Torrey Peters – Detransition, Baby (Buch)


Torrey Peters – Detransition, Baby

Wo fange ich an? Ich bin begeistert!

Androgyne, hellhäutige Person bekleidet mit einem Hut, die nach links schaut. In Pink: Torrey Peters. In weiß: Detransition, Baby.
© Ullsteinverlag

“Detransition, Baby” ist ein Buch von Torrey Peters, das 2022 durch den Ullsteinverlag veröffentlicht wurde und mal charmant, mal zynisch mit dem nackten Finger genau dahin zeigt, wo es weh tut: Und zwar auf die Heteronormativität, die unser Zusammenleben bestimmt.

“Detransition, Baby” ist die Geschichte einer Dreiecksbeziehung, die wir so wahrscheinlich noch nicht gelesen haben: Ames ist eine trans-Frau, die sich für eine Detransition entschieden hat und seitdem wieder als Mann lebt. Fälschlicherweise geht Ames davon aus, dass ihn die jahrelange Hormoneinnahme unfruchtbar gemacht hat, weswegen er ungewollt seine Partnerin Kathrina schwängert. Kathrina ist überrascht von der Schwangerschaft und zutiefst traumatisiert von Ames Outing als ehemalige trans-Frau. Als Ames dann noch vorschlägt, das Kind mit seiner ex-Partnerin Rees großzuziehen, die selbst eine trans-Frau ist, erleben wir die Geschichte dreier Menschen, die sich in den heteronormativen Gesetzen gefangen sehen, an denen ihre Identität gebunden ist.

Die Handlung selbst verfolgt unterschiedliche Zeitabschnitte, in denen wir Ames (ehemals Amy) und Rees bei ihrer Entwicklung verfolgen können – oder um genauer zu sein: Wir erleben zwei Personen, die versuchen ihre geschlechtliche Identität zu erkennen, zu akzeptieren und sie auszuleben.

Wir sehen Ames dabei zu, herauszufinden und zu akzeptieren, dass er eine trans-Frau ist – was natürlich mit der typischen Google-Suche und den Online-Quizzen einhergeht – und mit welcher Scham das für ihn verbunden ist. Diese Scham und der psychische Druck, als Mann geboren zu sein und als solcher leben zu müssen führt unter anderem dazu, dass er sich sexuell nicht entfalten kann. Statt Spaß zu haben, distanziert er sich geistig von sexuellen Situationen und durchlebt sie wie in Trance.  Als Frau musste er dann erleben, dass er eine Frau zweiter Klasse war, deren Identität an die Akzeptanz der Gesellschaft gebunden war.

Rees leidet ebenfalls darunter, sich als Frau immer wieder selbst bestätigen zu müssen, weswegen sie aktiv Beziehungen sucht, in denen sie von Männern misshandelt wurde, um sich weiblich zu fühlen. Das geht sogar soweit, dass sie HIV-Prep nimmt und mit einem Partner so tut, als wären es Anti-Baby-Pillen, um die Gefahr einer ungewollten Schwangerschaft nachempfinden zu können. Auch wird sie von einem Kinderwunsch zerrissen, an dem auch deutlich wurde, welche Bedeutung Reproduktionsvermögen für die binäre Geschlechterteilung hat.

Ames Partnerin Kathrina war durch eine Fehlgeburt und eine klischeehaft heteronormative Partnerschaft dazu gezwungen, ihre eigene Queerness zu entdecken, in die sie sich auf ihrer Suche nach ihrer Identität hineinsteigert. Schlussendlich entscheidet sie sich aber für die Sicherheit, die ihr Heteronormativität bietet. Währenddessen lernte sie es schätzen, Teil einer weiblichen Ahnenreihe zu sein, die ihr Wissen über Generationen hinweg miteinander (auch unterbewusst) teilt.

“Detransition, Baby” ist vieles – so vieles, dass schwer in Worte zu fassen ist. Peters hat emphatisch und reflektiert die Normen ins Flutlicht gezerrt, die so wichtig für Menschen mit einer binären geschlechtlichen Identität sind. Schonungslos hat sie die Konsequenzen und die Doppelmoral von Heteronormativität aufgezeigt, ohne jemals an Unterhaltung, Witz und Spannung zu verlieren.

Peters zeigt, was für ein loses Konstrukt Geschlecht ist, das an ständige Rituale und Körpermerkmale gebunden ist, um ständig (unterbewusst) reproduziert zu werden. Außerdem wird gezeigt, welche Hürden genommen werden müssen, um entsprechend der eigenen Identität zu leben und wie spaßig und romantisch es sein kann, die eigenen queere Ader auszuleben, wenn das eigenen Leben nicht in Gefahr ist.

Ständig werden wir mit Vorurteilen gegenüber Transpersonen konfrontiert, erleben Homophobie und lernen, wie schwierig es sein kann, herauszufinden, wer man selbst überhaupt ist. Deswegen war es auch umso packender, als auch Mental Health thematisiert wurde und gezeigt wurde, zu welchen gefährlichen Kompensationsstrategien Menschen neigen, wenn sie verzweifelt sich und sich selbst unterdrücken müssen.

Insgesamt war “Detransition, Baby” für mich erfrischend zu lesen. Obwohl es sich bei Transidentität, Schwangerschaft und heteronormativer Gesellschaftskritik um schwierige und schwer zu fassende Themen handelt, war das Buch leicht und flüssig zu lesen und sogar oft witzig und selbstironisch. Es wurde nicht versucht ein gerade gehyptes Thema zu intellektualisieren und gezwungen alternativ aufzugreifen: Die Handlung war klar und die Figuren und ihr Umfeld wurden pointiert analysiert, weswegen auch Facetten betont worden sind, die ich als betroffene Person kaum hätte formulieren können.

Deswegen ist “Detransition, Baby” ein Buch, dass ich unbedingt weiterempfehle. Nicht nur ist es durch den eigenen Charme, Witz und gemeiner Ehrlichkeit ein verdammt unterhaltsames und packendes Buch – dieses Buch ist auch verdammt intelligent und geschickt geschrieben und zwingt einen ohne Vorwarnung die eignen Normen zu hinterfragen.

Denn was passiert, wenn wir als Mann oder Frau geboren worden sind, aber keine Normen mehr haben, die unsere Identität bestätigt?  Was macht uns zu unserem Geschlecht und was passiert, wenn wir keine Bestätigung mehr durch unser Umfeld erhalten?  Dazu gehört auch schon, wenn Kleidung nicht mehr nur für Männer und Frauen sind und Weiblichkeit nicht mehr durch Kinderkriegen und männlich sein nicht mehr durch “der Macher-sein” definiert wird.

“Detransition, Baby” wird allen gefallen, die witzige und zum Nachdenken anregende Unterhaltung schätzen und sehen wollen, welche Konsequenzen Geschlecht für uns hat.

  • Autor: Torrey Peters
  • Titel: Detransition, Baby
  • Originaltitel: Detransition, Baby
  • Übersetzer: Nicole Seifert und Frank Sievers
  • Verlag: Ullsteinverlag
  • Erschienen: 2022
  • Einband: Hardcover
  • Seiten: 464
  • ISBN: 978-3-550-20204-9
  • Sprache: englisch
  • Sonstige Informationen:
  • Produktseite
  • Erwerbsmöglichkeiten


    Wertung: 14/15 dpt


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