Hörst du es auch? #4 – Die Ärzte


Die Ärzte – Perfekt
(Aus dem Album „Jazz ist anders“)

Kolumne Hörst du es auch?

Perfektion. Viele streben ewig danach.

Madonna beispielsweise postet jetzt ständig so Bilder, auf denen sie sich megajung und faltenfrei zeigt. Dabei ist sie schon ungefähr 100. Die Leute im Netz regen sich darüber natürlich mächtig auf. Sie machen sich lustig. Über MADONNA! Früher war Madonna die, die Trends gesetzt hat, heute läuft sie den Trends nur noch hinterher. Was ist da eigentlich passiert, frage ich mich. Geht es ihr nicht so gut? Könnte doch sein. Also meine dringende Bitte: Kann da vielleicht mal jemand nachfragen gehen? Könnte mal jemand, der die Adresse kennt, ganz unkonventionell klingeln und Madonna lieb in den Arm nehmen? Hm? Einer vielleicht? Ginge das? Das fände ich echt cooler, als weiterhin wie eine Horde wildgewordener Heuschrecken über ein Idol mehrerer Dekaden herzufallen. Alle einverstanden? Nein? Ach so. Dumme Idee! Ich dachte mir sowas schon.

„Warum kann’s nicht perfekt sein? So wie in einem Liebeslied, oder so wie im Film sein, wo der Boy vor dem Mädchen kniet? Und ihre Hand nimmt, und ihr ganz tief in die Augen blickt, einfach alles stimmt, nichts an dem wirkt ungeschickt. Kerzen brennen – und Champagner steht bereit. Doch so ist es niemals in Wirklichkeit.“

Manche Leute vermuten irrerweise, dass es bei mir mit der Intelligenzverteilung eigentlich ganz okay gelaufen ist. Das ist aber falsch. Die Wahrheit ist schockierend simpel: Ich bin eigentlich ziemlich doof. Das muss jetzt niemandem leidtun, Dummheit tut nicht weh. Es ist bloß unangenehm ab dem Moment, wo man sich dessen voll bewusst wird. Ich verstehe die einfachsten Dinge nicht. Ein kleines Beispiel: Gendern! Die einen finden es gut, die anderen nicht. Doch weder die Pro- noch die Contra-Seite ist in ihrer Schnittmenge halbwegs mit den Menschen gleichzusetzen, die das eigentlich betrifft. Ich – mit den limitierten Kräften meines mageren Verstandes – weiß mittlerweile nicht mal mehr, was ich darüber denken SOLLTE, wenn ich es denn KÖNNTE. Eigentlich würde ich nämlich annehmen, dass vorwiegend die „Contra“ sind, die es persönlich gar nicht betrifft und sich der Veränderung schlicht verweigern möchten oder an Intoleranz leiden. „Pro“ wiederum vornehmlich DIE, die es irgendwie mittel- oder unmittelbar angeht und / oder die ein hohes Gerechtigkeitsempfinden in sich tragen, vielleicht sogar einen noch höheren ethischen Gleichberechtigungsanspruch fördern möchten. Aber genauso isses eben nicht! Und da fängt es schon an: ICH VERSTEHE DAS NICHT!

„Warum kann’s nicht perfekt sein? Schau, der Himmel ist sternenklar. Schenk uns noch ein Glas Sekt ein, wenn das grad keine Sternschnuppe war. Doch wir wünschen uns nichts, weil wir so glücklich sind, nichts hat jetzt mehr Gewicht. Die Liebe macht uns für alles um uns blind. Und das Radio spielt einen Song von Barry Manilow. Doch leider ist es im Leben niemals so.“

Anderes Beispiel: AfD ist scheiße. Klar! Darf man keinesfalls wählen. Soweit völlig d’accord! Was aber, wenn ein AfD‘ler gendert? Bekommt der dann ein Upgrade? Texte, in denen es um Dieter Nuhr geht, wurden – so erfuhr ich unlängst – an bestimmten Orten gelöscht, weil der Nuhr jetzt rechts ist. Heißt es. Ich habe aber zu Weihnachten von meinem Mann Tickets für seine Vorstellung bekommen. Wir waren natürlich nicht da! Der Termin wurde verschoben. Wir wären ansonsten aber völlig blauäugig dort hingegangen. Wir wussten doch bis zu diesem Wochenende noch gar nichts davon, dass Dieter Nuhr jetzt als rechts eingestuft wird. Was sollen wir nun machen? Müssen wir die Karten verbrennen oder reicht Wegschmeißen? Oder dürfen wir – vielleicht ein letztes Mal nur – seine Show sehen, weil wir es beim Erwerb der Karten ja noch gar nicht wussten? Ich weiß es nicht und das macht mich fertig! Weil ich keine Antworten darauf finde. Weil ich aufgrund meiner Dummheit garantiert wieder alles falsch machen werde! Dann dieser Song hier und heute. Von den Ärzten! JETZT! Ausgerechnet jetzt, wo die Hosen ihr 40-jähriges Jubiläum feiern. Darf man das eigentlich? Darf man in solchen Zeiten Die Ärzte hören und zitieren? Ich weiß es nicht!

„Warum kann’s nicht perfekt sein? Ist das denn schon zu viel verlangt? Warum kann’s nicht perfekt sein? Warum haben wir schon wieder gezankt?“

Am Wochenende bekam ich eine Art interne Zuschrift als Reaktion auf meinen kürzlich erschienen Nena-Artikel und da schrieb mir jemand – sinngemäß: „Ich habe den Artikel zwar gar nicht gelesen, aber ich bin dagegen! Aus Prinzip!“ Und da habe ich mich gefreut. Das fand ich so toll! Weil dieser Mensch wusste einfach, was er denkt. Der hatte die Antwort schon, bevor die Frage gestellt wurde.

Hörst du es auch #4, gelesen von Melanie Baier

Und dann habe auch ich etwas verstanden: Ich will das nicht! Danke! Und Nein! Ich möchte das nicht. Ich möchte nicht zu denen gehören, die alles perfekt machen, die immer die Antworten und immer die richtige Meinung haben, die allzeit die richtigen Parolen rufen. Ich will das gar nicht. Ich will nicht perfekt sein. Und plötzlich konnte ich es gar nicht mehr genießen – hier zu sein. Mit meiner Kolumne, in der ich eigentlich nur frei erzählen und zuweilen etwas berühren möchte. Plötzlich kam die Zensur, so wie es schon früher den Plattenindex gab, auf dem die Ärzte recht häufig zuhause waren. 

„Warum denk ich an Sex, wenn du grad romantisch bist? Du sprichst von deinem Ex, wenn es grad nicht so ratsam ist. Und im Radio spielen sie ein Lied von Klaus und Klaus, doch sogar das hält unsre Liebe aus! Denn du nimmst meine Hand und küsst mich, und mir wird klar ganz plötzlich: Er war immer da, ich hab es nur nicht gecheckt! Denn ganz genau dieser Moment ist perfekt!“

Es gibt ihn immer noch, den Index für Platten, die Zensur, die Kunst und es gab und gibt Die Ärzte, doch sie lebten niemals unter einem Dach. Auch mich wird es auf jeden Fall weiterhin geben, doch „Hörst du es auch?“ verabschiedet sich AN DIESER STELLE mit großem Dank! Ich bedanke mich für die Chance und den Support bei Dominic Schlatter, bei Sarah Teichner und einem wirklich guten Freund: Oliver Uschmann. Außerdem bei den vielen Ungenannten und dafür umso herzlicher Umarmten, für die wahnsinnig lieben Zuschriften, fürs Teilen und Loben und auch für jede konstruktive, faire Kritik. Danke schön!  

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