Der junge Inspektor Morse, Staffel 7 & 8 (Serie, 2×2 DVD)


Der junge Inspektor Morse, Staffel 7 & 8 (DVD)

Die gute Nachricht zuerst: De scheußliche Schnäuzer, der Morse in Staffel sechs verunzierte, ist weg. Endeavour Morse ermittelt wieder glattrasiert. Die Melancholie und die komplizierten Beziehungsgeflechte, insbesondere zum weiblichen Geschlecht, sind geblieben. Obwohl es zunächst nach Entspannung aussieht, denn Morse lernt im Venedig-Urlaub die junge Violetta kennen und verbringt intime Zeit mit ihr.

Wieder zurück in Oxford stellt sich aber bald heraus, dass sie die Gattin von Ludo Talenti ist, einem scheinbar wesensverwandten neuen Bekannten des Inspektors. Das heimliche, erotische Spiel um Vertrauensbruch und Betrug wird sich durch die gesamte, drei Folgen kurze Staffel ziehen. Und nicht nur das wird horizontal abgehandelt.

Neben den (Mord)fällen der Woche ermittelt Friday wegen eines Mädchenmörders weiter, obwohl der vermeintliche Täter offiziell überführt wurde, während Morse gemeinsam mit der Journalistin Dorothea Frazil eine große Zahl scheinbar natürlicher Tode im Visier hat, deren seltsamen Umstände die Beiden vermuten lassen, dass es sich um geschickt getarnte Morde handelt.

Weder Morse noch Friday halten viel von den jeweiligen Untersuchungen des anderen. Im Gegenteil, beide verneinen eine Signifikanz komplett. Und werden jeweils eines Besseren belehrt. Das führt im Verlauf der drei Episoden zu einer Entfremdung der engen Verbündeten, die in Morses Versetzungsantrag gipfelt. Doch vor der Entzweiung wartet noch der finale Showdown.

Die siebte “Endeavour-Staffel leidet an Überfrachtung. Dass sich die beiden Haupterzählstränge über drei anderthalbstündige Folgen ziehen, geht völlig in Ordnung und findet eine halbwegs gelungene und eine sehr zufriedenstellende Auflösung. Die dazukommenden Einzelfälle werden jedoch mit unnötigem Ballast vollgestopft. So bietet eine in die Mordermittlung involvierte Wrestlingtruppe mit homosexuellem Kämpfer keinerlei Mehrwert und bleibt nur Füllmaterial.

Als ob das noch nicht genug ist, menschelt es auch wieder heftig. Morse zieht sich zurück von seinen Kollegen und Freunden, findet Trost in der Musik und als Ehebrecher. Dass er dabei einen neuen Freund betrügt, macht ihm zunächst schwer zu schaffen. DSI Fred Thursday wird immer misslauniger in einem Beruf, der ihn langsam verzweifeln lässt. Zwischendurch wird zu einer Art Stalker, aber aus gutem Grund. Immerhin ist Tochter Joan wieder zurück und scheint gefestigt im Leben zu stehen. Friday hat bis zum familiären Gau noch Zeit bis zur nächsten Staffel.

Am schlimmsten hat es Chief Superintendent Reginald Bright getroffen, dessen Frau an Krebs leidet und jeden Wunderheiler, jede Experimentaltherapie in Kauf nimmt, um zu gesunden. Als sich Besserung einstellt, kommt ein derber Schlag aus gänzlich unerwarteter Richtung. Immerhin bleiben DS Jim Strange und Gerichtsmediziner Dr. Max DeBryn, verlässliche Größen. Letzterer darf Morse und Friday eine veritable Standpauke halten. Dank des hervorragenden Ensembles folgt man den persönlichen Eskapaden gerne, sie stocken das bereits übervolle Programm aber zusätzlich auf.

Eigentlich sind die gesellschaftspolitischen Implikationen der Einzelfälle wieder interessant genug, um alleinstehend die Episoden zu tragen. “Orakel” beschäftigt sich mit sexistischem Patriarchalismus, während die Polizisten in “Lieferservice (im Original treffender “Raga” betitelt) mit Rassismus, britischen Faschisten (Roger Allams Sohn William in einer Nebenrolle als Hooligan) und familiären Katastrophen konfrontiert werden. Die dritte – und beste – Folge treibt die vorher angerissenen Themen konzentriert und spannend zu zwei unabhängig voneinander funktionierenden Höhepunkten, die nicht alle Beteiligten unbeschadet überstehen.

Staffel acht zeigt 1971 einen von den Ereignissen des Vorjahres gezeichneten Morse. Er trinkt zuviel, kommt zu spät oder gar nicht zur Arbeit und muss sich mächtig anstrengen, seine deduktiven Fähigkeiten zu aktivieren. Das Verhältnis zu Fred Friday hat sich wieder gebessert, und nicht nur der Chief Inspector versuchen Morse wieder auf die Beine zu helfen. Doch Morse muss erst noch tiefer stürzen, bevor er sich auf dem Level, dass seine spätere (Nicht)-Karriere ausmacht, fängt.

Falltechnisch geht es wieder fokussierter zu Werke. In der ersten Folge rücken Fußball, Erpressung, erneut Rassismus, und der Nord-Irland-Konflikt ins Zentrum der Ermittlungen sowie ein Bombenanschlag in einem College, bei dem eine Sekretärin ums Leben kommt. Nach und nach kristallisiert sich heraus, dass die Taten auf perfide Weise zusammengehören könnten. “Kleines Vögelchen” wirft ein Schlaglicht auf sexuelle Ausbeutung, Schweinskramfilme und auf eigenwillige Vorstellungen von Familienehre. Die schwächste Episode des Trios. Morse läuft im Automatikmodus, genervt durch das Auftauchen seiner prätentiösen Stiefmutter. Ein Mordverantwortlicher wird irgendwann aus dem Hut gezaubert, zwar mit nachvollziehbarem Motiv, aber dennoch austauschbar.

Das Finale ist wie zuvor der Höhepunkt des (erneut coronabedingten?) Dreiteilers. “Endstation” ist eine geschickt eingefädelte, spannende und stellenweise ungemein witzige Mixtur aus Cluedo, Agatha Christies “Und dann war da keiner mehr”-Variation und dezentem Slasher voller popkultureller Anspielungen. Inspektor Morse eingeschneit in einem stillgelegten Hotel mit lauter potenziellen Opfern, respektive Tätern zuzuschauen, ist die reine Freude. Die mit ihm gestrandeten Passagiere eines Buses halten Morse, nicht ganz zu Unrecht, für einen haltlosen Säufer. Was dieser auszunutzen weiß.

DCI Friday hat derweil einen anderen Kampf auszufechten, denn Sohn Sam, der als Soldat in Nord-Irland dient, ist von der Bildfläche verschwunden. Ob entführt, fahnenflüchtig oder schlimmeres, bleibt unklar. Friday stürzt sich verzweifelt in seine Arbeit, wofür seine Frau ihn verflucht. Schwere Zeiten für alle Beteiligten.
Außer für Jim Strange, der sichtlich abgemagert, seinen Aufstieg freundlich, aber bestimmt vorantreibt und mit Morses großer und vergeblicher Liebesmüh‘ Joan Friday anbandelt.

Mit der siebten Staffel begibt sich “Der junge Inspektor Morse” in die Siebziger. Und die sind wesentlich trister und finsterer als die bunt-poppigen Sechziger. Die zwar auch schon eine Menge Dunkelheit und Gewalt aufzuweisen hatten, aber auch eine leicht hysterische Aufbruchsstimmung, die 1970 verlorengegangen ist. Wobei einer sonnigeren Stimmung auch die Dreharbeiten unter den herrschenden Corona-Bedingungen entgegengestanden haben dürften. Morse Darsteller Shaun Evans inszenierte, wie bereits “Apollo” zuvor, stilsicher die Auftaktfolgen der beiden letzten Staffeln. Als Novum bekommt Nummer Sieben eine Art Motto vorangestellt, frei nach Oscar Wilde:


“Die Guten endeten glücklich. Und die Bösen unglücklich. Deshalb heißt es ja auch Dichtung. Wenn die Ouvertüre beginnt, lässt sich nicht sagen, was das für eine Oper sein mag oder wohin einen die Geschichte entführt. Ob es eine Komödie sein wird oder eine Tragödie. Diese Geschichte handelt von der Liebe.”

Von den Schattenseiten der Liebe müsste es eigentlich heißen. Denn natürlich kennen wir den weiteren Lebenslauf des Inspektors, dem keine glückliche Zweisamkeit widerfahren wird. Wenn man von der Partnerschaft mit seinem Kollegen und TV-Nachfolger Lewis absieht. Aber auch unabhängig von Morse bestehen die Beziehungen zwischen Männern und Frauen aus zu viel Gewalt, Unterdrückung und Obsessionen. “It’s a man’s world”, und die ist gefüllt mit Repressalien. Gegen Frauen, andere Hautfarben, Gesinnungen, Glaubensrichtungen. In der achten Staffel schließlich kommt auch DCI Fridays relativ stabile Ehe tiefe Risse.

Es macht immer noch Spaß den privaten Irrungen und Wirrungen der Protagonist*innen zuzuschauen. Das eingespielte Ensemble überzeugt erneut auf ganzer Linie und zumindest die zwei finalen Folgen der siebten und achten Staffel sind große Fernsehkunst. Dazwischen gibt es ein paar seltsame und stellenweise unnötige Plot-Twists, die besonders die siebte Staffel zerfahren wirken lassen. Andererseits passt es dazu, dass Endeavour Morses Welt zerfällt, und er immer weiter zum unangepassten Einzelgänger mutiert, der sein Seelenheil bei klassischer Musik und Kreuzworträtseln findet und nicht selten zu sehr dem Alkohol frönt.

Falls es noch eine weitere Staffel des “jungen Inspektor Morse” geben wird, bleibt zu hoffen, dass die sich wieder auf die Stärken besinnt und ein paar mehr als nur drei Folgen aufzuweisen hat. Ein grandioser Abschied für die gelungene Rückschau auf die Anfänge im Leben des Polizisten wäre fein. Doch ob noch etwas Neues kommt, oder mit der dreiunddreißigsten Folge, menetekelhaft “Endstation” (“Terminus”) betitelt, wie zuvor schon beim Original und dem “Lewis”-Ableger, Schluss ist, ist ungewiss. Ein wenig traurig wäre das schon. Böte aber eine Möglichkeit, sich erstmalig oder wieder der ursprünglichen Serie mit John Thaw als Inspector Morse zu widmen, die hierzulande leider ein Schattendasein führt.

© Cover und Bilder: Edel Motion/Glücksstern

  • Titel: Derjunge Inspektor Morse, Staffel 7 & 8
  • Originaltitel: Endeavour
  • Produktionsland und -jahr: GB, 2020/21
  • Genre: Krimiserie, Drama
  • Erschienen: 21.01.2022 (Staffel 7)
    01.4.2022 (Staffel 8)
  • Label: edel Motion
  • Spielzeit:
    268 Minuten auf 2 DVDs (Staffel 7)
    286 Minuten auf 2 DVDs (Staffel 8)
  • Darsteller:
    Shaun Evans
    Roger Allam
    Anton Lesser
    Sean Rigby
    James Bradshaw
    Joan Vickers
    Abigail Thaw
  • Regie: 
    Shaun Evans
    Zam Salim
    Kate Saxon
  • Drehbuch: Russell Lewis
  • Kamera: James Aspinall
  • Musik: Matthew Slater
  • Extras: Interviews, Featurettes, Trailer
  • Technische Details (DVD)
  • Video: Bildverhältnis 16:9
  • Sprachen/Ton: Deutsch, Englisch
  • Untertitel: D
  • FSK: 12
  • Sonstige Informationen:
  • Produktseite



Wertung: 10/15 dpt


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