Charlotte McConaghy – Wo die Wölfe sind (Buch + Hörbuch)

Charlotte McConaghy – Wo die Wölfe sind (Buch + Hörbuch)

In Schottland sollen wieder Wölfe angesiedelt werden. Es ist ein Versuch, das natürliche Gleichgewicht in den schottischen Wäldern wieder herzustellen und somit die Folgen des Klimawandels zu bekämpfen. Inti Flynn leitet dieses Projekt, das allerdings auf den heftigen Widerstand der Anwohner stößt. Sie haben Angst um sich, ihre Kinder und um ihre Schafe, von denen ihr Lebensunterhalt abhängt. Als dann ein Mann verschwindet und immer mehr Nutztiere gerissen werden, spitzt sich die Situation zu.

Im Vordergrund des Romans steht immer wieder die Frage: Wer ist das Monster? Mensch oder Wolf? Vor wem sollte man wirklich Angst haben? Je nach Blickwinkel fällt die Antwort anders aus. Die Menschen im Dorf haben Angst vor den Wölfen, Inti hat Angst vor den Menschen. Doch auch Inti vertraut ihrem eigenen Urteilsvermögen immer weniger. Und nicht zu vergessen: Wer steckt hinter dem Verschwinden des Mannes?

Charlotte McConaghys “Wo die Wölfe sind” birgt einige Parallelen zu ihrem vorherigen Roman “Zugvögel” (zur Rezension). Wieder ist die sehr persönliche Geschichte von Inti Flynn begleitet und geprägt von Folgen des Klimawandels und einer Liebe zum Freien und Wilden. Wir lernen viel über das Ökosystem Wald und insbesondere welche Rolle die Wölfe darin einnehmen. Diese Lehren sind wieder genauso organisch und stimmig mit der Geschichte verwoben. Inti selbst ist ähnlich stur und hart wie die Protagonistin aus “Zugvögel”, wenn auch aus ganz anderen Gründen.

Inti ist nämlich besonders: Ihre Mirror-Touch-Synästhesie veranlasst sie, alles, was andere spüren, auch selbst zu spüren, vorausgesetzt sie sieht es mit an. Das gilt für Menschen, aber auch für einige Tiere. Diese extreme Empathiefähigkeit ist für sie Fluch und Segen zugleich. Sie kann sich Menschen ganz nah fühlen, wird dadurch aber gleichzeitig auch besonders verletzlich. Lange Zeit ist sie ein sehr sanfter, optimistischer Mensch, doch dann passiert etwas, was sie zu der Frau werden lässt, die wir kennenlernen: Misstrauisch und mit einer dicken Mauer zwischen sich und den anderen. An dieser Stelle ist vielleicht eine Warnung wegen Missbrauchs angebracht. Das Thema begleitet das Buch, die Beschreibungen sind allerdings eher vage und gehen nicht zu sehr ins Detail.

Der einzige Mensch, den Inti wirklich an sich ranlässt, ist ihre Zwillingsschwester Aggie, doch auch diese für sie so selbstverständliche Bindung hat begonnen zu bröckeln. Trotz ihrer Schwierigkeiten, anderen zu vertrauen, baut Inti eine Beziehung zu Duncan, einem ansässigen Polizisten, auf. Wie vorherzusehen, hat diese Beziehung viele Höhen und Tiefen. Leider fällt es einigermaßen schwer, die Gefühle, die beide füreinander haben, nachzuvollziehen und daher wirklich in den Ausgang der Beziehung investiert zu sein. Sie lernen einander kaum kennen, vertrauen sich gegenseitig nicht, haben in einigen Aspekten grundlegend verschiedene Ansichten und heißen das Verhalten des anderen oft nicht gut. Auch die Gespräche der beiden tragen nicht immer dazu bei, uns Leser*innen von ihren Gefühlen füreinander zu überzeugen.

Generell fehlt es den Dialogen in “Wo die Wölfe sind” häufig an einem eleganten Fluss. Zu oft reagieren die Figuren mit Sätzen aufeinander, deren Zusammenhang sich nicht so leicht erschließt, der den Charakteren aber offensichtlich klar ist. Vielleicht soll damit ein besonders tiefes gegenseitiges Verständnis der Gesprächspartner transportiert werden, es wirkt meist aber eher etwas ungelenk.

Das Verhältnis von Inti zur Natur ist da schon nachvollziehbarer. Sie liebt und respektiert sie gleichermaßen, macht sich nur ganz selten Illusionen darüber, dass ihre Wölfe sie genauso lieben wie sie sie. Denn sie ist sich bewusst, dass sie in den Augen der Wölfe eine Bedrohung darstellt. Und so sehr sie es sich auch wünscht, sie sieht die Wölfe lieber frei, als dass sie eine Bindung zu ihnen aufbaut. Denn sie weiß auch, wie viel Schaden Menschen anrichten können, selbst wenn sie es nicht wollen.

Hörbuch

Das Hörbuch zu “Wo die Wölfe sind” ist von Eva Meckbach sehr gefühlvoll gelesen. Ihr Art zu Lesen verleiht der Geschichte noch einmal eine neue Ebene der Verletzlichkeit und Nachdenklichkeit, die ich persönlich beim selbst Lesen nicht in die Worte gelegt hatte. Diese passt allerdings gut zu der Geschichte und lässt Inti ein bisschen weniger hart und mehr verunsichert wirken, was durchaus im Einklang mit ihrer Persönlichkeit steht.

Fazit

“Wo die Wölfe sind” von Charlotte McConaghy erzählt die Geschichte einer Frau, die versucht, zu sich selbst zurück zu finden. Es geht um Liebe, Vertrauen, das Wilde und nicht zuletzt um die Natur. Es ist wie “Zugvögel” ein sehr tragischer Roman, der durch seine Geschichte auch viele wichtige Erkenntnisse über die Natur und speziell das Ökosystem Wald vermittelt. Gerade im Umgang mit und im Respekt vor der Natur können wir viel von Inti lernen, was auch über Fakten hinausgeht. Leider hapert es stellenweise an der Umsetzung, gerade was die Beziehung der Figuren zueinander angeht. Insgesamt aber dennoch, aufgrund der guten Idee und der vielen wichtigen Lehren, ein lesenswerter Roman.

Wertung: 9/15 dpt

• Autor: Charlotte McConaghy
  
• Titel: Wo die Wölfe sind
• Originaltitel: Once There Were Wolfes
• Übersetzer: Tanja Handels
  
• Hörbuch gelesen von: Eva Meckbach
• Verlag Buch: S. Fischer Verlage
  
• Verlag Hörbuch: Argon
• Erschienen: 03/2022
• Einband: Hardcover
• Seiten: 432
• Laufzeit Hörbuch: 11 Stunden 22 Minuten
• ISBN Buch: 978-3-10-397100-2
• ISBN Hörbuch: 978-3-7324-1965-4
• Sonstige Informationen:
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