Hartmut Höhne – Mord im Gängeviertel (Buch)


Hartmut Höhne – Mord im Gängeviertel (Buch)

Ermittlungen während der Aufstände

Mord im Gängeviertel
© Gmeiner

Ostermontag 1919. Erneut kommt es zu Unruhen und Aufständen in Hamburg. Die Versorgungslage ist katastrophal, die politische Lage hoch explosiv. Als auf der Reeperbahn die Davidwache gestürmt wird, merkt Werner Grunwaldt zu spät, dass er in seiner Arbeiterkleidung auf der falschen Seite des Wachtresens steht. Ihm gelingt die Flucht, doch wenig später wird der Polizeispitzel erstochen im Paradieshof aufgefunden. Derweil vermisst Hein Mops, Wirt des „Traubenthal“ sein Fleischermesser, ein Erbstück seines Vaters.

Kommissar Jakob Mortensen und sein Partner Ove Harms nehmen die Ermittlungen auf, doch wenngleich Mortensen selbst unweit des Tatorts wohnt, so ist ihm schnell klar, dass dies ein schwieriger Fall wird. In der Neustadt wohnen die Armen und jene, die von harter Arbeit im Hafen leben; nicht selten nur als Tagelöhner. Mit der Polizei spricht man grundsätzlich nicht. So hat auch niemand etwas gehört oder gesehen, obwohl im Paradieshof über fünfzig Familien auf engstem Raum leben.

Wie war die Lage? Es gab einen Mord, ein Opfer, einen Tatort. Was fehlte, war das Tatmotiv, die Tatwaffe und natürlich der Täter.

Die Unruhen in der Stadt ziehen weiter an, die freiwillige Wachabteilung Bahrenfeld, ein wilder Zusammenschluss ehemaliger Militärs und junger Menschen mit national-völkischem Gedankengut, sorgen für zusätzlichen Aufruhr und Krawall. Derweil gerät das „Traubenthal“ in den Blickpunkt der Polizei, denn offenbar wird hier im großen Stil illegaler Schleichhandel betrieben. Die Mordermittlungen treten auf der Stelle, allein ein kleiner Verdacht regt sich gegen einen Mann, dessen Leiche jedoch am 6. Juni an der Mauer des im Aufbau befindlichen Museums für Hamburger Geschichte entdeckt wird.

Lebendige Einblicke in die direkte Hamburger Nachkriegszeit

„Mord im Gängeviertel“ überzeugt vor allem durch seine intensive Darstellung der politischen und gesellschaftlichen Situation des Jahres 1919. Der Große Krieg ist beendet, die politische Lage völlig unklar. So versucht der sozialdemokratische Kommandant von Groß-Hamburg Walther Lampl’l mit Einsatz der „Bahrenfelder“ für Ruhe zu sorgen. Dies gelingt nur bedingt und zudem mit vielen Toten und Verletzten. Der Schleichhandel blüht wie nie zuvor, Lebensmittel werden mit allem was vorhanden ist gestreckt; notfalls auch mit den Resten toter Tiere.

Die politische Landschaft ist derweil heillos zerstritten. Mehrheitssozialdemokraten, USDP und Kommunisten streiten im linken Lager, rechts agieren kaisertreue Parteien wie die DNVP, die neugegründete Deutschnationale Volkspartei. Für diese kämpft auch Kommissar a. D. Grabowski, der frühere Chef von Grunwaldt bei der Politischen Polizei. Die Spitzel gab es offiziell nur bis Kriegsbeginn, doch man machte einfach weiter.

Die Todesstrafe wurde nach wie vor vollstreckt wie zu Kaisers Zeiten. Das fand er richtig. Aber auch er würde nach einem Prozess wegen mehrfachen Mordes hingerichtet werden. Ein unerträglicher Gedanke.

Die Polizeiarbeit wird ebenfalls intensiv beleuchtet und zeigt dabei vor allem die Widrigkeiten auf, mit denen die Beamten damals zu kämpfen hatten. Neben der schon erwähnten äußerst unruhigen Gesamtlage, waren auch die polizeilichen Methoden noch nicht allzu sehr ausgefeilt. Schaulustige vom Tatort fernhalten und erst mal Spuren sichern? Die revolutionären Methoden des Ernst Gennat kamen erst einige Jahre später. Mortensen und sein kleines Team kommen sympathisch rüber, wenngleich sie oft auf verlorenem Posten stehen. Dabei hat Mortensen einen schweren Stand, denn sein Vater zählt zu den Gründungsmitgliedern der KPD, was ihm nicht überall Freunde verschafft. Auch bei der Polizei trauen noch einige der Kaiserzeit nach.

Bluthund Gustav Noske

Zu der politischen Großwetterlage jener Zeit gehört natürlich auch im Hintergrund die Ermordung von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht im Januar des Jahres, die von Freikorps begangen wurden, welche der Reichswehrinnenminister Gustav Noske installiert und gefördert hat. Ausgerechnet Noske, ein SPD-Mann. Dieser wird in der Folgezeit für die Spaltung der Arbeiterbewegung sorgen, da er alles was links von der Mehrsheits-SPD steht ablehnt. Ein Grund für Mortensens Vater den Glauben an die junge Republik zu verlieren oder zumindest in ernste Zweifel zu ziehen.

SPD-Reichsinnenwehrminister Gustav Noske spaltete die Arbeiterbewegung wie keiner vor ihm. Er machte den Bluthund. Mithilfe kaiserlicher Truppen und deutschnationaler Freikorpssoldaten ließ er alles, was links von Friedrich Eberts Mehrheitssozialdemokratie angesiedelt war, unterdrücken und zu Tausenden im ganzen Reich niedermetzeln und in die Gefängnisse stecken. In München und Bremen tobte sich Noskes Soldateska richtig aus, voller Hass gegen die dortigen Räterepubliken.

Wer sich für die Nachkriegszeit des Ersten Weltkrieges interessiert, hält hier gutes Lesefutter in seinen Händen. Detailreich und fundiert wird die Lage gänzlich ungeschönt beschrieben. Allein die Auflösung der Morde, es werden am Ende drei sein, ist mangels nennenswerter Alternativen arg vorhersehbar.

  • Autor: Hartmut Höhne
  • Titel: Mord im Gängeviertel
  • Verlag: Gmeiner
  • Umfang: 320 Seiten
  • Einband: Taschenbuch
  • Erschienen: April 2022
  • ISBN: 978-3-8392-0175-6
  • Produktseite  


Wertung: 12/15 dpt

 


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