nämlich gegen alle Gesetze.
Welche Rolle spielen Reuter, Amundsen und Wessel? Wem kann er heute und wem konnte damals Christel trauen? Die Arbeit des Führungsoffiziers Sascha und dessen Nachfolger wird sehr detailliert beschrieben. Das Szenario wechselt zwischen den Ereignissen von 1973 bis 1982 sowie Bergmanns Recherchen in der Gegenwart. Wie die KGB-Offiziere ihre Spitzel damals unter Druck setzten ist nahezu körperlich spürbar, selten war die Darstellung jener Zeit derart atmosphärisch. Dass die Betroffenen permanent unter Verfolgungswahn litten wird schnell verständlich.
Die Zeit des Kalten Krieges und die politisch unterschiedlichen Wertesysteme werden vorgestellt, wobei der Schwerpunkt natürlich auf dem Kommunismus und der „Deutschen, sogenannten Demokratischen Republik“ liegt. Eine beklemmende Zeitreise, deren historische Hintergründe geprägt sind vom Vietnamkrieg der Amerikaner und dem späteren Einsatz der Sowjets in Afghanistan. Die Handlung mit all ihren Spionen und Gegenspionen ist an sich verwirrend genug, hier gilt es aufmerksam zu lesen, wobei die zahlreichen norwegischen Orts- und Straßennamen zur Irritation zusätzlich beitragen. So wie damals Christel nicht wissen konnte, wem sie letztlich trauen konnte, so vermag auch der Leser kaum die unklare Lage zu verfolgen, womit er eins gemein hat mit dem übereifrigen Protagonisten. Nicht zur als Krimi oder Politthriller lesenswert, sondern auch als zeithistorische Reise in ein dunkles Kapitel unserer Geschichte.
- Autor: Gard Sveen
- Titel: Die stille Tochter
- Originaltitel: Bjornen. Aus dem Norwegischen von Günther Frauenlob
- Verlag: Ullstein
- Umfang: 367 Seiten
- Einband: Taschenbuch
- Erschienen: Juli 2020
- ISBN: 978-3-548-06235-8
- Produktseite
Wertung: 12/15 dpt