Willi Achten – Rückkehr (Buch)

Willi Achten – Rückkehr (Buch)

Nach einem guten Vierteljahrhundert kehrt Jakob Kilv zurück in das Bergdorf, in dem er seine Kindheit und Jugend verbrachte. Offiziell will er entscheiden, was mit seinem Elternhaus geschieht, inoffiziell begibt er sich auf eine Spurensuche in die eigene Vergangenheit. Denn seine Jugendfreunde Bruno, Ranz, Zwoller und seine große Liebe Liv haben den Ort nie verlassen.

Jakob hingegen wurde weggeschickt als eine Protestaktion gegen den Großgrundbesitzer Bolltner aus dem Ruder lief und zwei Menschen in einem Feuer starben. Jakob trug schwere Brandverletzungen davon, geriet als Verdächtiger ins Visier der Polizei und verließ das Dorf, bevor in ernsthaft Not geriet, gegen seine Freunde und seinen Vater auszusagen.
In der Gegenwart nähert man sich wieder an, Bolltners Aktivitäten den Tourismus in der Gegend massiv voranzutreiben, haben tiefe Spuren in der Landschaft hinterlassen, wirtschaftlich hat sich nicht viel getan. Das alte Spiel, die Reichen werden reicher, die Armen bleiben arm.

Bruno hat das Vermächtnis von Jakobs Vater, dem engagierten Vogelkundler, angetreten und versucht Bartgeier wieder anzusiedeln. Jakob, wie auch die übrigen Freunde, helfen ihm dabei. Doch hauptsächlich möchte Jakob Vergangenheitsbewältigung betreiben. Welches Verhältnis hatte der charismatische Bruno zu seiner Mutter, die die Familie eines Tages heimlich verließ; wie steht es um Liv, deren Verhältnis zu Bruno ebenfalls diffus ist, und was geschah wirklich in der Nacht des großen Feuers?

Mit “Rückkehr” begibt sich Willi Achten erneut auf eine Reise in die Vergangenheit (die diesmal nicht so weit zurückliegt wie in “Die wir liebten “) und fusioniert diese mit der Gegenwart. “Rückkehr” ist Heimat- und Coming-Of-Age-Roman, streift ganz am Rande den Kriminalroman, ohne dass die Ermittlungen zum Brandanschlag ins Zentrum des Textes geraten würden.

Heimat ist bei Achten etwas Ungefähres und nicht ganz Ungefährliches, der Autor erzählt von einer bedrohten Idylle, die so idyllisch gar nicht ist, und von Menschen, deren Aktionismus vereinnahmt wird und deshalb aus dem Ruder läuft. Die Freundschaftsbande sind fragil und Motivationen hinter Bündnissen von ganz eigenen Beweggründen. Jakob ist über weite Strecken ein passiver Protagonist, ein analytischer Beobachter seines eigenen Lebens, kein aktiver Gestalter. Er zieht meist die richtigen Schlussfolgerungen, doch vermeidet Konfrontationen und Konsequenzen. So bleibt das Verhältnis zu seinem Vater ambivalent, seine Mutter und Liv entgleiten ihm, spätestens als er zwangsweise seinen Heimatort verlassen muss, irrt er verloren durch sein Leben.

Die Wiederbegegnungen nach seiner Rückkehr fördern spät Erkenntnisse zutage, bringen aber wenig Ergänzung zu dem, was Jakob im Lauf der Zeit sich selbst erschlossen hat. Beziehungen und die Definition, was Freundschaft eigentlich ausmacht, stehen ständig auf dem Prüfstand, ohne dass es explizit erörtert wird. In “Rückkehr” ist das Ungesagte genauso relevant wie das, worüber kommuniziert wird. Durch den gesamten Text ziehen sich Analogien zur Vogelwelt, befeuert durch Jakobs Vater, der Zitate aus Büchern über Vogelkunde zu Kommentaren der eigenen Lebensrealität umfunktioniert.
Willi Achtens Prosa besitzt wieder einen ganz eigenen Flow, elegant, aber nicht manieristisch. Der Autor sucht nicht das große Schreckensmoment, den überbordenden dramatischen Kniff, der Handlung und Beziehungen explodieren lässt.

“Rückkehr” baut auf leisen Horror, die Stille zwischen zwei Feuersalven. In der Blicke, Gesten oder Untätigkeit den Verlauf der weiteren Schlacht entscheiden. Am Ende entsteht eine Art Pattsituation: Alten Strukturen verhaftet bleiben oder Aufbruch in etwas Neues. Willi Achten gelingt das Kunststück mit dem letzten Satz beides zu ermöglichen. Ausgang ungewiss.

Willi Achtens Roman ist ein melancholischer Rückblick auf etwas, das nie existierte. Die Sehnsucht nach Neuanfängen gepaart mit Verlustängsten. Eine ungesunde Kombination. Ein Text, so leise wie faszinierend, der einen reißenden Fluss als idyllischen Bergbach tarnt.

Cover © Piper


Wertung: 12/15 dpt

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