Kabarettist und Liedermacher Rainald Grebe veröffentlicht seine Autobiographie, mit Zeichnungen von Chrigel Farner.
Einerseits erfüllt das Buch die Erwartungen: Jede Menge abseitiger Humor, absurde Anekdoten und einige Phantastereien. Andererseits geht es unter die Haut, und zwar sehr, durch Intimität und klare Worte. Also Vorsicht vor Einsichten und Taschentücher gezückt, die ja vielleicht nur für Lachtränen gebraucht werden. (Wenn jemand fragt.) So viel sei vorweg verraten: Der Held überlebt.
Angekündigt wurde die Autobiographie im letzten Jahr noch unter dem Titel „Bevor ich’s vergesse: Erinnerungen“. Das schien wohl doch zu austauschbar und so heißt das Buch schlussendlich „Rheinland Grapefruit. Mein Leben“ – eindeutig mehr Grebe-Style. Wer aber Klamauk à la „Global Fish“ erwartet – Grebes Roman von 2006 – unterschätzt die schriftstellerischen Fähigkeiten des Kabarettisten und Musikers: Seine Autobiographie geht nicht nur überraschend unter die Haut, sondern liest sich stringent und spannend.
Den Rahmen des Buchs bildet hierbei Grebes achtwöchiger Reha-Aufenthalt, während dem er seine Memoiren schreibt und in den er immer wieder tagebuchartige Einblicke gibt. In die Klinik kommt Grebe nach sechs Schlaganfällen (!), die er alle im Januar 2021 erlitten hat. 2014 wurde bei Rainald Grebe Vaskulitis diagnostiziert, eine Autoimmunkrankheit. Drei Jahre später bekommt Grebe den ersten Schlaganfall während einer Preisverleihung. Ein Ereignis, das er auch im Buch thematisiert und das beim Lesen Gänsehaut macht.
Auf die Tränendrüse drückt Grebe in seiner Autobiographie glücklicherweise nicht: Zu viel hat er zu erzählen, zu viel Erstaunliches ist ihm in seinem bisherigen Leben passiert. Sei es der spontane Trip nach Alaska mit der damaligen Freundin, nachdem er „5.000 Mark fürs Komischsein“ im Quatsch Comedy Club gewonnen hat. Oder die 18 Monate Haft in einem marokkanischen Gefängnis wegen Haschisch-Schmuggels. Oder der Besuch von Töpfer-Meisterkursen im japanischen Mashiko, der dazu führte, dass eine von Grebe getöpferte Teeschale im Teemuseum Osaka ausgestellt wurde. Letzteres wird sogar durch einen Zeitungsartikel im Buch dokumentiert. Seine vielseitigen Talente lassen beim Lesen immer wieder staunen: So bereiste Grebe beispielsweise seit 2011 im Namen der Kunst und unter der Schirmherrschaft des Goethe-Instituts die Welt: Mexico, Ecuador, die Mongolei, Sydney, Manila … Allein im Jahr 2010 absolvierte er 200 Auftritte, 4 Theaterproduktionen, 2 neue Platten, 3 Hörspiele, fertigte russische Übersetzungen an und begann ein Fernstudium der Komposition in Luzern. Kurz: Er führte mehrere Leben gleichzeitig und rollt nun mit den Augen, weil sein Neurologe ihm fünf Minuten tägliche Achtsamkeit verordnet.
Nach dem Einblick in den Reha-Alltag und dem Nebenbei-Servieren, wie schockierend schlecht es um den Gesundheitszustand des Künstlers bestellt ist, ist man beim Lesen erleichtert, als Grebes Rückblick beginnt: Die Kindheit im rheinländischen Frechen, das bürgerliche Elternhaus, die große Schwester. Fotos und Zeitungsartikel illustrieren Kinder- und Jugendzeit. Besonders witzig hier ein Zeitungsartikel mit dem Titel: „Der Garten ist Experimentierfeld für den 12jährigen ‘Buchautor’ Rainald Grebe“, anlässlich seines abgetippten Manuskripts Die Vogelwelt von Frechen, 1983 zu erwerben für 5 Mark.
Dann erste Kabarettanfänge zu Schulzeiten, der Umzug nach Berlin und die Reizüberflutung in den 90er Jahren:
Neben all den abenteuerlichen Inhalten, hat das Buch auch formal einige Überraschungen zu bieten: Das Schriftbild variiert, Zitate werden eingestreut (unter anderem von Bierdeckeln) und es enthält Grebes Stammbaum zum Aufklappen.
Besonders schön sind die Fotos und Zeitungsartikel aus Rainald Grebes Privatarchiv, die er so freimütig teilt. Lediglich die Zeichnungen von Chrigel Farner passen nicht so recht ins Bild – seitenfüllende Illustrationen mit Buntstift (?), die Szenarien aus Grebes Erinnerungen wiedergeben sollen. Detailreich und kunstvoll ist jede Zeichnung für sich allemal, aber die Frage nach dem Warum bleibt offen: Liegt der Fokus doch voll und ganz auf Rainald Grebe, der neben umfangreichem Textkontingent auch genügend eigenes Material zur Illustration liefert. Der Zusammenhang erschließt sich beim Lesen des Buchs leider nicht. Vielmehr wird damit ein Bruch zu all den intimen Geständnissen Grebes erreicht, was schade ist.
Diese Autobiographie ist ein Muss für Rainald-Grebe-Fans, aber auch für alle, die ein ganz persönliches Stückchen Zeitgeschichte miterleben wollen. Ein Buch voller Abenteuer, phantastischen Einsprengseln, klugen Gedanken über das Leben und die Frage nach dem, was eigentlich wichtig ist. Gewürzt mit dem bösen Grebe-Humor, intellektuellen Bonmots und albernem Blödsinn. Ein absolutes Lesevergnügen und Kunstwerk von einem Buch. Und ein paar Nackedeifotos sind auch dabei.
Wer mehr darüber erfahren möchte, wie der Künstler mit seiner Krankheit umgeht, dem sei das Video von arte empfohlen, in dem Rainald Grebe gut gelaunt Rede und Antwort steht.
- Autor: Rainald Grebe
- Titel: Rheinland Grapefruit. Mein Leben. Mit Zeichnungen von Chrigel Farner.
- Verlag: Voland & Quist
- Erschienen: 29. November 2021
- Einband: Hardcover
- Seiten: 336
- ISBN: 9783863913144
- Sonstige Informationen:
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Wertung: 14/15 dpt